Erdöl, Erdgas, Diamanten, Gold und Edelsteine: Die Anrainerstaaten der Arktis streiten sich um die Bodenschätze auf dem Grund der internationalen Gewässer rund um den Nordpol.
Greenpeace/Newman
Mit der «Northstar» nahm BP vor der Küste Alaskas und Kanadas 2002 die erste Ölförderplattform im arktischen Ozean in Betrieb.
Am 2. August 2007 tauchte das russische Unterseeboot «Mir 1» unter das Eis der Arktis und setzte am geografischen Nordpol eine russische Flagge aus rostfreiem Titan auf den Meeresgrund, 4261 Meter unter der Wasseroberfläche. Das zehn Kilogramm schwere Hoheitszeichen löste international heftige Reaktionen aus: Die Amerikaner und die Dänen verspotteten die Aktion der Russen, Kanada liess verlauten, dass die Arktis immer kanadisch gewesen sei. Und Deutschland warnte vor einem «Kalten Krieg» am Nordpol.
Besorgnis war und ist in diesem Fall tatsächlich angebracht, denn um den Grund so grosser diplomatischer Aufregung wurden schon «heisse» Kriege geführt: Unter dem Boden des arktischen Meeres werden riesige Erdöl- und Erdgasvorkommen vermutet, vor allem in der Barentssee, an der Nordküste Alaskas, östlich von Grönland, im kanadischen Mackenzie-Delta sowie an der russischen Jamal-Halbinsel und den Schelfmeeren Russlands.
Der US-amerikanische Geologische Dienst USGS schätzt, dass in der gesamten Arktis bis zu 90 Milliarden Barrel unentdecktes Erdöl schlummern. Das entspricht dem weltweiten Erdölbedarf von drei Jahren. Das ist nicht viel. Aber dazu, so die weitere Schätzung, kommen 47,3 Billionen Kubikmeter Erdgas und 44 Milliarden Barrel Flüssiggas. Rechnet man den Energiewert des Gases in denjenigen des Erdöls um, ergibt das die dreifache Energiemenge des in der Arktis vermuteten Erdöls.
Damit nicht genug: Am Meeresboden der Arktis lagern auch gigantische Mengen von in Eis gebundenem Methan, und es existieren grosse Vorkommen von Gold, Silber und Platin, von seltenen Stoffen wie Gallium, Indium und Tellur, die in der Halbleiterindustrie eingesetzt werden, sowie von Mangan, Nickel und Kupfer – und von Diamanten. Im Dezember dieses Jahres sollen vor der kanadischen Küste mit dem eigens dafür entwi- ckelten Förderschiff «Jules Verne» zum ersten Mal überhaupt Gold-, Kupfer- und Zink-Erze aus einer Wassertiefe von 1700 Metern geholt werden.
Greenpeace/Beltrà
Bereits heute wird im Meer hoch oben im Norden
nach Öl gebohrt: Eine Bohrplattform vor der
Küste Alaskas.
Zwar werden heute schon rund um die Arktis in zahlreichen Minen Phosphat, Nickel, Eisenerz, Aluminium und Uran ausgebeutet, und in arkti- schen Gewässern werden heute bereits 10,5 Pro- zent des weltweit konsumierten Erdöls und 25,5 Prozent der globalen Gasproduktion gewonnen. Bei diesen Aussichten, was es da alles zu holen und zu Geld zu machen gibt, erstaunt es nicht, dass die Anrainerstaaten mit aller Vehemenz Besitzansprüche geltend machen. Sogar Länder, die nicht direkt an die Arktis grenzen, wollen mitreden: Deutschland markiert den starken Staat. Neuerdings mischt sich auch China mehr oder weniger diplomatisch in die laufenden Gespräche ein.
Dies unabhängig davon, ob die oben erwähnten Schätzungen des Amerikanischen Geo- logischen Dienstes stimmen. Denn die Tiefen des rund 15 Millionen Quadratkilometer grossen Nordpolarmeeres sind nur ansatzweise untersucht. Schätzungen über Erdölvorkommen von anderen Institutionen liegen wesentlich tiefer als diejenigen des USGS.
Trotzdem: Mit den Prognosen, dass wegen des Klimawandels die Arktis bis in wenigen Jahrzehnten im Sommer eisfrei sein könnte, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass dank neuer Technik Erdöl- und Erdgasförderung in der Arktis möglich werden.
Das Problem und letztlich auch der Grund, weshalb sich die USA, Kanada, Russland, Dänemark, Norwegen und Island streiten: Die Arktis ist kein Kontinent. Im Gegensatz zum Südpolareis liegt die Eisdecke des Nordens nicht auf einem Kontinent, sondern schwimmt auf dem Wasser. Und zwar so weit weg von der nächstgelegenen Küste, dass die Arktis als internationales Gewässer, als hohe See gilt.
In der Tiefsee gibt es keine nationalen Rechte
Gemäss dem internationalen Seerechtsübereinkommen zählt ein 12 Seemeilen (also gut 22 Ki- lometer) breiter Streifen entlang einer Küste als Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates. Ausserhalb dieser Grenze hat jedes Land der Erde dasselbe Recht, die hohe See für ihre Schifffahrt zu nutzen.
