Der Bieler Facharzt für Viszeralchirurgie Dr. Jérôme Tschudi (http://www.dr-tschudi.ch/) erfüllt sich einen langgehegten Traum und ist als Arzt und Crew-Mitglied derzeit bis Mitte Mai in Brasilien auf dem Greenpeace-Schiff Esperanza – und berichtet uns hier ungefiltert von seinen Erlebnissen und Eindrücken. Die Tour ist Teil der Kampagne zum Schutz des erst kürzlich entdeckten und von Greenpeace erforschten Amazonas-Riffes vor der brasilianischen Küste. Leider haben die Ölkonzerne ein Auge auf die Region geworfen, die als einzigartiges, ja neuartiges Ökosystem gilt. (https://www.greenpeace.ch/act/amazonas-riff/)
Jérôme Tschudi ist Teil einer wissenschaflichen Expedition. Sie soll die Basis legen, das bisher fast unerforschte ökologisch sensible und wertvolle Gebiet zu einem Meeresschutzgebiet zu machen, wo Fischerei-Aktivitäten und Ölbohrungen verboten sind. Ein WissenschaftlerInnen-Team ist mit an Bord und wird – u.a. mit einem ROV-U-Boot – Daten sammeln und das Riff dokumentieren. Das wird helfen, die Risiken und Konsequenzen von Ölbohrungen in dem ökologisch wertvollen Gebiet zu benennen, eine mögliche Schutzzone zu erarbeiten und die PolitikerInnen und die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es da unbedingt ein Meeresschutzgebiet braucht.
Jerôme Tschudi sagt: «Ich freue mich, Leute kennenlernen, die sich aus Überzeugung und ohne persönlich Profit daraus zu schlagen für die Umwelt einsetzen, ihre Ideen, ihre Motivation, ihre Freuden und Ängste. Meine ganz grosse Hoffnung ist, dass wir es einmal schaffen, 40% der Weltmeere unter Schutz zu stellen.»
25.3.2018 – Tag 14
Während meiner Wache zeigt das Thermometer 24 Grad C um Mitternacht an, die Luftfeuchtigkeit liegt über 90%. Auf dem Radar ist nur ein Fischerboot bei seiner Arbeit zu erkennen. Die Esperanza hat eine Zusatzantenne eingebaut, die mit « Automatic Identification System » auch kleine Boote lokalisieren kann. Auf der Karte erscheint nun eine wahre Armada von Fischerbooten bis hin zur senegalesischen Küste. Erstaunlich, dass es überhaupt noch Fische im Ozean gibt. Wieder ertönt ein Notruf, diesmal von einem Schiff vor der nordamerikanischen Küste.
Am Mittagessen setze ich mich zum Ausrüster. Er kümmert sich unter anderem um die Ausrüstung an Deck und auf den Schlauchbooten. Er erzählt mir, dass er adipös gewesen sei. Vor drei Jahren hat er sich entschlossen, abzunehmen, dies praktisch ausschliesslich mit Sport. So macht er 1000 Liegestützen täglich und besucht auch täglich unseren Fitnessraum an Bord mit seinen verschiedenen « Folterinstrumenten ». Damit hat er 28kg verloren und halten können, alle Achtung. Wenn man seinen durchtrainierten athletischen Körper sieht, kann man ihn sich gar nicht fettleibig vorstellen.
Der erste Offizier fragt mich, wie ich mich in diesen zwei Wochen eingelebt habe. Gut, ich kenne nun die Routine und bin überrascht, wie reibungslos und sozusagen spannungslos das Zusammenleben mit der Crew ist. Von früheren zweiwöchigen Segeltörns weiss ich, dass eine Woche auf engem Raum gut toleriert wird, in der zweiten Woche bauen sich in der Regel Spannungen auf, sodass man dann froh ist, von Bord gehen zu können. Gleichzeitig freue ich mich aber auf unser erstes Etappenziel und vor allem auf die nachfolgenden wissenschaftlichen Arbeiten. Etwas Sorgen macht mir die extreme Hitze, die uns an Land erwartet und die vielen Leute, die an Bord kommen werden, die Esperanza wird mit etwa 45 Personen voll belegt sein. Für meine Kabine bedeutet das vier Personen auf engstem Raum. Hoffentlich sind alle diszipliniert…
Im Meer erkenne ich viele Algen, was ich bisher so auf hoher See nicht gesehen habe, Bedeutung? Einmal sind wir Delphinen begegnet, von Zeit zu Zeit versucht ein Schwarm fliegender Fische, einem Fressfeind zu entgehen. Diese landen manchmal ungewollt auf dem Deck von Segelyachten, das Deck der Esperanza liegt für sie viel zu hoch.
