Zwischen Rückblick und Ausblick: ein Überblick von Initiantin Meret Schneider
Gut ein Jahr ist es nun her, seit wir die Initiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz» lanciert haben. Ich erinnere mich genau an das optimistisch-flaue Gefühl im Magen: Werden wir es schaffen? Kriegen wir von Sentience Politics mit der Unterstützung zahlreicher Vereine und Organisationen diese 100’000 Unterschriften zusammen? Eine Herkulesaufgabe, auch für Parteien mit wesentlich mehr Infrastruktur und Budget. Und nie hätte ich dies erwartet: Bereits 15 Monate später sind die über 100’000 Unterschriften gesammelt, beglaubigt und in 72 Kisten verpackt, die nun als imposante Wand vor dem Bundeshaus aufgestapelt sind.
Davor stehen die Redenden aus unterstützenden Organisationen: Von den Grünen bis zur SVP, von Greenpeace bis zu Bauern von KAG Freiland, der Schweizer Tierschutz neben dem SP Ständerat Daniel Jositsch. Sie alle machen deutlich, dass die dringend notwendige Agrarwende und der Weg in Richtung einer umwelt- und tiergerechteren Landwirtschaft Anliegen sind, die Zuspruch aus der Breite der Bevölkerung und gerade auch von Bauern selber erhalten. Jetzt ist die Zeit zu handeln; unsere Wasserqualität nimmt ab, die Böden sind überdüngt, die Tierbestände pro Fläche nehmen zu – eine globale Sackgasse und die Wand aus Unterschriftenkisten bestärkt uns: Diese Kisten geben uns Schweizerinnen und Schweizern die Möglichkeit in die Hand, an der Urne den Weg einer zukunftsfähigen Landwirtschaft zu beschliessen und endlich zu beschreiten.
Nun gilt es, Danke zu sagen. Danke all den Organisationen, die gesammelt haben, Danke an alle Spendenden, Danke an die unzähligen Aktiven, die bei Kälte am Weihnachtsmarkt statt Magenbrot zu mampfen, Besuchende belagerten, und ihnen zwischen zwei Bissen Bratwurst die Bedingungen in den Bauernhöfen der vermuteten Bratwurstherkunft (Schweizer Fleisch!) aufzeigten. Danke. Danke. Danke!
Vor den Wahlen
Doch es ist nicht nur die Zeit, Danke zu sagen, sondern im gleichen Atemzug zum aktiv werden aufzurufen. Unsere Einreichung fand vor den Wahlen statt und dies nicht ohne Grund.
In dieser Sommersession hat der Nationalrat einen Vorstoss von Irene Kälin (Grüne) abgelehnt, in dem gefordert wurde, dass bei Ausstellungen den Kühen nicht mehr die Zitzen verklebt werden dürfen. Dies ist eine Praxis, die dazu dienen soll, möglichst pralle Euter zu generieren und für Kühe mit starken Schmerzen verbunden ist. Der Vorstoss wurde bachab geschickt. Ein weiterer Tiefpunkt dieser Session war die Ablehnung eines guten Gegenvorschlages zur Trinkwasserinitiative.
In der vergangenen Legislatur wurden Vorstösse für ein Verbot von invasiven Primatenversuchen, ein Stopp der Subventionen für Fleischwerbung oder ein Importverbot für tierquälerisch erzeugte Produkte wie Stopfleber diskutiert – allesamt abgelehnt. Es gibt sie, die Politikerinnen und Politiker, die mit Postulaten protestieren, mit Motionen monieren und mit Interpellationen intervenieren, wenn das Tierwohl politisch keine Berücksichtigung erfährt. Es gibt sie in allen Parteien, aber sie sind zu gering an der Zahl, um etwas zu bewirken. Für eine gute Umsetzung der Massentierhaltungsinitiative brauchen wir ein tierfreundlich gesinntes Parlament – und am 20. Oktober haben wir es in der Hand!
Inexistente Stimme der Tiere
Keine Partei und vermutlich keine Kandidatin oder Kandidat wird komplett den eigenen Wünschen entsprechen. Es gibt immer Themen, in denen die eigene Meinung von der Parteimeinung abweicht, darum ist es wichtig, die Themen, die einem am Herzen liegen, zu priorisieren. Zur Zeit ist die überwiegende Mehrheit nicht bereit, das Tierwohl zu verbessern, selbst wenn noch nicht einmal Kosten damit verbunden sind – das hat die vergangene Legislatur gezeigt. Die Stimme der Tiere ist praktisch inexistent und trotz Aufwind für viele Umweltanliegen äussert sich kaum jemand zu den Bedürfnissen der Tiere und deren Gewichtung. Wer nicht wählt, weil ihm/ihr niemand komplett zusagt, die Kandidierenden zu wenig konsequent und vielleicht in einigen Themen nicht mit der eigenen Meinung kongruent sind, ist nicht neutral. Eine Enthaltung ist nicht neutral, sondern unterstützt die aktuell stärkere Seite. Und die aktuell stärkere Seite – was auch immer es ist – die Stimme der Tiere ist es nicht.
Es braucht uns hier. Informieren wir uns! Welche Kandidierenden und welche Parteien haben in der Vergangenheit für Tieranliegen gestimmt oder sprechen sich aktiv dafür aus? Wählen wir sie! Es braucht uns hier. Es ändert sich nicht ohne uns. Für ein tierfreundlicheres Parlament und eine gute Umsetzung der Massentierhaltungsinitiative!
Meret Schneider ist Co-Geschäftsleiterin von Sentience Politics. Sie hat einen Abschluss in Linguistik, Publizistik und Umweltwissenschaften. Sie ist Zürcher Kantonsrätin und Gemeinderätin der Grünen in Uster.