Weltweit kämpfen Frauen für eine intakte Umwelt und den Frieden. Rosmarie Wydler-Wälti ist eine von ihnen. Vor 50 Jahren ging die Baslerin zum ersten Mal auf die Strasse, um gegen ein geplantes Atomkraftwerk zu demonstrieren. Heute ist sie treibende Kraft bei den Klimaseniorinnen, die beim Bundesverwaltungsgericht eine Klimaklage eingereicht haben. Zum internationalen Frauentag vom 8. März lassen wir sie zu Wort kommen.
Greenpeace: Frau Wydler, würden Sie sich als Aktivistin bezeichnen?
Rosmarie Wydler-Wälti: Ja. Ich mag es auf die Strasse zu gehen und mich für etwas einzusetzen. Besonders ermutigend empfinde ich es, wenn ich durch dieses Engagement etwas mitverändern kann.
Was bedeutet für Sie Frauenpower?
Frauenpower bedeutet, dass Frauen sich für ihre Anliegen auf die Hinterbeine stellen, sich konsequent einsetzen und durchsetzen. Stichwort Lohngleichheit: Es ist erschreckend, wie wenig wir diesbezüglich in den letzten Jahren erreicht haben. Zudem braucht es mindestens drei Frauen im Bundesrat.
Beschränkt sich Frauenpower auf Frauenanliegen?
Nein, gar nicht. Frauenpower ist auch nötig im Einsatz für eine friedliche Welt und für den Erhalt der Natur.
Vor 50 Jahren gingen Sie zum ersten Mal auf die Strasse. Warum?
In Kaiseraugst im Kanton Aargau sollte ein Atomkraftwerk gebaut werden, das wollte ich verhindern. Ich beteiligte mich an den Demonstrationen von Bevölkerung und Umweltorganisationen – und feierte mit ihnen die erfolgreichen Protestaktionen. In den Jahren darauf engagierte ich mich vor allem bei der Erklärung von Bern: Ein grosses Thema war die Ausbeutung von Drittweltländern durch unseren Konsum. Wir verteilten den Leuten auf der Strasse Bananen und sensibilisierten sie für die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern. Ebenfalls war ich in einer Gruppierung aktiv, die das Militär in der Schweiz abschaffen wollte und sich für ein paritätisches Betreuungsmodell innerhalb von Familien einsetzte. Heute mache ich unter anderem beim Cercle de Silence in Basel mit: Einmal im Monat stehen wir am Marktplatz im Kreis in Stille und tragen Plakate mit Aussagen zu unserer Asylpolitik. Zudem bin ich Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen, die beim Bundesverwaltungsgericht eine Klimaklage eingereicht haben.
Gibt es eigentlich Unterschiede zwischen Frauen und Männern in ihrem Engagement für eine intakte Natur?
Hm, das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich beobachte aber, dass in Umweltbewegungen vermehrt Frauen aktiv sind. Sie setzen sich meist für ganz konkrete Projekte ein, während aus meiner Sicht auf einer politischen und damit oftmals abstrakten Ebene eher Männer für die Sache einstehen.
Wie stark hat Ihr Engagement auf Ihr Umfeld abgefärbt?
(lacht) Bei meinen Freundinnen und Bekannten bin ich bekannt als «die mit den Flyern». Und meine Kinder sind kritisch und umweltbewusst. Tatsächlich teile ich meine Überzeugungen gerne mit, auch wenn ich damit anecke.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Als ich meinen Mann kennenlernte, wurde grad über das Atomkraftwerk Kaiseraugst diskutiert. Mein Mann kam aus bürgerlichem Hause und meine Schwiegereltern waren anfänglich entsetzt darüber, dass ich es wagte, mich gegen ein Projekt des Staates aufzulehnen. Opposition gegen staatliche Pläne war für sie ein Tabu. Schliesslich lehnten aber auch sie den Bau des Atomkraftwerks ab. Doch es brauchte eine gewisse Zeit, bis sie ein Bewusstsein für die Gefahren von Atomenergie entwickelten.
Was geben Sie ihren sechs Enkelkindern mit?
Mit kleinen Dingen im Alltag versuchen wir ihnen aufzuzeigen, was es heisst, umweltbewusst zu leben. Wir haben kein Auto und sind immer mit dem Zug unterwegs. Essen werfen wir nicht weg, und ein Rüebli kommt bei uns auch dann noch auf den Tisch, wenn es Runzeln hat. Wenn die Kleinen mit dem Toilettenpapier spielen, erklären wir ihnen, woher dieses stammt. Wir versuchen ihnen generell die Schönheit der Natur zu vermitteln – und wie wichtig es ist, achtsam damit umzugehen.
Blicken Sie zuversichtlich in die Zukunft – die Zukunft Ihrer Enkelkinder?
(seufzt) Es ist fünf vor zwölf. Wir müssen dringend mehr unternehmen, um unsere Umwelt für nachkommende Generationen zu erhalten. Doch diese Dringlichkeit verstehen offenbar viele nicht. Ich bin entsetzt, wie nachlässig die Politik die Umweltprobleme angeht. Wir müssen deshalb kämpfen und unseren Anliegen immer wieder Nachdruck verleihen.
Wovon träumen Sie?
Ich träume von einer friedlichen und toleranten Welt, in der die Menschen sich mit Empathie begegnen, einander leben lassen und sich gegenseitig unterstützen. Wir sind alle miteinander verbunden und voneinander abhängig. Das Bewusstsein dafür fehlt leider bei vielen. Ich ärgere mich sehr über den schrecklichen Egoismus und Super-Individualismus, der unsere heutige Gesellschaft prägt.
Rosmarie Wydler-Wälti ist Erwachsenenbildnerin, Erziehungs- und Paarberaterin aus Basel. Sie ist verheiratet, hat vier Kinder und sechs Enkelkinder. Als Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen verbrachte sie im Sommer letzten Jahres eine Woche auf dem Greenpeace-Schiff «Arctic Sunrise», um mit Klimaklägerinnen und Klimaklägern aus der ganzen Welt zusammenkommen, um Erfahrungen auszutauschen, zu trainieren und sich gegenseitig zu unterstützen.