Heute hat sich niemand zum Kochen des Abendessens eingetragen, sodass ich mich wieder melde. Wieder hilft mir der Koch, wir kommen zügig voran und es bleiben sogar noch 10 min bis zur Essenszeit um 18 Uhr. Nur schade, dass ich mit dem Englisch des Inders so Mühe habe, er spricht zwar sehr gut, aber die Aussprache ist für mich schwer zu verstehen.
24.3.2018 – Tag 13
Wir haben die Cap Verden hinter uns gelassen und befinden uns etwa in der Mitte des Atlantiks. Es wird immer heisser, der Wind flaut ab und die Wellen legen sich zunehmend. Wir starten heute die Klimaanlage, sodass wir uns nachts wieder mit einem Leintuch werden zudecken können, jetzt war es dazu einfach zu heiss. Arbeiten an Deck sind bei extrem hoher Luftfeuchtigkeit schweisstreibend und entsprechend anstrengend.
Morgens wird noch gearbeitet, nachmittags ist dann Wochenendbetrieb. Am Abend nehmen alle am Barbecue auf dem Achterdeck teil, lockeres Ausklingen der Woche wie zu Hause im Garten. Unser Bootsmann ist Grillmeister, was gut ist für die Gruppenbildung, selbst der Kapitän bringt Bierbüchsen. Die Frauen haben sich schön gemacht und etwas frische Kleider aus der Reserve geholt, bravo. Der Radio-Offizier bringt die Musik mit, ferngesteuert mit seinem Handy über Lautsprecher, die er heute erst unter dem Helikopterlandeplatz montiert hat.
Ich kann kein einziges Musikstück erkennen und realisiere einmal mehr, dass uns eine gute Generation trennt, die meisten sind zwischen 20 und 35 Jahre alt. Dann habe ich noch ein Gespräch mit meinem Kabinenkumpel, der Neuseeländer/Australier ist der zweitälteste mit 55 Jahren und seit 10 Jahren bei Greenpeace tätig. Meist war er mit der Arctic Sunrise unterwegs und beschreibt mit viel Humor die Eigenschaften dieses Eisbrechers ohne Kiel, der manchmal so stark rollt, dass der Kapitän freiwillig seine Kabine mit einer der unteren Decks tauscht. Wer dann noch mag, kann sich in der Lounge einen Film ansehen. Ich werde das auslassen und etwas schlafen, bevor meine Wache um Mitternacht beginnt.
23.3.2018 – Tag 12
Wir sind während meiner Wache einem Schiff begegnet! Gesehen haben wir es aber nur auf dem Radar, einem grossen Bildschirm ziemlich genau in der Mitte der Brücke. Nun kennt ja jeder, was ein Radar ist. Meinte ich auch, aber dieses Gerät kann noch viel mehr, als einfach einen Gegenstand in der Ferne nachzuweisen. Es zeigt uns an, um welches Schiff es sich handelt, Schiffsname, Heimathafen, Schiffslänge und -tonnage, Kurs, Geschwindigkeit, Zeit bis zur Kreuzung unserer beider Routen, Zeitpunkt des Minimalabstands zur Esperanza. Es wird dann etwas über einer Meile entfernt vorbeiziehen. Da das Schiff beim Beginn meiner Wache 16 Meilen entfernt lag, lag es noch hinter dem Horizont und war entsprechend nicht zu sehen, ausser eben auf dem Radar. Und dennoch wussten wir fast alles darüber, ohne Funkkontakt. Dann stellte der Offizier eine Funktionsstörung des Satellitenkompass fest, was er daran erkannte, dass die beiden anderen Kompasssysteme übereinstimmten. Ein irrtümlicher Kurswechsel wurde dadurch vermieden.
