Am Mittwoch, 27. November 2019, war es so weit: Die über 100’000 gesammelten Unterschriften der Gletscher-Initiative wurden in Bern auf der Bundeskanzlei eingereicht – und gebührend gefeiert.
«Tschou zäme!» Als Marcel Hänggi das Mikrofon auf dem Bundesplatz in Bern übernimmt, blickt er in rund 350 gespannte Gesichter. Es ist kurz vor halb 6 Uhr abends und vor dem Bundeshaus wuselt es nur so von Menschen mit Gletscher-Initiativ-Fahnen und -Liechtli. Sie alle haben sich an diesem Mittwoch in der Schweizer Hauptstadt eingefunden, um die gesammelten Unterschriften der Gletscher-Initiative der Bundeskanzlei feierlich zu übergeben. 112’296 sind es insgesamt, die alle in weisse Kisten verpackt in der Mitte des Platzes zu einer Art Eisberg aufgebaut wurden. «Vor etwas mehr als dreieinhalb Jahren hatte ich die Idee, eine Volksinitiative ins Leben zu rufen und nun sind wir hier, um die Unterschriften zu übergeben», setzt Marcel Hänggi seine Rede fort. «Ein grosses Danke an alle, die zu diesem Erfolg beigetragen haben!»
Die Gletscher-Initiative darf auf drei ereignisreiche Jahre zurückblicken. 2016 hatte Marcel Hänggi die Idee zur Initiative und machte sich auf die Suche nach Verbündeten. Greenpeace Schweiz geht schon früh mit an Bord und hilft ab 2017 mit, das Vorhaben auf die Beine zu stellen. Am Samstag, 25. August 2018, wird der Verein Klimaschutz Schweiz auf dem Sustenpass beim Steingletscher gegründet und ist fortan Trägerverein der Initiative. Schliesslich startet im April 2019 die Unterschriftensammlung und bereits nach knapp fünf Monaten sind die 100’000 Unterschriften zusammengetragen. Ein deutliches Zeichen, dass die Schweizer Bevölkerung eine verbesserte Klimapolitik will.
Ein Stück Schweizer Geschichte
Dass die Gletscher-Initiative nach so kurzer Zeit ihr Unterschriftenziel erreicht hat, dürfte unter anderem dem Wandel zu verdanken sein, der aktuell in der Schweiz aber auch weltweit zu spüren ist: «In den letzten Monate hat sich vieles verändert», stellt Marcel Hänggi während seiner Rede fest. «Im letzten Dezember hat der Nationalrat noch ein bereits sehr schwaches CO2-Gesetz weiter abgeschwächt. Kurz darauf haben die Klimastreiks der Jugendlichen begonnen, bei denen mehrere 10’000 Menschen demonstrierten. Und nun hat sich der Bundesrat zumindest schon mal zum Ziel der Senkung der Emissionen bis 2050 auf netto null bekennt.» Kein Wunder also, haben sich auch einige Klimajugendliche zur Übergabe der Unterschriften in Bern eingefunden. Passend mit einem Schild, auf dem der kleine Eisbär Lars fordert: «Save our planet».
Nach der Rede von Marcel Hänggi setzt sich die grosse, bunt leuchtende Masse an Unterstützerinnen und Unterstützer in Richtung Bundeskanzlei in Bewegung. Angeführt wird sie von zwei Eisbären von Greenpeace, die eine Laterne mit dem Schriftzug «Wir haben keinen Planeten B» tragen. Als die Menge bei der Kanzlei eintrifft und diese die Tür öffnet, brechen alle in Jubel aus. Die Freude darüber, die Unterschriften nun endlich abgeben zu können, ist spürbar. Nach und nach bringen Personen die Kisten mit den Signaturen zum Eingang, die restlichen stehen ihnen Spalier mit den Gletscher-Liechtli. Als die letzte Kiste übergeben wird, bricht erneut Jubel aus, diesmal noch lauter als zuvor. Die Klimajugendlichen stimmen «Plus chaud que le climat» an und alle rund 350 Anwesenden stimmen ein. Und plötzlich überkommt einen das Gefühl, dass jetzt gerade ein kleines Stückchen Schweizer Geschichte geschrieben wurde.
6 Fragen an Sophie Fürst, Geschäftsleiterin Verein Klimaschutz Schweiz
Gestern wurden die Unterschriften der Gletscher-Initiative überreicht. Was ist das für ein Gefühl?
Es ist ein Glücksgefühl. Die letzten Monate haben wir sehr viel Energie und Herzblut in die Gletscher-Initiative gesteckt. Dass mit uns über 350 Menschen die Initiative eingereicht haben, zeigt die grosse Unterstützung. Wir dürfen gemeinsam Stolz sein, dies geschafft zu haben.
Bist du überrascht, dass ihr schon nach relativ kurzer Zeit alle Unterschriften gesammelt habt?
Wir haben immer gehofft, dass wir die Unterschriften in kurzer Zeit sammeln können. Klimaschutz ist mittlerweile vielen ein wichtiges Anliegen. Doch ausserordentliche Ereignisse wie den Hitzesommer 2018 oder den Klimastreik konnten wir nicht planen. Sie haben wahrscheinlich einen gewissen Teil zum Erfolg der Gletscher-Initiative beigetragen.
Welches Statement überbringen die 100’000 Unterschriften dem Bundesrat?
Wir übergeben damit die Forderung nach mehr Klimaschutz dem Bundesrat. Wir hoffen, dass er unseren Wunsch ernst nimmt und die Schweiz auf Klimakurs bringt. Es wird Zeit, das Pariser Klimaabkommen konsequent umzusetzen.
Und was bedeuten sie für die Schweiz?
Sie erhält die Möglichkeit, ihre Verfassung mit einem Artikel zum Klimaschutz zu ergänzen. Das ist einzigartig. Zudem hat die Schweiz dann ein gemeinsames Klimaziel, auf welches die Gesamtgesellschaft hinarbeiten kann: Netto null Treibhausgasemissionen bis 2050.
Wie wichtig ist dieser Schritt für die Schweizer Umweltpolitik?
Sehr wichtige, denn die bereits lange bestehenden Forderungen im Bereich Umwelt- und Klimapolitik werden nun noch mit einer Volksinitiative gestützt. Wir haben damit die Chance, eine breite Basis in der Bevölkerung aufzubauen. Das Ziel ist klar und verständlich.
Denkst du, dass mit der Übergabe ein kleines Stückchen Schweizer Geschichte geschrieben wurde?
Da möchte ich mich jetzt noch nicht festlegen. Geschichte zeigt sich ja meist erst in der Retrospektive. Jedoch war es ein Meilenstein in der Geschichte der Gletscher-Initiative und für die zahlreichen Menschen, die sie unterstützen. Das ist für uns viel wichtiger.