Die Corona-Pandemie macht einmal mehr klar: Zwischen der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen und der Umwelt insgesamt gibt es keine Trennlinien. Das Zusammenleben muss artenübergreifend neu gedacht werden.
«Es gibt keinen fundamentalen Unterschied zwischen Mensch und Tier in ihren Fähigkeiten, Freude und Schmerz, Glück und Elend zu fühlen.» – Charles Darwin.
Tiere sind uns Menschen auf verschiedenen Ebenen ähnlicher als wir lange dachten. Doch fristen viele von ihnen leider ein trauriges Dasein, in einer Isolation, die nicht wie die unsere jetzt zeitlich begrenzt ist. Sie sind gezwungen, ihr Leben in engsten Behältnissen und Ställen zu verbringen, werden körperlich misshandelt und enormen Schmerzen ausgesetzt. Dieses Wissen, diese Bilder machen betroffen, können einen innerlich fast zerreissen. Der respektlose Umgang mit Tieren ist verwerflich, das gilt für chinesische Tiermärkte genauso wie für europäische bzw. schweizerische Landwirtschaftsbetriebe – beispielsweise in der Geflügel- und Schweinezucht. Und er ist gefährlich für uns Menschen, denn Darwins Aussage geht eigentlich noch viel tiefer: Ansteckende Krankheiten und Antibiotika-Resistenzen machen nicht Halt vor Artenbarrieren. Tiere leiden an denselben Krankheiten, werden von denselben Bakterien und Viren befallen. Heute sind über 200 Krankheiten bekannt, die bei Mensch und Tier vorkommen und wechselseitig übertragen werden können.
Risiko für Krankheiten steigt
Epidemien und Pandemien sind multifaktorielle Ereignisse. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie ist wichtig, um solche Gesundheitskrisen künftig möglichst zu vermeiden. Was klar ist: Das Risiko für Infektionskrankheiten, die zwischen Tier und Mensch übertragen werden können (Zoonosen), ist in den letzten Jahrzehnten massiv angestiegen. Dazu gehören unter anderem SARS-Viren, MERS, Ebola und diverse Bakterienstämme oder Pilzerkrankungen. Die Gefahr steigt dramatisch, wo Tiere nicht artgerecht gehalten werden, wo viele Menschen und Tiere auf engem Raum zusammenleben und/oder wo die Menschen immer tiefer in die Ökosysteme und Rückzugsgebiete der Tiere vordringen und diese verspeisen. Die durch Zecken übertragene Frühsommer- Meningoenzephalitis (FSME) ist wohl auch dank den veränderten Klimabedingungen auf dem Vormarsch. Die Abholzung und Schaffung von offenen Lebensräumen und die Klimaerhitzung fördern beispielsweise die Ausbreitung von Moskitos, die Malaria oder Dengue-Fieber übertragen können. Der Handel – insbesondere der illegale, unkontrollierte – mit Wildtieren erhöht das Risiko für die Übertragung von Viren von Tier auf Mensch: Virenausbrüche haben ihren Ursprung nicht selten auf Märkten, wo wilde und domestizierte, lebende und tote Säugetiere, Vögel und Reptilien auf engstem Raum gehalten und zum Kauf angeboten werden. Globalisierung und Bevölkerungsdichte bieten Erregern das ideale Milieu, um sich erfolgreich und rasant global zu verbreiten.
Wir ernten, was wir säen
Die prominente italienische Virologin, Veterinärmedizinerin und Direktorin des One Health Center of Excellence der Universität von Florida, Professorin Ilaria Capua, unterstreicht in einem Gespräch mit Greenpeace: «Die Gesundheit von Menschen und Tieren zusammen mit der Gesundheit von Pflanzen und der Umwelt zu fördern, ist die einzige Möglichkeit, die Nachhaltigkeit des Planeten zu erhalten und zu bewahren.» Die Gesundheit der Umwelt und der Tiere hat also einen direkten Einfluss auf die Gesundheit der Menschen. Wir sind untrennbar miteinander verbunden. Wir sind verletzliche Individuen in einer verletzlichen Welt. Was wir der Umwelt antun, kommt früher oder später zu uns zurück, im Guten wie im Schlechten. Es wird nur dann einen gesunden Planeten und ein gesundes Leben für uns geben, wenn wir den Umgang mit Tieren drastisch verändern – das gilt auch für die Landwirtschaft.
Eine Gesundheit für alle
Auch in Europa werden zum Beispiel noch immer mehr Antibiotika an gesunde Tiere als an kranke Menschen verabreicht; die Folge sind multiresistente Bakterien, gegen die fast keine Antibiotika mehr helfen und lebensbedrohlich sind. Die Resistenzentwicklung ist eine natürliche Anpassungsentwicklung – ein Überlebenstrieb der Bakterien, die sich so vor dem Zelluntergang schützen. Erregern ist es egal, ob ihr Wirt menschlich ist oder tierisch. Oder – im Fall von Bakterien – pflanzlich. Zwischen der Tier- und der Humanmedizin (und sogar der Pflanzenwelt) gibt es diesbezüglich keine Trennlinien. Die Corona-Pandemie ist ein weiteres Warnsignal: Das Zusammenleben von Mensch und Tier muss neu und artenübergreifend gedacht werden. Zentral ist eine konsequente Umsetzung des «One Health»-Ansatzes: Systematische interdisziplinäre und multiprofessionelle Boards zwischen den relevanten Berufsgruppen – beispielsweise Ärzten und Tierärzten, Epidemiologen, Landwirten, Ökologen und Wildtierexperten – sind spätestens jetzt zur Pflicht geworden. Die Tier- und Humanmedizin sowie die Lebensmittelproduktion und der Zustand der Umwelt müssen vernetzt betrachtet werden – weltweit, ohne Kompromisse.
Zeit, die Weichen neu zu stellen
Wir fordern einen Systemwechsel in der Landwirtschaft und unterstützen deshalb die Trinkwasserinitiative sowie die Massentierhaltungsinitiative, die beide eine artgerechte Tierhaltung beinhalten. Wir rufen die EU und die Schweiz auf, sich für ein weltweites Verbot des Handels mit wilden Tieren einzusetzen und den Schutz von Ökosystemen an Land und im Meer sowie des Klimas zu intensivieren. Es braucht neue Konzepte zur Frage, wie die Menschheit mit der Natur in Einklang leben kann. Dabei muss auch die Wachstumsphilosophie hinterfragt werden dürfen. Das Wohlergehen der Tiere sowie biologische Vielfalt sind nicht «nur» eine moralische Vernunft, sondern auch eine medizinische.