Plötzlich ging ein Alarm los. Nachts ist die Brücke nicht beleuchtet, um die Nachtsicht nicht einzuschränken, nur das schwache rötliche Leuchten der Monitore ist sichtbar, und es ist alles still bis auf die üblichen Schiffsgeräusche. Das Alarm gebende Gerät leuchtet rot auf, wir müssen hinlaufen, um dem unangenehm lauten Piepsen ein Ende zu bereiten. Auf dem Display steht, dass ein Piratenangriff auf ein Schiff vor Nigeria stattgefunden hat, das von einem Schnellboot aus beschossen wurde. Es folgte ein Schusswechsel und das Schnellboot drehte ab, kaperte kurz darauf ein Fischerboot und zwang dieses, einen Hafen in Benin anzulaufen. Kaum haben wir uns darüber ausgetauscht, ertönt ein Notruf auf der Seenotfrequenz. Das Schiff liegt aber vor Frankreich und ist damit für die Esperanza, die sich mitten im Atlantik befindet, innert nützlicher Zeit unerreichbar.
Wie immer kontrolliere ich auf der elektronischen Karte, wo sich unser Schiff befindet, jeden Tag ein klein bisschen weiter zum Ziel Belem in Brasilien hin. Wie immer hat der Offizier die Kartenupdates der Admiralität zu Beginn der Wache ins System eingespeist. Wir werden uns schon bald bei den brasilianischen Behörden anmelden müssen, auf der Karte ist eingezeichnet, wann wir die Meldepflicht erfüllen müssen, und zwar noch weit innerhalb der internationalen Gewässer. Zum x-ten Male studiert der Offizier die Seekarte zum Einlaufen nach Belem ein, wann welcher Kurswechsel zu erfolgen hat und wo die Untiefen sind.
Die Tide erreicht in Belem rund 3m, je nach Wasserstand bleibt nur wenig Wasser unter dem Kiel. Dieser befindet sich bei der Esperanza gut 5m unter der Wasseroberfläche. Er zeigt mir, wo der Lotse zusteigt, der dann unser Schiff bis zum Quai führen wird. Dieser wird mit der neuen Lotsenleiter an Bord steigen können, ein speziell langes Trittbrett ist mir bei dieser aufgefallen, dieses verhindert, dass sich die Leiter um ihre Achse dreht, was den Lotsen aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Beim Manöver müssen alle Anwesenden Schwimmwesten tragen, die Lotsentüre im Rumpf wird geöffnet und die wasserdichte Türe zum Schiffinneren muss geschlossen sein. Dies habe ich anhand der schriftlichen Warnschilder im sogenannten «Nassraum» der Esperanza erfahren, das Manöver habe ich noch gar nicht mitbekommen.
Den ganzen Nachmittag haben wir mit Putzen und Streichen verbracht. Nach dem Auftragen einer dritten Grundierungsschicht auf den rostbehandelten Stellen durften wir dann grössere Bereiche des Decks streichen. Es ist eine wahre Freude, wenn endlich aller Rost verschwunden ist und das Deck wie neu glänzt. Die Amerikanerin fragte mich heute ganz besorgt, ob ich diese einfachen Arbeiten erniedrigend finde. Ich konnte sie beruhigen. Keine Arbeit ist für mich erniedrigend, jede hat ihren Wert und muss geschätzt werden, aber es gibt schon Leute, die besser streichen als ich.
Ich habe noch gar nie erwähnt, wie die Arbeit auf der Esperanza organisiert ist: Tagwache um 07.30Uhr, Arbeitsbeginn um 08 Uhr, Pause um 10 Uhr für eine Viertelstunde, dann erneut Arbeit bis zum Mittagessen Punkt 12 Uhr. Mittagspause bis 13 Uhr, dann wird bis 15 Uhr gearbeitet mit derselben Pause wie morgens. Um 17 Uhr ist Arbeitsschluss mit der bereits beschriebenen « Bier-Stunde » auf dem Achterdeck. Für Wachhabende besteht ein separater 24-Stunden-Arbeitsplan, Ämtchen kommen dazu, wie z.B. das Putzen der Duschen, WC’s, der Messe etc. jeweils morgens in der Regel bis 09 Uhr.
