Der Bieler Facharzt für Viszeralchirurgie Dr. Jérôme Tschudi (http://www.dr-tschudi.ch/) erfüllt sich einen langgehegten Traum und ist als Arzt und Crew-Mitglied derzeit bis Mitte Mai in Brasilien auf dem Greenpeace-Schiff Esperanza – und berichtet uns hier ungefiltert von seinen Erlebnissen und Eindrücken. Die Tour ist Teil der Kampagne zum Schutz des erst kürzlich entdeckten und von Greenpeace erforschten Amazonas-Riffes vor der brasilianischen Küste. Leider haben die Ölkonzerne ein Auge auf die Region geworfen, die als einzigartiges, ja neuartiges Ökosystem gilt. (https://www.greenpeace.ch/act/amazonas-riff/)

Jérôme Tschudi ist Teil einer wissenschaflichen Expedition. Sie soll die Basis legen, das bisher fast unerforschte ökologisch sensible und wertvolle Gebiet zu einem Meeresschutzgebiet zu machen, wo Fischerei-Aktivitäten und Ölbohrungen verboten sind. Ein WissenschaftlerInnen-Team ist mit an Bord und wird – u.a. mit einem ROV-U-Boot – Daten sammeln und das Riff dokumentieren. Das wird helfen, die Risiken und Konsequenzen von Ölbohrungen in dem ökologisch wertvollen Gebiet zu benennen, eine mögliche Schutzzone zu erarbeiten und die PolitikerInnen und die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es da unbedingt ein Meeresschutzgebiet braucht. 

Jerôme Tschudi sagt: «Ich freue mich, Leute kennenlernen, die sich aus Überzeugung und ohne persönlich Profit daraus zu schlagen für die Umwelt einsetzen, ihre Ideen, ihre Motivation, ihre Freuden und Ängste. Meine ganz grosse Hoffnung ist, dass wir es einmal schaffen, 40% der Weltmeere unter Schutz zu stellen.»


30.3.2018 – Tag 19

Frühmorgens auf der Brücke angespannte Ruhe, die Konzentration ist richtig spürbar, ich kenne diesen Zustand. Es ist ganz wie im Operationssaal vor einem grösseren Eingriff, wenn man beim Hände waschen gedanklich schon die Operationsschritte durchgeht. Es kommen uns mehrere Tanker und sonstige Handelsschiffe entgegen, wodurch die an sich breite Fahrrinne deutlich schmaler wird. Das Wasser ist braun, mit Sedimenten des Amazonas vermischt. Die Skyline von Belem wird immer besser sichtbar, verschwindet zwischendurch hinter einer Regenwand, um dann wieder aufzutauchen. In Belem regnet es häufig, mehrmals am Tag, das Wasser ist aber warm, für uns Europäer ein eigenartiges Gefühl, als würde man unter einer Dusche stehen.

Auf Deck werden die Trossen bereitgelegt. Diese sind 4-5cm dick und haben am Ende ein « Auge » gespleisst, das auf dem Quai um einen der vielen Poller gelegt wird. Zwischenzeitlich ist der Lotse an Bord gekommen und hat das Kommando übernommen, er führt uns an einen Quai, auf dem wenige Meter entfernt jeweils ein grosser Markt stattfindet. Auf dem Quai warten schon verschiedene Leute von Greenpeace auf uns, nicht jedoch die Leute der Zoll-und Sanitätsbehörde, für die Karfreitag ein Feiertag ist, sie werden voraussichtlich montags an Bord kommen.

Vor versammelter Crew informiert der Chef Greenpeace vor Ort über die Verhaltensregeln an Land. Kein Schmuck und keine Uhren, der Pass nur in Form einer Fotokopie, möglichst wenig Geld mitnehmen, möglichst zu zweit oder in einer Gruppe umhergehen, keinen selbsternannten Touristenführern folgen, sondern nur solchen, die Greenpeace empfehlen kann, ab 21 Uhr das umzäunte Areal nicht verlassen, keine T-Shirts mit Greenpeace-Aufschrift, im Gespräch Greenpeace nicht erwähnen, weil die illegalen Holzfäller kein Pardon kennen. Keine Getränke von Unbekannten annehmen und darauf achten, dass niemand dem Getränk etwas beimischt. Wir kriegen alle ein eingeschweisstes Blatt Papier mit Notrufnummern ausgehändigt. Ab heute Abend wird eine Wache den Gangway (Treppe zum Schiff) überwachen, wir Wachführer sollen regelmässig mit ihm sprechen und zu trinken und essen anbieten, dies einerseits zur Kontrolle und andererseits um sicher zu gehen, dass er gegebenenfalls auch anruft. Belem gehört zu einer der Millionenstädte mit der höchsten Kriminalitätsrate, innert 3 Wochen wurden in Brasilien soviel Menschen umgebracht, wie in den ersten fünf Monaten von 2017 weltweit Terroranschlägen zum Opfer fielen. Mir ist damit bereits die Lust auf Ausgang vergangen. Ausserdem ist es an Land sehr heiss und schwül. Wenn man aus der klimatisierten Esperanza herauskommt, kriegt man den Eindruck, gegen eine Wand zu laufen. Wir trinken also unser Bier in der Lounge, unterhalten durch die Brasilianerin, die zu ihrer Musik tanzt, wie ich noch niemanden habe tanzen sehen, es bewegt sich an ihr einfach alles im Rhythmus zur Musik und sie lacht praktisch ununterbrochen.


