Die Nato probt bis nächste Woche im Luftraum über Belgien, Grossbritannien und der Nordsee den Einsatz von Nuklearwaffen. Die Nato sagt, es handle es sich um eine «routinemässige, wiederkehrende Ausbildungsmassnahme». Diese stehe «in keinem Zusammenhang mit dem aktuellen Weltgeschehen». Dennoch: Der Zeitpunkt des Manövers verunsichert und schürt Ängste. 

1. Wie wahrscheinlich ist ein Atomkrieg im Moment?

Zu unterscheiden ist zwischen einem grossen Atomkrieg und einem lokal begrenzten Einsatz sogenannter taktischer Atombomben. Auch wenn niemand mit Sicherheit sagen kann, was Putin tun und wie die Nato darauf reagieren wird, ist ein grosser Atomkrieg sehr unwahrscheinlich. Dieser träfe auch die russische Führung und sehr viele Menschen in Russland. 

Was sich seit einigen Jahren immer mehr angebahnt hat, ist die Möglichkeit eines «begrenzten» Atomkriegs. Das bedeutet, dass eine oder mehrere Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft, auch «taktische» Atomwaffen genannt, beschränkt auf einen lokalen Bereich wie etwa eine Militärbasis oder eine Truppenansammlung, abgefeuert werden. Dafür haben die russische und die US-amerikanische Regierung die entsprechenden Atomwaffen entwickelt und halten diese einsatzbereit. Allerdings ist es seit 1945 noch nie zu einem Einsatz von Atomwaffen in einem Konflikt gekommen. Das wäre ein absoluter Tabubruch und Bruch des Völkerrechts.

2. Welche Auswirkungen hat eine Atombombe?

Atombomben werden aus Flugzeugen abgeworfen. Atomsprengköpfe können aber auch durch Raketen, Marschflugkörper oder Torpedos ins Ziel transportiert werden. Der Überbegriff ist «Atomwaffe». Umgangssprachlich wird oft nur von Atombomben gesprochen. 

Atomwaffen sind Massenvernichtungswaffen. Sie haben ein grosses Vernichtungspotenzial und töten unterschiedslos. Das heisst: Sie unterscheiden nicht zwischen  Soldat:innen, Frauen, Kindern, älteren und jüngeren Menschen. Deswegen ist ein Drohen mit und der Einsatz von Atomwaffen nach internationalem Recht verboten. Der Einsatz ist ein Kriegsverbrechen.  

Je nach Typ entwickeln Atomwaffen durch Kernspaltung und Kernfusion eine extrem grosse Zerstörungskraft. Es entsteht eine starke Hitze- und radioaktive Strahlung sowie eine Druckwelle. Ein einziger Atombombenabwurf kann hunderttausende von Menschen töten. Die Hitzestrahlung verursacht Brände und die Druckwelle beschädigt und zerstört Gebäude. Hinzu kommt die radioaktive Strahlung, die direkt tödlich oder schwer verletzend wirkt und sich später, in abgeschwächtem Zustand, über Partikel als Fallout in der Atmosphäre verbreitet, die Umgebung verseuchen und schwerwiegende gesundheitliche Folgen hervorrufen kann. 

Die bei der Explosion einer Atomwaffe entstehende elektromagnetische Strahlung ist für Menschen ungefährlich. Sie kann aber elektrische Geräte im Umkreis von bis zu einigen Kilometern beschädigen. Beim absoluten Worst-Case-Szenario, dem Einsatz mehrerer Atomwaffen, kann es durch die Verdunkelung als Folge der aufgewirbelten Staub- und Dreckmassen zu einer Abkühlung der Erdatmosphäre über mehrere Jahre und damit zu Ernteausfällen und Hungersnöten auf der ganzen Welt kommen. Das nennt sich «nuklearer Winter».

3. Welche Reichweite hat eine Atombombe?

Strategische Atomwaffen haben Reichweiten bis 15’000 Kilometer. Sie können von Lastwagen, Schiffen, Flugzeugen oder U-Booten aus gestartet werden. Langstreckenbomber können zum Beispiel Ziele in einer Entfernung von über 10’000 Kilometern erreichen und mehrere Atombomben abwerfen. Interkontinentalraketen haben eine Reichweite von bis zu 15’000 km und können mehrere Atomsprengköpfe an unterschiedlichen Orten abwerfen.

Taktische Kernwaffen sind kleinere Raketen oder Bomben mit geringerer Sprengkraft und in ihrer Reichweite meist eingeschränkt. 

Der Unterschied zwischen diesen beiden Typen von Atomwaffen verwischt sich zunehmend. Inzwischen gibt es auch sehr weitreichende Raketen mit «kleinem» Atomsprengkopf, wie die seit 2019 auf US U-Booten stationierten Trident 2. 

In der Luft abgeschossene russische Hyperschallraketen mit Atomsprengkopf haben laut russischen Medien eine Reichweite von bis zu 2500 km. Daneben gibt es viele einzelne Typen von Atomwaffen aller Atomwaffenstaaten. Einen Überblick darüber gibt es bei SIPRI oder bei den Wissenschaftler:innen der FAS.