Der Unterhalt so eines grossen Schiffs gibt unglaublich viel zu tun, nebst den von mir beschriebenen relativ unqualifizierten Arbeiten sind drei Ingenieure, ein Elektriker, zwei Mechaniker, ein Ausrüster, ein Informatiker, ein Bootsmann, vier Matrosen mit mir als angelernter Matrose und Schiffsarzt voll damit beschäftigt, alle Systeme in Schwung zu halten. Der Kapitän und seine drei Offizieren schauen dazu, dass die Esperanza ihr Programm einhält und ihre Ziele erreicht und der Koch mit seiner Assistentin sorgen für das leibliche Wohl aller.
Vor Feierabend kam die Crew in der Messe zusammen und der Kapitän hat uns über die neuen Vorschriften für Matrosen informiert. Diejenigen, die auch auf der Brücke Wache schieben, brauchen hierfür ein spezielles Papier, ich habe wohl gerade noch Glück gehabt… Greenpeace hat einen Informationsbogen zugemailt, in dem jede mögliche Unterstützung zur Weiterbildung angeboten wird. Vorerst werden die Matrosen alle zwei Wochen vom Bootsmann und ersten Offizier qualifiziert, diese Qualifikationen sind für die Zulassung zur Prüfung nötig.
Dann erwähnte er noch, dass wir Belem dank den kräftigen Passatwinden wohl bereits in einer Woche erreichen werden mit einem etwas längeren Aufenthalt als primär vorgesehen. Er warnte uns vor Ausgängen an Land, Belem soll ein gefährliches Pflaster sein, was mir später von einem der Mechaniker bestätigt wurde, er wurde dort am gleichen Tag gleich zweimal ausgeraubt.
22.3.2018 – Tag 11
Die Wache war wieder ruhig. Ich verbringe sie zum grössten Teil mit meinen Runden durch die Esperanza, was mich fast überall hinbringt ausser in die Kabinen. Nach wenigen Tagen spüre ich meine Knie, auf den steilen Treppen schlage ich ausserdem häufig meine linke Achillessehne an, weil beim Treppablaufen praktisch nur die Ferse Platz auf den schmalen metallenen Stufen findet, und vom Hochziehen am Treppengeländer schmerzt meine rechte Schulter vermehrt, was mich dazu zwingt, mich vor allem mit dem linken Arm hochzuziehen.
Wahrscheinlich tritt jetzt ein Trainingseffekt ein, «meine» Hundwache bleibt mir scheinbar erhalten zu bleiben. Dazwischen wird geplaudert, mein Offizier ist glücklicherweise gerne für Gespräche zu haben, wenn seine Arbeit ihn nicht gerade fordert. Er war zuerst gelernter «Wasserbauer» oder so ähnlich, ein knochenharter Job mit Unterhalt von Böschungen, Holzarbeiten, Schleusen, Bauten im und am Wasser, in Kanälen etc. Irgendeinmal hat er realisiert, dass sein Beruf keine Aufstiegschancen bietet und er ihn körperlich nicht ewig würde durchhalten können. Er machte das Berufsabitur und studierte Nautik an der Fachhochschule, ist nun dritter Offizier auf der Esperanza, beruflich sind damit alle Optionen offen.
Greenpeace hat 2017 eine «Plastiktour» im Mittelmeer durchgeführt, um Regierungen und Bevölkerung für das Problem Plastik zu sensibilisieren. Plastik wird unter UV-Strahlung in kleine Bruchstücke zerkleinert, die von Fischen geschluckt werden und so in die Nahrungskette gelangen. Was das auf längere Zeit bedeutet, ist unklar, besser bekannt sind die Bilder verhungerter Jungvögel, deren Magendarmtrakt voll mit Plastikteilen war, die sie von ihren Vogeleltern verfüttert bekommen hatten. In den Ozeanen gibt es insgesamt 5 Wirbel, wo verschiedene Strömungen zusammentreffen, und wo sich dieser Plastikmüll ansammelt.
