Kommentar: Markus Allemann über Sprengstoffgürtel, Erdöl, Kohle und Gas
Als ich Anfang September nach einer kurzen Sommerpause in schweizerischer Frischluft nach Bangkok zurück reiste, musste ich mir anhören, dass diese Reise jetzt womöglich besonders gefährlich sei – nach dem Attentat mit 20 Toten und 125 Verletzten. Heute stehe ich kurz vor meiner Rückreise in die Schweiz und muss mich fragen, ob inzwischen Europa das gefährlichere Pflaster geworden sei?
In Paris wird nicht nur geschossen, in Paris wird dieser Tage verhandelt – und zwar um unser langfristiges Überleben: den Klimawandel. Viele können es schon gar nicht mehr hören, aber nun ist es endgültig fünf vor zwölf. Entweder die Staaten unterschreiben einen bindenden Vertrag, oder die schlimmsten Klimaszenarien dürften wahr werden. Das bedeutet: Ansteigende Meeresspiegel, zerstörerische Unwetter, Dürre, Überschwemmungen, fehlende Nahrung, riesige Migrationsströme. Die Zeit zur Beschränkung eines Temperaturanstiegs auf zwei Grad läuft ab. Die Firma Exxon wusste bereits 1981 vom Klimawandel und hat 27 Jahre lang Klimalügner gesponsert. Die Wissenschaft hat den Politikern 30 Jahre lang Warnsignale gesendet. An den Verhandlungen in Paris tragen nun bildlich gesprochen alle Delegierten einen Sprengstoffgürtel, den sie mit Ignorieren aktivieren – oder gerade noch ablegen können.
Ablegen bedeutet: Raus aus Öl, Erdgas und Kohle! Nur noch ein Drittel der vorhandenen Reserven unter Boden darf verbrannt werden, der Rest muss bleiben wo er ist. Die Erdölvereinigung wirtschaftet nichtsdestotrotz weiter und wirbt für den Einbau einer neuen Ölheizung – und dazu mit dem Argument, dies sei im Sinne des Klimaschutzes! Unsere Stadt – Regio Energie Solothurn ist nicht besser: Sie fördert jeden neuen Gasanschluss mit einer Umweltprämie, anstatt jetzt voll auf Fernwärme zu setzen. Und auf ihrer Homepage lesen wir unter der Rubrik „Heizen“: „Erdgasheizungen sind umweltfreundlich. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz“. So werden wir getäuscht und bleiben abhängig von der klimaschädlichen Verbrennung fossiler Energien. Weltweit werden heute immer noch 90 Millionen Fass Öl gefördert und Terrororganisationen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) verdienen jeden Monat 50 Millionen Dollar von uns Erdöl-Abhängigen. Der weltweit grösste Öl-Exporteur, Saudi-Arabien, scheffelte ein Mehrfaches und kauft damit fleissig Waffen. Beide Staaten praktizieren Steinigung für Ehebruch, Peitschenhiebe für Sex vor der Ehe, Todesstrafe für Gotteslästerung, Homosexualität und Abwendung vom Islam. Lässt uns das kalt, solange wir nur heizen können?
„Empört Euch!“, sang Konstantin Wecker, der Mann mit dem treffenden Namen, schon vor vier Jahren. Aufgewacht, sind wir Zeugen eines krank gewordenen Systems geworden. Meine Frau berichtete mir kürzlich über Skype, jeder Schweizer, jede Schweizerin sei laut Radiodurchsage innert einem Jahr um 100’000 Franken reicher geworden. Meine Rückfrage: Wo ist das Geld? – Beim einen Prozent der Menschheit, das mehr besitzt als die Mehrheit dieser Erde. – Ignorieren bedeutet den Sprengstoffgürtel aktivieren.
Quelle: Solothurner Zeitung
Markus Allemann, Co-Geschäftsleiter Greenpeace Schweiz, lebt mit seiner Familie in Solothurn und leitet dieses Jahr vorübergehend in Bangkok das Greenpeace-Regionalbüro Südostasien.