4. Was, wenn Russland eine Hyperschallrakete mit Atomsprengkopf einsetzt?

Hyperschallraketen sind Raketen, die laut russischen Angaben mit bis zu 20-facher Schallgeschwindigkeit fliegen. Ähnliche Geschwindigkeiten erreichen auch «normale» Raketen, die jetzt eingesetzten Modelle sind aber bei hoher Geschwindigkeit noch manövrierfähig. Das macht die Vorhersage des Ziels und der Flugbahn und somit die Abwehr extrem schwierig. Derzeit ist nur von Russland und China bekannt, dass sie einsatzfähige Hyperschallraketen besitzen. Allerdings wird auch in Deutschland, Frankreich und den USA schon seit vielen Jahren daran geforscht. Wieweit diese Systeme einsatzfähig sind, ist unbekannt. 

5. Wie lange hält die Strahlung einer Atombombe an?

Bei der Explosion einer Atombombe tritt radioaktive Strahlung in zweierlei Formen auf: Erst als Sofortstrahlung, die während der Kernspaltung im Feuerball auftritt und bis zu einer Minute wirkt. Diese direkte Strahlung besteht hauptsächlich aus Gammastrahlen. Sie machen etwa fünf Prozent der freigesetzten Energie einer Atombombe aus. Menschen in der Nähe der Explosion werden jedoch überwiegend durch die Druck- und Hitzewelle getötet. Nach der Explosion kann noch über eine längere Zeit Reststrahlung auftreten, hauptsächlich als radioaktiver Fallout. Der Fallout ist der radioaktive Niederschlag. Er besteht aus den radioaktiven Partikeln aus Waffenresten, Spaltprodukten und bestrahltem Boden. Die Partikel können sich am Boden ablagern und auch entferntere Gebiete radioaktiv verseuchen und dabei Hotspots mit besonders starker Strahlung bilden. Ausserdem kann der Wind sie weiter wegtragen, wobei die Strahlendosis durch die Verteilung abnimmt. Einige sehr kleine Partikel können lange in der Schwebe bleiben und als Fallout auftreten. Schädigungen durch Spätfolgen der Strahlen sind durch die Organisation der Ärzt:innen gegen den Atomkrieg gut dokumentiert.

6. Wie viele Atomwaffen hat welches Land?

Weltweit gibt es mindestens in neun Ländern rund 12’700 Atomwaffen. Davon sind ca. 3730 direkt auf ihre Trägersysteme wie auf Raketen oder in Bombern montiert. 2000 dieser Waffen sind innerhalb von Minuten einsatzbereit. Die restlichen Waffen befinden sich – von ihren Trägersystemen getrennt – in Lagern. Sie einsatzfähig zu machen, würde zum Teil Monate dauern.

Einsatzbereite Atomwaffen haben unter anderem Russland, die USA, Frankreich und Grossbritannien. In der folgenden Liste steht die Anzahl der total vorhandenen Atomwaffen vor den unmittelbar einsatzbereiten Waffen: Russland (5977/1588), USA (5428/1644). Frankreich (290/280), China (350/0), Grossbritannien (180/120), Israel (90/0), Pakistan (165/0), Indien (160/0) und Nordkorea (20/0).

Daneben gibt es die «nukleare Teilhabestaaten» Deutschland, Belgien, Italien und die Niederlande, welche dort stationierte US-Atombomben durch eigene Pilot:innen und Flugzeuge einsetzen könnten.

Es wird vermutet, dass in Deutschland, Belgien und den Niederlande je 20 und in Italien etwa 40 US-Atombomben des Typs B 61 liegen. Dass US-Atomwaffen in Europa lagern, ist offiziell bekannt. Ihre Zahl wurde nie offiziell bestätigt.

7. Hat die Ukraine Atomwaffen?

Die Ukraine hat und hatte nie einsatzfähige Atomwaffen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine lagerten 1991 dort noch Interkontinentalraketen, Cruise Missiles und Atombomben – insgesamt beinahe 5000 Atomwaffen. Die Steuerung, Codes und Startmechanismen waren allerdings nie in der Hand der Ukraine, sondern immer in der Russlands. Diese Atomwaffen wurden zwischen 1993 und 1996 an Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion zurückgegeben und zum Teil zerstört. Die Ukraine trat 1994 dem Nichtverbreitungsvertrag von Atomwaffen (NVV) bei. Im Gegenzug sicherten Russland, die USA und Grossbritannien der Ukraine im Budapester Memorandum von 1994 territoriale Integrität zu.

8. Ich habe Angst vor einem Atomkrieg – was kann ich tun?

Es ist verständlich, dass sich viele Menschen grosse Sorgen wegen des Krieges und eines Einsatzes von Atomwaffen machen. Vielleicht hilft es, daran zu denken, dass der russische Präsident Wladimir Putin vermutlich genau diese Wirkung erreichen will: Atomares Säbelrasseln, um Ängste zu schüren. Hilfe im Umgang mit der Angst vor einem Atomkrieg findest du auf der Seite von ICAN. Der Organisation wurde im Jahr 2017 der Friedensnobelpreis für ihren Einsatz gegen Atomwaffen verliehen. 
 
Greenpeace setzt sich gemeinsam mit ICAN für eine Welt ohne Atomwaffen ein.