Auf meine Frage, ob man nicht versuchen sollte, diese Wirbel mit Trillionen von Plastikteilen auszufischen, hat er mich auf www.theoceancleanup.com hingewiesen. Die Organisation wurde 2013 von einem 1994 geborenen Holländer gegründet mit dem Ziel, den Pazifikwirbel bis 2050 leer zu fischen. Da die Plastikteilchen mehrheitlich an der Oberfläche schwimmen, werden Ölsperrenähnliche Gebilde eingesetzt, in denen sich der Plastikmüll ansammelt. Geplant ist die Verwertung dieses Plastiks durch Pyrolyse an Land, einerseits also durch Rückbau zu Monomeren als Grundstoff für neue Plastikprodukte, andererseits zu Erdöl. Längerfristig soll die Organisation durch den Verkauf dieser Produkte sich selbst finanzieren können.
Dann wollte ich wissen, wieviel Diesel mit den Elektromotoren gespart werde. Der Verbrauch wird auf etwa einen Drittel reduziert, der Diesel wird ja zum Betreiben der Generatoren benötigt, die den Strom für den Elektroantrieb und den Schiffsbedarf liefern. Im Logbuch haben wir dann den täglichen Verbrauch nachgesehen. Lotsen verlangen in der Regel, dass die Hauptmotoren laufen, um im Notfall volle Kraft zu haben. Obwohl wir also bei der Ausfahrt von Bordeaux mit dem Ebbstrom den ruhigen Fluss hinuntergefahren sind, war der Treibstoffverbrauch dort etwa dreimal höher als später auf See. Ich frage mich nun, ob Kreuzfahrtschiffe, die täglich bis zu 320 to Treibstoff benötigen, nicht auf Elektroantrieb umgestellt werden sollten, man kann sich den Gewinn für Reederei und Umwelt vorstellen, vor allem, wenn dieses Antriebskonzept breit nachgeahmt werden sollte.
Den Nachmittag haben wir Decksmannschaft mit Streichen verbracht. Wo Rost geklopft worden war, mussten wir zunächst eine Grundierung und dann einen Aluminiumprimer auftragen. Ein Zeitverzug muss unbedingt vermieden werden, schon nach Stunden bildet sich auf den freiliegenden Stahlteilen Flugrost. Ich werde morgen jeden Knochen spüren. Es geht ja nicht nur ums Streichen, was einfach wäre. Der Rost bildet sich jeweils, wo Meerwasser stehen bleibt, bei Relingstützen, in der Fussreling, sonstigen Aufbauten auf Deck etc., die natürlich mehr oder weniger gut zugänglich sind.
Entsprechende Verrenkungen sind nötig, für ältere Semester wie mir fehlt dann jede Eleganz… Den Spanier, der die schwerste Arbeit durchführte, nämlich das Klopfen und Wegfräsen des Rosts habe ich gefragt, ob er das in der spanischen Marine auch habe machen müssen. Er lachte und meinte, sie hätten jeweils Einsätze von 2 Monaten auf See gehabt und dann 3 Monate Urlaub, Unterhaltsarbeiten seien während des Urlaubs in der Werft durchgeführt worden…so geht’s auch, nur teurer.
Mittlerweile hat der Wind aufgefrischt und die See geht hoch, die Esperanza rollt wieder deutlich mehr. Ich habe jetzt gelernt, wie man in dieser Situation durch die Gänge läuft, nämlich richtig schräg, ganz so, wie sich ein Motorradfahrer in die Kurve legt. Das sieht dann ziemlich lustig aus, die Füsse auf der einen Seite des Gangs und der Kopf auf der anderen. Durch das Rollen läuft man dann nicht gerade, sondern von der einen Seite des Gangs auf die andere und wieder zurück. Schwieriger wird das Kreuzen mit entgegenkommenden Personen…
21.3.2018 – Tag 10
Der Wind hat aufgefrischt, sonst ist die Wache ruhig verlaufen, seit Tagen war kein Schiff mehr in Sicht. Um 01 Uhr musste ich alle Uhren der Esperanza um eine Stunde zurückstellen, nun schon zum zweiten Mal. Zum Schutz vor Schäden sind diese unter der Decke angemacht, es sind Kletterkünste angesagt. Generell sind die Stahlkappenschuhe sehr nützlich, beim vielen Stahl und den vielen Kanten trete ich häufig dagegen und bin so optimal geschützt. Der Goretex hat meine Füsse bisher einwandfrei trocken gehalten und die Sohle ist wirklich ein Hammer, sie gibt guten Halt selbst auf dem glatten gestrichenen und nassen Stahldeck.
