Tief auf dem Grund des Ozeans liegt ein ökologischer Bereich, der so unzugänglich ist, dass die Wissenschaft gerade erst begonnen hat, ihn zu erforschen und zu verstehen. Was wir jedoch wissen, ist, dass diese Unterwasserwelt metallhaltige Mineralien beherbergt. Diese Ressourcen haben die Aufmerksamkeit von Unternehmen auf sich gezogen, die an der Entwicklung einer potenziell äusserst zerstörerischen neuen Industrie arbeiten: dem Tiefseebergbau.

Gerard Barron, CEO des Tiefseebergbauunternehmens DeepGreen, ist einer derjenigen, die diese Mineralien unbedingt in die Finger bekommen wollen: «Sie liegen da wie Golfbälle auf einer Driving Range». Damit meint er die steinähnlichen Materialien aus metallhaltigen Mineralien auf dem Meeresboden, die so genannten polymetallischen Knollen. Abgesehen davon, dass wir normalerweise keine schweren Erdbewegungsmaschinen einsetzen, um Golfbälle von einer Driving Range einzusammeln, könnten wir den Schaden, den der Bergbau der Tiefsee zufügen würde, völlig unterschätzen, wenn wir in die Falle dieser global-nordzentrischen, ausbeutungsfreundlichen Analogie tappen.

Die Golfball-Analogie ist nur eine der vielen lächerlichen Behauptungen, mit denen DeepGreen und sein führender Konkurrent Global Sea Mineral Resources (GSR) versuchen, ihre zerstörerischen Aktivitäten auf dem Tiefseeboden zu rechtfertigen. Wir haben die 4 grössten Mythen aufgedeckt.

Mythos 1: Wir betreiben nur Wissenschaft

Auf einem Transparent steht: «Unterstützt die Wissenschaft, setzt die Forschung fort» während des Einsatzes des Knollenfängers Patania II vom Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior aus gesehen. Die Normand Energy ist von Global Sea Mineral Resources (GSR) gechartert, einem belgischen Unternehmen, das Tiefseebergbau im Pazifik erforscht. Das Greenpeace-Schiff befindet sich in der Clarion Clipperton Zone im Pazifik, um den Tiefseebergbau zu beobachten. © Marten van Dijl / Greenpeace

«Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Meeresforschung das Kerngeschäft unseres bescheidenen Startups.»

DeepGreen

«[…] alle Parteien sind sich einig, dass mehr Forschung notwendig ist, bevor eine kommerzielle Nutzung der Tiefsee in Betracht gezogen werden kann.»

GSR

Diese Aussagen sind Teil einer absichtlichen Vernebelung, die Verwirrung über die Art der wissenschaftlichen Forschung stiftet, die zur Unterstützung der Pläne für den Tiefseebergbau durchgeführt wird. Um es klar zu sagen: Die wissenschaftliche Arbeit zum grundlegenden Verständnis und zum Schutz der Tiefseeökosysteme unterscheidet sich deutlich von den kommerziell motivierten Forschungsaktivitäten, die von Tiefseebergbauunternehmen durchgeführt werden, um eine zerstörerische neue Industrie zu entwickeln. Die involvierten Wissenschaftler:innen selbst haben diese Bedenken geäussert.

Die Frage ist also: Können Tiefseebergbauunternehmen wirklich sicherstellen, dass ihre Interessen keinen Einfluss auf die wissenschaftliche Forschung haben? Schliesslich werden diese Forschungen grösstenteils auf Bestreben der Bergbauunternehmen durchgeführt, und zwar während ihrer eigenen Expeditionen und in den Gebieten, in denen sie abbauen wollen.

Mythos 2: Wir befolgen die Regeln auf der Grundlage der von der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) genehmigten Verfahren

An der Oberfläche ist Sediment zu sehen, das vom Knollenfänger Patania II stammt, als dieser von der Normand Energy im Pazifischen Ozean geborgen wird. © Marten van Dijl / Greenpeace

«Die Gewinnung von Meeresknollen kann erst dann erfolgen, wenn strenge, mehrjährige Umweltverträglichkeitsstudien durchgeführt, überprüft, begutachtet und genehmigt wurden. Wenn diese von Fachleuten geprüfte Wissenschaft, die einen wichtigen Beitrag zum Wissen der Gesellschaft über die Tiefsee leistet, zeigt, dass die Risiken die Vorteile überwiegen, kann die Weltgemeinschaft durch die Internationale Meeresbodenbehörde – nicht der WWF – entscheiden, dass der Abbau nicht stattfindet.»

DeepGreen

«In der Tat fordern die (NGO-)Aktivisten einfach und zu Recht, dass die derzeitigen Regulierungsverfahren eingehalten und die Anforderungen angewandt werden.»

GSR

«GSR schwört, keine Mineralien aus dem Meer zu fördern, bevor die Umweltrisiken nicht umfassend geklärt sind.»

GSR

Es gibt bereits von Fachleuten geprüfte wissenschaftliche Erkenntnisse, die zeigen, dass der Tiefseebergbau mit ziemlicher Sicherheit langfristige Schäden an den Ökosystemen der Tiefsee verursacht.

Das bedeutet, dass das Vorsorgeprinzip – ein Kernprinzip des internationalen Umweltschutzes und der damit verbundene Rechtsschutz – strikt angewandt werden und der Tiefseebergbau nicht stattfinden sollte.