Innerhalb eines 200 Seemeilen (370 Kilome- ter) breiten Streifens entlang der Küste verfügt jedoch jede Nation über das alleinige Recht, die im Meeresboden befindlichen Schätze auszubeuten. Diese Zone heisst Festlandsockel, auch Kontinentalschelf genannt. Danach beginnt die Tiefsee. Und dort gehören gemäss dem internationalen Seerechtsübereinkommen sämtliche Bodenschätze zum gemeinsamen Erbe der Menschheit.
Es sei denn, ein Staat kann beweisen, dass der Kontinentalsockel vor seiner Küste weiter ins Meer hinausreicht als 200 Seemeilen. Dabei hat sich vor allem der sogenannte Lomonossow-Rücken zum Zankapfel entwickelt. Dieser 60 bis 200 Kilometer breite und bis zu 3500 Meter hohe Gebirgszug auf dem Meeresgrund ruht zwischen Grönland und den russischen Neusibirischen In- seln. Deshalb betrachten die Russen den Lomonossow-Rücken als Fortsetzung ihres Landes, während Grönland beziehungsweise Dänemark als dessen «Pate» das Gebirge als unterseeischen Fortsatz Grönlands definieren. Die Kanadier beanspruchen den Lomonossow-Rücken derweil als Fortsetzung ihrer Ellesmere-Insel. Alle drei Länder haben geologische Gutachten erstellt, die ihre Thesen beweisen.
Greenpeace/Beltrà
Stoppt die Ausbeutung der letzten Bodenschätze:
Greenpeace-Protestaktion gegen eine Ölförder-
anlage in Alaska.
In der Beaufortsee gibt es Territorien, auf die sowohl die Kanadier als auch die USA Ansprüche erheben. Und in der Barentssee liegt eine «Grauzone», für die sich sowohl die Russen als auch die Norweger interessieren. Das zeigt, wie viel politischer Zündstoff in dieser Angelegenheit steckt. Und das macht es für aussenstehende Länder auch so schwierig, vermittelnd und beschwichtigend mitzureden.
Derweil inszenieren die betreffenden Staaten öffentlich ein politisches Säbelrasseln. Im Mai 2009 unterschrieb der russische Staatspräsident Dmitri Medwedew ein Strategiepapier, das besagt, dass sich Russland für einen allfälligen Ener- giekrieg militärisch wappnen wolle. Moskau erhöhte daraufhin seine militärische Präsenz in den russischen polaren Gebieten. Norwegen hat seit 2007 schon zwei runderneuerte Strategiepapiere zur Arktis vorgelegt. Amerika markiert mit Eisbrechern Präsenz in den arktischen Gewässern. US-Präsident Barack Obama will so schnell als möglich dem internationalen Seerechtsübereinkommen beitreten. Das würde die USA nämlich berechtigen, rechtlich gültige Ansprüche auf die Arktis zu erheben. Wie geht es weiter mit dem «Great Game», wie das Ringen um die Arktis inzwischen genannt wird? Vorläufig so langsam und zäh wie bisher. Denn neben dem politischen Gerangel sind viele zusätzliche Faktoren und Umstände überaus schwierig einzuschätzen.
Zum Beispiel der Klimawandel: Dass unter dem arktischen Eis Erdölvorkommen schlummern, weiss man schon lange. Doch die nordpolare Eiskappe war bisher so dick, dass es technisch gar nicht möglich war, hier Bohrinseln zu installieren. Jetzt aber, wo das Eis immer dünner wird und Klimaforscher davon reden, dass die Arktis in dreissig Jahren im Sommer gänzlich eisfrei sein wird, könnte Erdölförderung am Nordpol ein lukratives Geschäft werden – unter der Voraussetzung, dass bis dann die Technik so weit fort- geschritten ist, in Tiefen von mehreren tausend Metern in den Meeresgrund zu bohren. Bis heute stellt die Erdölförderung in der Tiefsee die Ingenieure vor gigantische technische Herausforde- rungen, von denen längst noch nicht für jede eine Lösung gefunden ist. Und welche Risiken damit verbunden sind, hat erst vor Kurzem wieder die Katastrophe im Golf von Mexiko mit der Bohrinsel «Deepwater Horizon» gezeigt.
Ein weiteres «Problem»: Niemand weiss genau, wie viel Erdöl und Erdgas tatsächlich im Boden des arktischen Meeres lagert – und in welchem Zustand sich das Erdöl befindet. Ob es sich also nur um eine im Gestein gebundene Vorstufe von Erdöl handelt, die nicht förderbar ist, oder ob es tatsächlich flüssiges, förderbares Erdöl ist.
Sollte es in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten klimatisch und technisch tatsächlich möglich werden, die Bodenschätze der Arktis auszubeuten: Ob ein einzelner Staat alleine fähig wäre, die Technik zu entwickeln und die finanziell aufwändigen Bohrungen durchzuführen, bleibt eine weitere offene Frage.
Das «Great Game» um die Bodenschätze der Arktis hat also noch nicht einmal richtig begonnen…
Christian Hug ist Redaktor des Magazins Polarnews, aus dem dieser Artikel mit freundlicher Genehmigung übernommen wurde:www.polarnews.ch
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