29.3.2018 – Tag 18

In der Nacht kreuzen wir einen Tanker und mehrere Fischerboote, wir verfolgen also genau, was sich auf dem Radar tut. Dabei zeigt mir der Offizier sehr diskrete Echos, die ich übersehen hätte, und die Fischerboote sind. So sollen sich auch Segelyachten darstellen, was mich gleich etwas beunruhigt, weil übersehene Segelboote den schnell fahrenden Handelsschiffen unmöglich ausweichen können, dafür sind sie viel zu langsam. Plötzlich erscheint ein sehr grosses unregelmässiges Echo mit verschiedenen Farben auf dem Bildschirm. Ich erfahre, dass es sich um eine Regenwolke handelt. Das Gewitter ist von der Brücke aus gut zu sehen, die Regenwand wird von gelegentlichen Blitzen kurz beleuchtet, sie streift uns aber nicht. MIt dem Feldstecher beobachte ich, wie das Fischerboot in der Regenwand verschwindet. Dann muss ich in den « Nassraum », um die Lotsentüre fester zu verschliessen, weil Wasser eingedrungen ist. Die kräftigen Bolzen müssen nachgezogen werden, der Schlüssel dazu ist neben der Türe angebracht und soll auf gar keinen Fall entfernt werden… sicher nicht. Bleibt nur noch das Aufnehmen von etwa 40 l Meerwasser, das im Nassraum hin-und her schwappt. Später kontrollieren wir gelegentlich auf dem Bildschirm die Lotsentüre, sie wird von einer Videokamera überwacht. Sie bleibt dicht.

Nachmittags wird weiter geputzt und aufgeräumt. Irgendwie erinnert mich das an eine Braut, die sich für ihre Hochzeit herausputzt. Meine Arbeit ist das Abspritzen des Achterdecks und der Gemüse-und Obstkisten, damit wir sie mit frischem Gemüse/Obst füllen können.

Dann wird das « Mann-über-Bord-Manöver » nachgeholt. Alle rennen auf den Alarm hin zum dafür vorgesehenen Schlauchboot an Deck. Wer mit dem Wassern nichts zu tun hat, geht auf’s angrenzende Helikopterdeck und folgt mit den Augen der grossen orangenen Boje, die den « Mann » markiert. Obwohl wir mehrere Ausgucker sind, verlieren einige die Boje aus den Augen, weil sie nur auf dem Wellenberg sichtbar ist, im Wellental bleibt sie verborgen. Als Segler kenne ich verschiedene Manöver, um den « Mann » wieder an Bord holen zu können, auf dem Meer


28.3.2018 – Tag 17

Frühmorgens werde ich informiert, dass zwei Schlauchboote zu Wasser gelassen werden. Rein in die Kleider, für die Sonnencrème bleibt keine Zeit. Da ich in meiner Ruhezeit fotographiere, werde ich nicht eingespannt und kann in Ruhe meine Fotos und Videos aufnehmen. Es werden zwei Schlauchboote gewassert, wobei es für das zweite die erste Fahrt nach umfassender Revision ist. Leider platzt dabei der Kühlschlauch, der bei der Revision nicht ersetzt worden war, da er « gut aussah ». Dies zieht eine ganze Reihe von Komplikationen nach sich und endet mit verschmolzenen Elektrokabeln. Für unsere Mechaniker bedeutet dies mehrere Stunden Arbeit. Die zweite Testfahrt verläuft dann ohne weitere Probleme.

Da schon Schlauchboote im Wasser sind und die Esperanza ihre Geschwindigkeit gedrosselt hat, wird die Gelegenheit erfasst, die neue Lotsenleiter zu testen und am Aussenrumpf einen Metallhalter anzubringen, der beim Einsatz über dem Amazonas Riff das Sonar in Stellung halten wird. Dieses Gerät ist leistungsfähiger als das an Bord befindliche Echolot, das nur bis 70m reicht. Das Riff soll aber bis sehr viel tiefer untersucht werden, es wird von 200m gesprochen. Hierfür steht ein Tauchroboter an Deck mit Kameras, Lampen und Greifarm sowie Propellern. Daneben stehen zwei grosse Container, der eine wird als Kontrollraum für den Tauchroboter fungieren, im anderen ist wahrscheinlich sonst noch notwendiges Material verstaut. Die ganze Ausrüstung wird den Wissenschaftlern von Greenpeace geleast zur Verfügung gestellt.