Auf jeder Wache lerne ich dazu. Erstmals habe ich auf meinen Runden die Löschwasserspritzkanonen bemerkt, die in der Nähe der Helikopterplattform platziert und für solche Landeplätze Vorschrift sind. Erfahren habe ich auch, dass auf der Esperanza der Kompass gleich dreifach vorhanden ist, einmal magnetisch, dann als Gyrokompass und schliesslich als Satellitenkompass. Das ist kein Luxus, ein Kompasssystem kann durchaus ausfallen. Transportiert das Schiff beispielsweise eine Ladung von Stahl, funktioniert der magnetische Kompass nicht zuverlässig. Der Gyrokompass orientiert sich nicht am magnetischen Nordpol, sondern an der Erdrotationsachse, und wird bei Ausfall von einem Pickettdienst der Firma sofort und weltweit ersetzt. Der Satellitenkompass könnte z.B. einem Cyberangriff zum Opfer fallen. Als Segler bin ich beeindruckt.
Der wachhabende Offizier hat mir diese Nacht vom Greenpeace Einsatz vor der Ostküste Nordamerikas erzählt, wo die republikanische Regierung mit den extrem lauten Schallkanonen nach Öl suchen will. Dieser Unterwasserlärm ist so stark, dass er Schalltraumen bei Lebewesen auslöst, was z.B. bei Walen zu Hirnblutungen führen kann und möglicherweise zu den gefürchteten Orientierungsstörungen mit Strandung der Tiere. Im Minimum vertreibt er die Tiere weitherum. Um das zu beweisen, müssen die Walgesänge an ausgewählten Orten aufgenommen werden und zwar vor und später nach dem Schallkanoneneinsatz. Hierzu kooperiert Greenpeace mit den Wissenschaftlern vor Ort, die sehr dankbar waren, dank Greenpeace ihre Bojen bergen, auswerten und mit neuen Batterien versehen zu können. Ein weiteres begeisterndes Beispiel erfolgreicher Kooperation.
Ich bin gerade aufgestanden und unter die Dusche gegangen. Auf der Esperanza wird Süsswasser durch Osmose aus Meerwasser gewonnen. Für mich als Segler von eher kleinen Booten der absolute Luxus. Bisher habe ich auf diesen Booten im allerbesten Fall mit Meerwasser geduscht mit deutlich kleinerem «Wohlfühleffekt». Übrigens ist das so gewonnene Wasser auch gut zu trinken und durchaus vergleichbar mit Hahnenwasser zu Hause.
Wenig später ohrenbetäubender Lärm. Es wird Rost geklopft, entweder mit einem Hammer, oder dann mit entsprechenden Maschinen, die vor allem an Ecken und Kanten sowie an Leitungen etc. zum Einsatz kommen. Absolute Schwerarbeit in unkomfortabler Stellung, kniend, liegend etc. Ist der Rost abgeklopft, erfolgt die Applikation eines Grundierungsmittels, um den Stahl zu schützen. Dieser wird später in der richtigen Farbe überstrichen. Der Bootsmann will mir das nicht zumuten, ich verbringe den Nachmittag mit Enteisen des Kühlschranks im Spital mit Reinigung und Kontrolle des Inventars sowie später mit erneutem Sortieren des Abfalls.
Um 17 Uhr ist jeweils Arbeitsschluss und « Bier-Zeit ». Man trifft sich auf dem Achterdeck unter dem Helilandeplatz, wo ein altgedientes Ledersofa festgezurrt ist, ein Tisch aufgestellt wurde mit Stühlen darum herum. Die Raucher frönen ihrem Laster, ich halte mich mit Bemerkungen zurück. Dazu gibt’s Bier, jede Dose 50 Cents, jeder schreibt sich ein und zahlt später. Die Stimmung ist heiter, kameradschaftlich, es wird viel gelacht. Selbst die Brasilianerin, die kürzlich ihre Freundin verloren hat, die als Umweltaktivistin in Brasilien auf offener Strasse erschossen wurde, zeigt ihr latinisches Temperament. Sie spricht nicht besonders gut englisch, mischt das mit Portugiesich, unterhält sich besonders gern mit dem einen Spanier, der Portugiesisch aber nur teilweise versteht. Die Missverständnisse sind dabei das Lustigste.
