„Das bessere Argument soll gewinnen!“ – wer würde dem widersprechen wollen? Aber sollen sollte man, teilweise. Aus mindestens zwei Gründen. Der erste Grund: Zwar ist der Satz für Entscheidungs- und Sachfragen in Beruf und Alltag richtig, er gilt jedoch bei Wertefragen nicht an sich. Und diese sind in gesellschaftlichen Belangen entscheidend. Das heisst, man kürt jenes Argument zum besseren, das in Bezug zu einer gesellschaftlichen besser zur eigenen Einstellung passt. Und bei dieser gilt es vier Aspekte zu unterscheiden: Eine kopflastige Einstellung ist eine Meinung (wissensbasiert), eine „bauchlastige“ ist Sympathie bzw. Antipathie (spontane Annahme oder Ablehnung) und die Mischung Meinung und Sympathie ist die Überzeugung. Der vierte Aspekt ist die Norm, das heisst, man übernimmt, was im Umfeld getan oder gedacht wird. Je nach Fragestellung dominiert der eine oder andere dieser vier Aspekte.

Das Problem beim Argumentieren in gesellschaftlichen Fragen ist nun, dass sich oft nur eine kleine Minderheit wirklich fürs Thema interessiert und also mit Wissensargumenten ansprechbar ist. Die meisten Menschen reagieren bei den meisten Themen entweder mit Norm (z.B. nehmen SVP-Wähler an, was ihre Partei sagt) oder auf der Ebene «Sympathie/Antipathie»: Sie beurteilen primär emotional, ob z.B. AKWs sofort, binnen einer nützlichen Frist oder möglichst spät abgeschalten werden sollen. Die hintergründige Emotion, nicht die Kognition entscheidet über die Güte eines Arguments in Wertefragen, d.h. der emotionale Kontext ist relevanter als der rationale, naturwissenschaftlich-technische Inhalt. Ein einziges „Argument“, das die Sympathie einer Zielgruppe trifft, kann diese gegen andere Argumente immunisieren. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass starke Emotionen wie Wut und Angst nur für Überzeugte mobilisierend wirken; Schwankende dagegen können sie als übertrieben und daher unsympathisch empfinden.

Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Argumentieren ist unerlässlich – für Begründungen, zur Exploration einer Sache und um den gedanklichen Bleistift zu spitzen. Ebenso unerlässlich ist es aber, die Einstellungen eines Zielpublikums zu beachten. Denn es gibt keine allgemein akzeptierte Instanz, die im Zweifels- oder Streitfall festlegte, welcher Massstab zur Bewertung des „Besseren“ gelten soll. Also wird ein individueller genommen, den jede Person gemäss ihrer Einstellung zum Thema (unbewusst) skaliert.

Gewiss könnten bzw. sollten Ethik und Wissenschaft als Instanzen dienen; nur ist einerseits Ethik wiederum mit Werten verbunden und andrerseits gibt es zu jeder wissenschaftlichen Studie eine Gegenstudie – und man nimmt jene als gültig an, die einem besser passt.

Das spricht nicht gegen das Argumentieren, aber dafür, davon wegzukommen, dass ein Argument wie in einem offenen Wettkampf gewinnen könne; und also stattdessen dahin zu kommen, dass „emotionale Einsicht“ bzw. die „sympathische Ansprache“ ausschlaggebend für als nötig befundene Einstellungsänderung ist.

[Übrigens: Ohnehin wäre es bei Auseinandersetzungen um Werte und Einstellungen klüger, die jeweiligen Interessen auf den Tisch zu legen, und nicht Argumente, die oft bloss Schlagabtausch und Wertestreit auslösen, was ein lähmendes Patt oder ein Weitermachen-wie-bisher nach sich zieht. (War das nun ein gutes Argument?)].

Der zweite Grund, dem Satz „das bessere Argument soll gewinnen“ nur eingeschränkt zuzustimmen, ist das sogenannte Killerargument. Wer es einsetzt, sieht es im Grunde als bestes Argument und will mit ihm eine unbehagliche Sache abblocken. „Besser“ bedeutet hier „mächtigere Position“ oder trickreichere Rhetorik. Eine gängige Methode ist, auf eine andere Ebene zu wechseln, als die, auf der die Partnerin oder der Gegner spielt. Ein Klassiker ist, eine Projektidee mit dem Argument „Hast du ein Budget?“ abzuwürgen. Wer unterliegt, bezeichnet das als Killerargument, weil sie oder er sich machtlos fühlt. Und jener, der killt, sieht ein mögliches Patt oder gar eine Niederlage voraus, will sich aber durchsetzen und flüchtet also auf eine andere Ebene. Das geschieht oft mit einer Floskel, die entweder klug („Da fehlt eine Strategie!“), abgeklärt („Das haben wir schon versucht“) oder besorgt („Das führt zu Bürokratie und gefährdet Arbeitsplätze“) tönen soll.

Das ist ebenso plump wie oft vorkommend. Raffinierter sind jene Killerargumente, die auf eine gesellschaftlich anerkannte Norm setzen. Beliebt ist etwa dem eigenen Argument das Attribut „demokratisch“ beizufügen, z.B. dann wenn man «etwas für alle» fordert: Und wer sich dem widersetzt, setzt sich der Gefahr aus, als undemokratisch zu gelten.

 

PS: Übrigens, gegen Killerargumente gibt es mindestens drei (bekannte) Mittel: Erstens nachfragen und um Begründung bitten bzw. zur Ausgangsfrage zurückzukehren. Zweitens einen Gegenangriff auf die Person starten. Oder drittens ein Beispiel anführen, welches das Killerargument in extremis weiterdenkt und so ins Absurde zieht.

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