Leider erleichtert das für die Verwaltung des internationalen Meeresbodens zuständige Gremium, die ISA, faktisch den Bergbau. Sie wird von Ländern mit Bergbauambitionen und Unternehmensinteressen dominiert, hat der wirtschaftlichen Entwicklung eindeutig Vorrang vor einem verantwortungsvollen Umweltmanagement eingeräumt und leidet unter einem Mangel an Transparenz und Aufsicht.

Mythos 3: Wir haben ein gemeinsames Ziel: eine saubere Energiezukunft!

Der Knollensammler Patania II an Deck der Normand Energy. Der Prototyp des Minengeräts blieb nach einer Panne während der Tests auf dem Meeresgrund stecken. © Marten van Dijl / Greenpeace

«DeepGreen teilt das Ziel von BMW, Volvo, Google, WWF und anderen, eine Netto-Null-Emissions-Zukunft zu erreichen und gleichzeitig die Ozeane und andere Ökosysteme vor dem Klimawandel zu schützen.»

DeepGreen

«Unser ultimatives Ziel ist dasselbe – die besten Entscheidungen für den Planeten zu treffen, während wir nach einer nachhaltigen Zukunft streben.»

GSR

Lässt sich jemand von DeepGreen und GSR täuschen, wenn sie vorgeben, ihr Motiv für die Investition von zig Millionen in den Abbau des Meeresbodens sei die Rettung des Klimas? Es geht darum, die Aufmerksamkeit davon abzulenken, was wirklich auf dem Spiel steht: die Gesundheit des Tiefsee-Ökosystems, unserer Ozeane und der Natur als Ganzes.

In Wirklichkeit unterscheidet sich unsere wissenschaftlich fundierte, ökologische Weltsicht sehr von der der Industrie: Wir sind nicht damit einverstanden, eine fossilfreie, kohlenstofffreie Zukunft auf dem Rücken der Zerstörung natürlicher Systeme aufzubauen. Selbst Autokonzerne und Tech-Giganten wie BMW, Volvo, Google und Samsung haben den Tiefseebergbau öffentlich angeprangert. Es ist klar, dass wir diese zerstörerische Methode nicht brauchen, um eine saubere Energiezukunft zu erreichen.

Wir müssen stattdessen auf eine bessere Ressourceneffizienz und eine Kreislaufwirtschaft hinarbeiten: wiederverwenden, reduzieren und recyceln. Die wahren Lösungen sollten darin bestehen, unseren Bedarf an Mineralien zu verringern, indem wir weniger Autos auf die Strasse bringen, innovative Batterietechnologien entwickeln und Wege zu einer Kreislaufwirtschaft finden.

Mythos 4: Der Tiefseebergbau ist eine mögliche/grosse Alternative zum Bergbau an Land

«Verbrauchermarken, die sich weigern, alternative Mineralienlieferungen in Betracht zu ziehen, machen sich mitschuldig an zunehmender Abholzung, giftigen Abraumhalden, Kinderarbeit (im Falle von Kobalt) und der Zerstörung von terrestrischen Lebensräumen und Kohlenstoffsenken. Polymetallische Knollen hingegen können wichtige Batteriemetalle mit bis zu 90 % weniger Kohlenstoffemissionen und ohne Kinderarbeit liefern. Um die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte zu erreichen, ohne terrestrische Ökosysteme zu zerstören, müssen wir kreative Lösungen für die Mineralienlieferkette erforschen, einschliesslich der verantwortungsvollen Nutzung von Mineralien aus dem Meeresboden.»

DeepGreen

«GSR wird sich nur dann um einen Bergbauvertrag bewerben, wenn die Wissenschaft zeigt, dass Tiefseemineralien aus ökologischer und sozialer Sicht Vorteile gegenüber der Alternative haben, die darin besteht, ausschliesslich auf neue und bestehende Minen an Land zu setzen.»

GSR

Die Darstellung von Tiefseebergbau und Bergbau an Land als alternative Optionen ist eine falsche Dichotomie. Die Ausbeutung der Tiefsee wird nichts an den derzeitigen oder zukünftigen schädlichen Auswirkungen des Bergbaus an Land ändern. Im Gegenteil, sie wird nur die lange Liste der Orte verlängern, an denen das zerstörerische Streben der Menschheit nach ausbeutbaren Ressourcen dem Planeten und den Gemeinschaften auf der ganzen Welt Schaden zugefügt hat.

Nirgendwo im internationalen Recht gibt es Grundsätze oder Vorschriften, die besagen, dass die Schädigung der Ozeane eine legitime Strategie ist, um Wälder und andere wichtige Ökosysteme an Land zu retten.

Stoppen wir die Tiefseebergbauindustrie

Greenpeace International Aktivist:innen protestieren gegen das Tiefseebergbauunternehmen Global Sea Mineral Resources (GSR), eine Tochtergesellschaft des belgischen Unternehmens DEME, im Pazifischen Ozean. © Marten van Dijl / Greenpeace

Die gute Nachricht? Der Tiefseebergbau hat noch nicht begonnen, es ist also noch Zeit, ihn zu stoppen. Und so geht’s:

Wir brauchen ein starkes globales Meeresschutzabkommen, um die Tiefsee zu schützen. Er würde den Weg für ein globales Netz von Meeresschutzgebieten ebnen und hohe Standards zum Schutz der Weltmeere vor zerstörerischen Industrien festlegen. Wir müssen Regierungen und Unternehmen auffordern, von der Ausbeutung zum Schutz überzugehen und eine wirklich nachhaltige Zukunft für alle aufzubauen.

Unterzeichne die Petition an den Schweizer Bundesrat für einen ambitionierten Ozean-Vertrag und den Schutz der Tiefsee!