20.3.2018 – Tag 9
Es scheint, dass ich nun fest für die sogenannte Hundswache zwischen Mitternacht und 04 Uhr eingeteilt bin, was ich erst auf Nachfrage hin gestern Abend erfahren habe. Wir haben die kanarischen Inseln hinter uns gelassen und werden sanft von Passatwinden vorwärtsgeschoben, natürlich immer unter Motor. Während der ganzen Wache sind wir keinem einzigen Schiff begegnet. Die Temperaturen sind stark gestiegen, nachts 21 Grad Celsius, tagsüber natürlich mehr, was man beim stetig wehenden Passatwind aber gar nicht so bemerkt. T-Shirt und Shorts sind dennoch angesagt. Wir stehen dann auf der Brücke und der zweite Offizier erklärt mir die Sternbilder, er liebt es, den GPS-Standort des Schiffes mit astronomischer Navigation zu bestätigen. Er konnte mir so erstmals das langsam auszumachende Kreuz des Südens am Himmel zeigen.
Endlich habe ich verstanden, warum die riesigen Hauptmotoren nie laufen. Die Schrauben werden tatsächlich von Elektromotoren angetrieben, die den Strom von Diesel-Generatoren erhalten ohne zwischengeschalteter Batterie. Die Generatoren verbrauchen sehr viel weniger Diesel als die Hauptmotoren, sie produzieren Strom für den Antrieb und den übrigen Schiffsbedarf. So lässt sich Treibstoff sparen und es ist mehr als genug Strom vorhanden für jeden erdenklichen Zweck.
Nach dem «Ausschlafen» habe ich die angelieferten Medikamente im « Spital » eingeordnet. Nachmittags half ich dann der Decksmannschaft einen Teil von Reling und Kajütaufbau mit Phosphorsäure anzufrischen und verstehe somit besser, warum überall diese Notfallkits zur Behandlung von Verätzungen der Augen angebracht sind. Die Arbeiten wurden aber mit Schutzbrille durchgeführt, bei lärmigen Arbeiten wird zusätzlich ein Ohrschutz getragen. Unser Chef sprach von der Phosphorsäure als « Aufheller », was den Effekt sehr gut wiedergibt. Danach wurden die bearbeiteten Teile mit dem Hochdruckreiniger abgespritzt und sind bereit zum Streichen morgen. Da unsere Füsse immer wieder von Meerwasser umspült werden, können nur höher liegende Schiffsteile gestrichen werden.
Die Zeit bis zum Feierabend verbrachten wir mit dem Sortieren des Abfalls in die verschiedenen Container auf dem Achterdeck, wiederverwendbarer Plastik, nicht wiederverwendbarer, Tetrapacks, Metalle, organische Abfälle, Papier, allgemeiner Müll. Aluminiumdosen werden vor dem Entsorgen platzsparend gepresst. Schliesslich wurden die Mülleimer gereinigt und wieder an ihren Standort gebracht. Dazwischen fand ich etwas Zeit, meine Wäsche zu machen. Irgendwie freut mich natürlich, dass auf der Esperanza zwei Miele Waschtürme diese Arbeit verrichten, die fast ununterbrochen laufen, und dies anstandslos.
