Hurrikan «Harvey» und «Irma» in den USA und in der Karibik, Überschwemmungen in Indien, Bangladesh und Nepal, Gletscherschwund und Bergstürze in der Schweiz: Die weltweiten Wetterextreme und Naturkatastrophen der letzten Wochen haben uns deutlich vor Augen geführt, mit welchen immensen Schäden wir im Kontext der Klimakrise immer mehr konfrontiert sind. Weniger bekannt ist, dass viele Versicherungen dabei eine zwiespältige Rolle spielen.
Die beispiellosen Stürme und Wetterextreme dieses Jahres, so zum Beispiel auch in Bondo und Zofingen, sollten unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf die Folgen und Anpassungsstrategien lenken, sondern auch auf die klimatischen Zusammenhänge und insbesondere auf die Verantwortung der Versicherungsindustrie. Denn die Assekuranz schützt uns nicht nur vor solchen Ereignissen, sofern eine Deckung besteht; sie ist mit ihren gigantischen Investitionen und Versicherungsprodukten im Fossilbereich auch dafür mitverantwortlich.
Es ist deshalb kein Zufall, dass am 6. September der französische Versicherungskonzern SCOR – der weltweit viertgrösste Rückversicherer – Schritte ankündigte, um sowohl als Investor als auch als Versicherer aus dem Kohlesektor auszusteigen. Friends of the Earth Frankreich und die internationale Unfriend Coal Kampagne, an deren sich auch Greenpeace Schweiz beteiligt, begrüssen die neue Geschäftspolitik, fordern das Unternehmen aber dringend auf, noch bestehende gravierende Schlupflöcher zu schliessen. Anlässlich der Jahreskonferenz der Versicherungs- und Rückversicherungs-Industrie in Monte Carlo rufen wir zudem die Industrie dazu auf, aus dem Geschäft mit dem Kohlesektor ganz auszusteigen, um zu verhindern, dass die Klimakrise sich noch weiter zuspitzt.
Fortschritte…
Der Rückversicherer SCOR gab bekannt, dass er keine direkten Investitionen mehr in Unternehmen hat, die mehr als 30% ihres Umsatzes mit thermischer Kohle erzielen. Er hat sich dabei verpflichtet, keine neuen Investitionen mehr in solche Unternehmen zu tätigen. Das ist positiv und bringt SCOR auf die gleiche Linie wie ihre Industriekollegen Allianz und Swiss Re. AXA und Munich Re, die beide noch immer in Unternehmen investieren, die bis zu 50% ihres Umsatzes im Kohlesektor generieren, sollten diesen Schritt auch tun.
Als erster Rückversicherer weltweit hat SCOR zudem angekündigt, der Konzern werde «keine Versicherungen oder fakultativen Rückversicherungen mehr abschliessen, die vor allem den Bau von neuen thermischen Kohlebergwerken auf der grünen Wiese oder von eigenständigen Braunkohle-Bergwerken oder -Kraftwerken fördern würden». Dies bedeutet, dass SCOR in Zukunft für Kohleminen wie das Carmichael Projekt in Australien und die insgesamt noch mehr als 100 geplanten Braunkohlekraftwerke in der Türkei, Osteuropa, China und in anderen Ländern keine Versicherungen mehr anbieten wird.
… und Schlupflöcher
Lucie Pinson, Finanzexpertin bei Friends of the Earth Frankreich, kommentiert: «Mit dieser Ankündigung anerkennt SCOR das Prinzip, dass Versicherungen ihre Geschäfte nachhaltig ausrichten müssen, sowohl als Investoren als auch als Versicherer. Gleichzeitig weist die neue Politik aber noch immer viele gravierende Schlupflöcher aus und bleibt hinter dem zurück, was es zum Schutz des Klimas braucht. Am bedeutendsten ist, dass SCOR weiterhin Hunderte klimazerstörende Kohlekraftwerke versichern kann, solange es nicht um Braunkohlekraftwerke geht, und das ist nicht akzeptabel.»
Regine Richter von Urgewald fügt hinzu: «Gegenwärtig befinden sich noch Kohlekraftwerke mit mehr als 800’000 Megawatt in Planung oder im Bau. Werden sie fertig erstellt, werden diese Projekte noch schlimmere Klimakatastrophen als die aktuellen Superstürme nach sich ziehen. Unternehmen, die in einer Post-Kohlewirtschaft eine Spitzenposition einnehmen wollen, müssen Versicherungsleistungen für sämtliche neuen Kohleprojekte ausschliessen, nicht nur für Kohlebergwerke und Braunkohlekraftwerke.»
Peter Bosshard, Koordinator der Unfriend Coal Kampagne, kommentiert: «Die diesjährige Hurrikan-Saison ist ein Weckruf für die Versicherungsindustrie. SCOR unternimmt als erster Rückversicherer erste Schritte, um gewisse Kohleprojekte nicht mehr zu versichern. Wir fordern andere Rückversicherer – vor allem Swiss Re, Munich Re und Hannover Re – auf, mit umfassenderen Geschäftsstrategien die Führung zu übernehmen.»
Die Assekuranz muss handeln – auch in der Schweiz
In einer separaten Erklärung der Unfriend Coal Kampagne, die zum Auftakt der Konferenz in Monte Carlo veröffentlicht wurde, heisst es: «Die Versicherer unterstützen Kohleunternehmen und andere Firmen der fossilen Brennstoffindustrie, die unseren Planeten zum Kochen bringen, wenn sie deren Projekte weiterhin versichern. Würde sie keine neuen Kohleprojekte mehr versichern, könnte eine kleine Gruppe von Versicherungsunternehmen einen riesigen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten, solange noch Zeit bleibt.»
«Auch die grossen Schweizer Versicherer und Rückversicherer stehen in der Pflicht», sagt die Finanzexpertin von Greenpeace Schweiz, Katya Nikitenko: «Die Assekuranz profitiert von der Klimakrise statt sie einzudämmen und uns zu schützen: Es ist höchste Zeit, dass auch Swiss Re und Zurich aus dem Fossilbereich aussteigen, sonst gibt es bald nichts mehr zu versichern».