Denys Tsutsaiev arbeitet für Greenpeace in Kiew. Seine Mission: der nachhaltige Wiederaufbau seines Landes, auch wenn der Frieden noch nicht in Sicht ist.
Am 25. Oktober 2022 fand in Berlin die zweite Wiederaufbaukonferenz zur Ukraine statt. Zuvor hatten sich potentielle Geberländer und Expert:innen zum ersten Mal im Juli in Lugano getroffen. Denys Tsutsaiev war bei keiner dieser Konferenzen vor Ort. Als junger Mann ist ihm die Ausreise aus der Ukraine nicht erlaubt. Wie stellt sich Denys als Greenpeace-Kampaigner in der Ukraine den Wiederaufbau des Landes vor? Und was hält er für seine vordringlichste Aufgabe?
Greenpeace: Du bist der erste Kampaginer von Greenpeace in der Ukraine. Was sind deine Aufgaben?
Denys Tsutsaiev: Ich arbeite an den Positionen von Greenpeace zum Wiederaufbau in der Ukraine. Darüber hinaus entwickle ich Projekte für den Ausstieg meines Landes aus fossilen Energien auf lange Sicht, aber auch für einen Umstieg auf Erneuerbare bereits heute.
Was hast du gemacht, bevor du für Greenpeace in die Ukraine gekommen bist?
Von 2008 bis 2018 war ich bei Greenpeace Griechenland für die dortige Arbeit mit den Freiwilligen zuständig. Danach habe ich als Freiberufler in der Ukraine verschiedene NGO und Aktivisten darin geschult, Strategien für das Engagement von Freiwilligen und Aktivist:innen in ihre Kampagnen einzubauen und Aktivist:innen in der Ukraine zu stärken.
Wie sieht der Alltag in Kiew aus, wie gehen die Menschen damit um?
Seit dem Beginn der massiven Angriffe mit Drohnen und Raketen auf Kiew am 10. September ist die Lage sehr instabil. Wir haben oft Stromausfälle, das Internet bricht zusammen. Für viele Menschen ist es sehr schwierig. Der Winter kommt schnell und wir wissen nicht, wie wir künftig heizen und arbeiten können. Ein Wechsel der Heizungsanlage ist teuer, viele Menschen können sich das nicht leisten. Wir versuchen, so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen, mehr warme Kleidung zu tragen und nach alternativen Orten für den Winter zu suchen, falls wir nicht in unseren Häusern bleiben können.
Was ist deine wichtigste Aufgabe in der Ukraine als Mitglied von Greenpeace?
Die Stimme der ukrainischen Zivilgesellschaft in Europa muss gestärkt werden. Wichtig ist auch, die besten Technologien in die Ukraine zu bringen und die Finanzierung von energieeffizienten Technologien und erneuerbaren Energien fördern zu helfen.
Inmitten dieser Zerstörung werden ja bereits Pläne für den Wiederaufbau der Ukraine geschmiedet. Welche Pläne sind bis jetzt bekannt?
Die ukrainische Regierung hat Pläne für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Erholung der verschiedenen vom Krieg und russischer Aggression betroffenen Gebiete ausgearbeitet. Die Entwürfe wurden von der Zivilgesellschaft, Aktivist:innen, Unternehmen und Expert:innen ausgiebig diskutiert und kommentiert. In vielen Gemeinden läuft dieser Prozess bereits seit Monaten. Die Menschen sind in ihre Häuser zurückgekehrt, um sie wieder aufzubauen und zu reparieren. Die Kinder müssen wieder zur Schule gehen. Zumindest teilweise muss die Infrastruktur wieder in Betrieb genommen werden. Unklar ist jedoch, woher die Ukraine das Geld für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bekommen könnte.
Wie beurteilt Greenpeace diese Pläne?
Einige Ideen der Regierung, besonders in Bezug auf Gebäude, Infrastruktur und erneuerbare Energieerzeugung, könnten viel ehrgeiziger sein. Wir gehen davon aus, dass die ukrainische Wirtschaft schneller als erst 2050 auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen kann und damit zum Vorbild für andere europäische Länder werden könnte.
Wie stellt sich Greenpeace den Wiederaufbau der Ukraine vor?
Greenpeace erwartet, dass der Rahmen für den Wiederaufbau abgesteckt wird und dass die Zivilgesellschaft darin einen Platz findet. Es muss Raum für die Ökologisierung des Landes geschaffen werden und für eine künftig ehrgeizige Umwelt- und Klimapolitik. Wir sehen eine Chance, das Land auf der Grundlage nachhaltiger Prinzipien wieder aufzubauen.
Fürchtest du den Einfluss der Korruption auf den Wiederaufbauprozess?
Diese Befürchtung haben wir, aber wir wissen auch, wie wir mit diesem Problem umgehen, es verhindern und ihm entgegenwirken können. Von 2014 bis 2022 hat die Ukraine gezeigt, dass sie funktionierende Antikorruptionsbehörden schaffen kann, die der Korruption wirksam entgegenwirken. Verschiedene korrupte Spitzenbeamte, die vor zehn Jahren noch als unantastbar galten, wanderten ins Gefängnis. Die Zivilgesellschaft muss zusammenarbeiten, Anti-Korruptionsorganisationen unterstützen und mit ihnen kooperieren.
Was sollte getan werden, um Korruption zu verhindern?
Korruption kann vorgebeugt und entgegengewirkt werden. Die ,Spielregeln’ für den Wiederaufbau müssen so gestaltet werden, dass die Verfahren offen und transparent gestaltet werden und Wettbewerb entsteht. Daran arbeiten wir bereits aktiv gemeinsam mit Staat und Wirtschaft. Das ist der wichtigste Schlüssel zum Erfolg, um Korruption zu verhindern.
Ist es in dieser schwierigen Situation möglich, die Menschen in der Ukraine für Umwelt- und Klimaschutz zu gewinnen?
In diesem Krieg haben die Menschen verstanden, wie wichtig Wälder, Flüsse und Moore als natürliche Hindernisse sind, die unseren Streitkräften helfen und die russischen Angreifer aufhalten oder verlangsamen. Viele Menschen haben begonnen, sich ehrenamtlich an der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen zu beteiligen. Jetzt verstehen die Menschen auch besser, wie wichtig zum Beispiel die Solarenergie als unabhängige Energiequelle ist. Also ja, ich glaube, es ist sehr gut machbar!