Fasziniert schaue ich unserem Ausrüster zu, wie er auf der unruhigen Lotsenleiter schweisst. Schweissen ausserhalb des Bootsrumpfes auf hoher See, alle Achtung.


27.3.2018 – Tag 16

Um 3 Uhr morgens immer noch 26 Grad Celsius. Wieder eine dringliche Meldung. Diese Nacht haben Piraten vor Ghana mehr Glück gehabt, sie konnten ihren Angriff erfolgreich durchführen und die Reederei wird nun wohl Lösegeld zahlen müssen.

Die Klimaanlage hat nicht ganz den erwünschten Effekt gezeigt, weil ich in der vordersten Vorschiffskabine übernachte, die am Ende der Kühlschlaufe ist. Es reicht aber, um trotz der Hitze schlafen zu können.

Tagsüber schnappte mich der Bootsmann noch in meiner Ruhezeit. Er will den Zeitverlust im Schiffsunterhalt zu Beginn der Überfahrt aufholen, als wir alle mehr oder weniger aufgrund des schlechten Wetters und der Seekrankheit zur Untätigkeit gezwungen waren. Nun wird gestrichen, was das Zeug hält, unter sengender Sonne, das Sitzen auf dem kochend heissen Metalldeck ist nur mit einer Matte möglich, dazu trage ich eine lange Arbeitshose und habe mir Knieschoner angezogen, um die Kniescheibe zu entlasten. Ich hasse eigentlich das Auftragen von Sonnencrème, aber es gibt genug Beispiele um mich herum, was ohne passiert. Dann tropft es immer genau auf die Stelle, die ich malen will, ich bringe das mit den allgemeinen Reinigungsarbeiten in Zusammenhang, bis ich merke, dass die Tropfen von mir stammen. Wir sind nun wirklich in den Tropen, der Wind lässt immer mehr nach und die Temperaturen steigen. Die Brasilianerin sieht mich mitleidig an und meint ermutigend in ihrem bruchstückhaften Englisch: « In Belem more hot ».

Es arbeiten aber auch alle anderen unter Volllast. Leid tun mir vor allem die Mechaniker im Maschinenraum, wo es über 50 Grad heiss ist. Kein Murren, gute Stimmung, « chillen » beim Feierabendbier, was will man mehr.

Wenn ich sehe, wie unsere alte Lady Esperanza mit ihren 34 Jahren gut im Schuss ist, muss ich den Crews von Greenpeace ein Kränzchen winden. Mein Offizier meinte heute, Handelsschiffe seien nach 25 Jahren amortisiert bzw. abgeschrieben und müssten von da an keine Steuern mehr bezahlen, da ihre Lebensdauer bald abläuft. Bei Greenpeace ist jedenfalls jeder Franken gut angelegt!


26.3.2018 – Tag 15

Diese Nacht haben wir den brasilianischen Behörden unsere Route und approximative Ankunftszeit übermittelt. Im Gespräch erfahre ich, wie die Profis an Bord angestellt sind. Sie kriegen einen Vertrag für die aktuelle Mission, also z.B. Amazonas Riff. Da der Job als 24/7-Einsatz gilt, erhalten sie nach Abschluss der Expedition ihren Lohn für die gleiche Zeit weiter bezahlt, wie sie auf See waren. Gegen Ende des bezahlten Urlaubs wird ein neuer Vertrag aufgesetzt. Eine Garantie für die weitere Beschäftigung besteht aber nicht, und schon gar keine für das Einsatzgebiet, obwohl hier natürlich Wünsche angebracht werden können.

Die Medikamente im « Spital » sind für die niederländische Handelsschiffahrt vorgeschrieben und fein säuberlich in einer Inventarliste festgehalten. Ich bin nicht schlecht erstaunt, darin auch Kondome und sogar eine « Pille danach » vorzufinden, alles natürlich mit Verfalldatum. Eine grosse niederländische Apotheke liefert, was bestellt wird und nimmt verfallene Medikamente auch zurück. An Bord sind 5 attraktive junge Frauen und mindestens ebenso viele attraktive Männer. Es wird zwar viel gelacht und palavert, aber Flirts sehe ich keine, der Umgang ist kameradschaftlich und « asexuell ». Auch wenn mir vielleicht nicht alles bekannt ist, merke ich nichts von « # me too », was sicher zur angenehmen Atmosphäre an Bord beiträgt.

Nachmittags helfe ich wieder mit bei Unterhaltsarbeiten, für mich im wesentlichen putzen und streichen. Frische Luft und voll an der Sonne, dazu körperlich aktiv, es braucht wirklich nicht mehr, um Abends todmüde zu sein.

Weitere Tagebucheinträge:

[display-posts category=»Bordtagebuch» posts_per_page=»-1″ include_date=»false» order=»ASC» orderby=»title»]