Für mich waren diese Arbeiten streng genug. Einerseits kämpft man ja immer darum, das Gleichgewicht zu behalten, dann kommt erst die eigentliche Arbeit dazu. Auf einem Handelsschiff wie der Esperanza sind alle Teile massiv und schwer, schon das Öffnen und Schliessen der Türen ist anstrengend, weil immer mehrere schwer gehende Hebel zu betätigen sind, die die Tür dann aber auch wasserdicht verschliessen. Der Bootsmann schaut genau, welche Arbeiten er mir als Ältestem der Crew-Mitglieder geben kann, ohne mich einerseits zu überfordern und andererseits einer übermässigen Verletzungsgefahr auszusetzen
19.3.2018 – Tag 8
Zwischen Mitternacht und 4 Uhr morgens war ich auf der Brücke zur Unterstützung des wachhabenden Offiziers. Das heisst, nur zeitweise, weil meine Hauptaufgabe ein stündlicher Rundgang durch das Schiff war, auf dem alle kritischen Räume und Einrichtungen zu kontrollieren waren, die Feuer fangen oder beschädigt werden könnten. Also alle Decks mit besonderem Augenmerk auf die dort festgezurrten Schlauchboote und Container, die das wissenschaftliche Material enthalten inklusive der Tauchroboter, aber auch der Rettungsinseln, die sich aus ihren Halterungen lösen könnten.
Im Batterieraum hatten wir beim letzten Rundgang vor meinem Dienst Diesel vorgefunden, dieses wurde aufgefangen und der Raum gereinigt. Dann waren die Maschinenräume, der Maschinenkontrollraum, die Waschküche, der Gymnastikraum, alle Werkstätten, die Lagerräume etc. zu kontrollieren, wobei lose Gegenstände gesichert werden müssen, die Bilgen auf Wassereinbruch kontrolliert werden und trotz überall vorhandener Rauchmelder auf Rauchbildung zu achten ist. Irgendwelche Feststellungen waren sofort per Funktelefon dem Wachhabenden zu melden. Der Rundgang benötigt rund 20 Minuten und es sind viele sehr steile Treppen hinab- und wieder hinaufzusteigen. Dafür kenne ich nun alle Räume der Esperanza, die ich gar nicht für möglich gehalten hätte. Genau so stelle ich mir die Arbeit von Securitas vor.
Auf der Brücke hat mich der zweite Offizier ausführlich über die verschiedenen Navigationsmittel informiert. Dabei zeigte er mir einen Bewegungsmelder, der Alarm schlägt, wenn sich während 12 Minuten auf der Brücke niemand aufhält. Wird dieser nicht gleich abgestellt, wird zunächst der erste Offizier und dann der Kapitän alarmiert. Um 15.30Uhr werden heute das Vorgehen bei Feueralarm und im Falle der Aufgabe des Schiffes geübt. Sicherheit überall. Eindrücklich!
Neben den Kontrollen bleibt auf der Brücke Zeit zum Plaudern. Mit dem Deutschen konnte ich deutsch sprechen, was mir eher liegt als englisch. Er arbeitet seit knapp 5 Jahren für Greenpeace und hat von seinen Einsätzen erzählt. Obwohl von Natur eher zurückhaltend, waren seine Erzählungen voller Herzblut und haben mich gepackt.
Als Beispiel erzählte er von Einsätzen gegen illegale Fischerei im indischen Ozean und vor der afrikanischen Küste. Da Greenpeace prinzipiell gewaltfrei vorgeht und auf ihren Schiffen keine Waffen mitführt, sind solche Einsätze riskant. In Afrika wurde das Problem so gelöst, dass Greenpeace die Schiffe und ihre Crew liefert, die Staaten, denen das illegale Treiben vor ihren Küsten selbstverständlich bekannt ist, stellen die Vertreter der öffentlichen Hand, die dann für die Kontrollen der angehaltenen Fischerboote zuständig sind, was wiederum zu saftigen Bussen führt bis hin zum Lizenzentzug. Win-win Situation durch Kooperation.
Der Unterhalt der Greenpeace-Flotte verschlingt sehr viel Geld, und ich habe mich oft gefragt, ob in unserer digitalen Welt ein solches Instrument noch gerechtfertigt ist. Die Schiffe erlauben aber nicht nur wissenschaftliche Arbeiten und Einsätze auf Ozeanen, sie sind auch im Inland effektiv, z.B. bei der Kontrolle des illegalen Holzschlags, wenn sie den Fluss hochfahren, bis praktisch sichergestellt ist, dass der ganze Schiffsverkehr nur noch Holztransporten gilt. Die Antwort ist detaillierter ausgefallen, hat mich aber total überzeugt.
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