Eine neue Greenpeace-Untersuchung bringt besorgniserregende Informationen ans Licht. Sie zeigt: Pestizide verbreiten sich stärker via Luft als gedacht. Die Abdrift von teils hochbedenklichen chemisch-synthetischen Substanzen ist für Bio-Bauern ein grosses Problem und stellt für Landwirt*innen sowie für Anwohner*innen und Natur ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar. Denn der Kontakt mit Pestiziden in der Luft ist wie unfreiwilliges Passivrauchen.
«Pestizide verbleiben nicht an ihrem Einsatzort, sondern werden via Luft zum Teil mehrere Kilometer weit getragen. Doch es wird einfach ignoriert: Weder gibt es ein nationales Monitoring zur Abdrift von Pestiziden noch weitreichende Untersuchungen zu den gesundheitlichen Auswirkungen solch flüchtiger Pestizide für Landwirt*innen und Anwohner*innen.» Alexandra Gavilano, Leiterin Landwirtschaft und Klima bei Greenpeace Schweiz, sorgt sich. Anlass ist eine von Greenpeace Schweiz in Auftrag gegebene Untersuchung des Umweltinstituts München: Wissenschaftler*innen haben von Mai bis November 2019 auf vier Bio-Betrieben in der Schweiz mit so genannten Passivsammlern die Abdrift von Pestiziden in der Luft untersucht; ein Weinbaubetrieb im Wallis, je ein Ackerbaubetrieb in der Nordwestschweiz und im Mittelland sowie ein Obstbaubetrieb in der Ostschweiz. An allen Standorten wurde eine Mehrfach-Belastung festgestellt: Insgesamt wurden 25 verschiedene Pestizide nachgewiesen, die teilweise als sehr giftig für den Menschen gelten und hochproblematisch sind für die Umwelt. Die höchste Belastung wurde in den Walliser Reben gemessen, in deren Umfeld Nicht-Bio-Winzer Pestizide statt mit Helikoptern zum Teil mit Drohnen ausbringen.
Kilometerweite Verbreitung von problematischen Pestiziden
Die Messungen bestätigen kürzlich veröffentlichte Recherchen aus Deutschland. Auch bei korrekter Anwendung kommt es zum Ferntransport von Pestiziden. Selbst Stoffe, die kaum flüchtig sind, wie zum Beispiel das Herbizid Glyphosat, verbreiten sich, an Staubpartikeln haftend, mit dem Wind. Sie kontaminieren Ökosysteme und andere landwirtschaftliche Kulturen und stellen ein erhebliches Gesundheitsrisiko für Landwirt*innen und Anwohner*innen dar. «Die Luftverfrachtung von Pestiziden ist auch in der Schweiz ein grösseres Problem als bisher angenommen», sagt Alexandra Gavilano.
Bund und Kantone sind gefordert – und die Konsument*innen
Für Bio-Bauern ist die Kontamination mit Pestiziden durch Luftverfrachtung existenziell. David Herrmann, Verantwortlicher Medienstelle bei Bio Suisse, dem Dachverband der Schweizer Bio-Produzenten, stellt klar: «Bio Suisse war nicht an der Erstellung der Studie beteiligt. Abdrift ist für Bio-Bauern ein Problem. Sie bringen vollen Einsatz für eine Landwirtschaft ohne chemisch-synthetische Pestizide und trotzdem belastet die Abdrift ihre Kulturen. Im schlimmsten Fall müssen sie ihre Produkte deklassieren, mit dramatischen finanziellen Konsequenzen. Das wollen wir so nicht hinnehmen.» Die Konsument*innen, die nur biologisch produzierte Lebensmittel einkaufen wollen, verlieren so ihre Wahlfreiheit. Gleichzeitig ist der Bio-Konsum der richtige Weg, denn dieser unterstützt den dringend nötigen Wandel unseres Ernährungssystems.
Die Agrarlobby hat bereits in der Kommission des Ständerates verhindert, dass die Agrarpolitik AP22+ beraten wird. Sie hat sich damit für eine Sistierung der bundesrätlichen Vorlage ausgesprochen und ein weiteres Mal gezeigt, dass sie kein Interesse hat an einer zukunftsfähigen, ökologischen Reform der Schweizer Landwirtschaft hat. Sie ignoriert damit auch das Recht von körperlicher Unversehrtheit von Landwirt*innen und Anwohner*innen. Denn die Liste möglicher gesundheitlicher Auswirkungen des täglichen Kontakts mit Pestizid-Cocktails ist lang. Die Politik muss nun endlich aus ihrem agrarpolitischen Lockdown erwachen.
Greenpeace fordert von Bund und Parlament ein Massnahmenpaket: Die im Rahmen der AP22+ diskutierte Ökologisierung der Landwirtschaft ist trotz Widerstands der Agrarlobby und von Economiesuisse schleunigst anzugehen. Das Ausbringen von Pestiziden mit Helikoptern soll verboten, der Drohnen-Einsatz stärker reglementiert werden. Die Politik muss sicherstellen, dass der Biolandbau vor Pestizid-Drift geschützt wird. Studien, die untersuchen, ob bestimmte, immer wieder mit Pestiziden in Verbindung gebrachte Erkrankungen wie Parkinson, ALS und NH-Lymphome in Regionen mit hohem Pestizid-Einsatz überdurchschnittlich oft vorkommen, sind überfällig — ebenso wie ein stetiges, landesweites digitales Monitoring der Verwendung von Pestiziden, um die Verbreitung von Pestiziden verstehen und entsprechend dem Vorsorgeprinzip die Bevölkerung besser schützen zu können.
Der Kontakt mit Pestiziden in der Luft ist wie unfreiwilliges Passivrauchen. Wir von Greenpeace haben unsere Forderungen den Parlamentarier*innen brieflich mitgeteilt. Mach deinem Ärger Luft und unterstütze unser Anliegen für eine ökologische Landwirtschaft ohne chemisch-synthetische Pestizide: Unterschreibe den Appell «Agrarlobby stoppen» und schreib den Behörden hier ein E-Mail.