Von der alten Hafenanlage wo die Rainbow II liegt, geht`s nun ins Zentrum von Kopenhagen: Hier hat die «Arctic Sunrise» festgemacht. Ein knapp 50 Meter langer Eisbrecher der Klasse 1A1. Das Schiff wirkt mächtig, seine stählerne Bordwand abweisend. Der Rumpf ist so hoch, dass vom Quai aus ein Blick auf das Deck nicht möglich ist.
Arctic Sunrise
October 2, 2009 – Svea Mine, Spitsbergen/Svalbard
Greenpeace ship the Arctic Sunrise at Svea Mine.
Greenpeace activists block the conveyor belts at Svea Coal Mine, hindering Arctic coal from being exported to European coal fired power plants. Coal burning is the greatest threat to our climate, accounting for over 40% of all fossil fuel CO2 emissions, making it the largest single source. Greenpeace is urging the world leaders to secure a fair, ambitious and binding agreement at the Copenhagen climate meeting in December.
Autor: Thomas Jucker
Die «Arctic Sunrise»: Ein bärenstarkes und sehr nüchternes Werkzeug
Wer die Gangway hinauf steigt, findet sich auf einem erstaunlich leer wirkenden Deck wieder. Der erste Eindruck wird vom Gefühl dominiert, nicht auf einem Schiff, sondern irgendwo in der Schwerindustrie gelandet zu sein. Verstärkt wird es durch das gewaltige Helikopter-Deck, das den gesamten hinteren Teil des Schiffes einnimmt. Und noch etwas fällt ins Auge: Weit oben, auf einem langen Stahlfinger, thront ein «Krähennest», eine Metallkiste mit Fenstern, von der aus die Seeleute Durchfahrten durchs Eis erspähen können. Vom Dock führt eine Treppe hinunter in eine riesige Werkstatt, den ehemaligen Laderaum. In dieser Halle, die mit ihrer Grösse auch Container aufnehmen kann, steht inmitten vieler technischer Geräte, Werkbänken und Maschinen sogar das riesige Schlauchboot. Trotz seiner beachtlichen Dimensionen fällt es hier kaum auf. Die Ambiance in diesem Schiff ist völlig anders als jene auf der «Rainbow Warrior II»: Dies ist kein gemütliches Heim: Topfpflanzen, wie auf der «Rainbow», sucht man hier vergebens. Die «Arctic Sunrise» ist kein Schiff, dessen Deck dazu einlädt die Wolken zu betrachten oder den Delfinen zuzuschauen. Die «Arctic Sunrise» ist ein grosses, nüchternes Werkzeug. Sogar der Geruch im Schiffsinnern hat eine industrielle Note: Es riecht nach Werkstatt und ein wenig nach Öl.
«We are the mystics – they are the mechanics» (wir sind Mystiker, sie die Mechaniker), treffender hätte Mike, der Kapitän der «Rainbow II» die gegensätzliche Ausstrahlungen der zwei Schiffe mit: wohl nicht zusammenfassen können. Und ein junger Mann an Bord der «Arctic Sunrise» sagt dazu stolz: «Ja, sie ist eine Maschine. Eine Maschine mit einem klarem Sinn und Zweck. In gewissem Sinne fühle ich mich hier auch so. Und mir gefällt das.» Was die «Arctic Sunrise» aber auch ausstrahlt, ist ein Gefühl von unbändiger Kraft und Zuverlässigkeit. «Ich fahre jederzeit, an jeden Ort auf den Weltmeeren – bei jedem Wetter», scheint der Eisbrecher zu knurren. Und er könne sogar, so wird dem Besucher erklärt, ohne nachzutanken einmal rund um den Globus fahren.
Wild ist auch die Vergangenheit des heutigen Greenpeace-Schiffes. In Norwegen 1975 als «Polarbjorn» (zu Deutsch: Eisbär) gebaut, befuhr sie sowohl die Arktis wie die Antarktis als Forschungs- und Versorgungsschiff. Dies jedenfalls besagt ein Prospekt der damaligen Besitzerin, einer norwegischen Reederei. Doch die «Polarbjorn» verdiente sich ihren Unterhalt auch mit weniger edlen Tätigkeiten. So wurde sie etwa in den Gebieten vor Neufundland beim Robbenfang eingesetzt, «und Greenpeace hat einst auch Aktionen gegen dieses Schiff durchgeführt», erzählt Pete Bouquet, der Kapitän der «Sunrise». Der 60-Jährige Brite fährt seit 1978 – mit Unterbrüchen – auf Greenpeace-Schiffen und war schon mit der legendären, ersten »Rainbow Warrior» unterwegs.
Der Eisbrecher hat also die Fronten gewechselt: Er gehört seit 1996 zur Greenpeace-Flotte und wurde damals in nur vier Monaten für seine neue Aufgabe umgerüstet. Die «Arctic» erhielt im Januar 1996 eine moderne Funkausrüstung und neue, wendige Kräne, mit denen die Schlauchboote schnell ausgesetzt werden können. Die Einrichtung ist aber noch immer im «norwegischen Stil» von 1975 gehalten. So wirkt etwa die Kapitänskabine mit dem winzigen Besprechungstisch ziemlich ärmlich; nicht zuletzt weil sich die billig wirkende Holzverschalung wohl kaum mehr an ihren letzten Anstrich erinnern kann. Und auch die Messe hat einen etwas seltsamen Charme, der einem amerikanischen Schnellimbiss entliehen scheint; den Raum dominieren lange Metalltische, umsäumt von Schalensitzen, die drehbar auf Stahlsäulen montierten sind.
«Die 15-köpfige Crew der ‚Arctic’ liebt ihr Schiff».
Maite Mompo
«Die 15-köpfige Crew der ‚Arctic’ liebt ihr Schiff», sagt Maite Mompo, Matrosin auf der «Rainbow Warrior II». Ein ehemaliges Crewmitglied «ihres» Segelschiffes habe auf den Eisbrecher gewechselt und fühle sich dort sehr wohl. Dabei ist es oft nicht einfach, sich auf der «Arctic Sunrise» wohl zu fühlen – und dies im wörtlichen Sinne. Denn das Schiff hat eine sehr unangenehme Eigenhart: «She rolls like a pig», sagen die Seeleute. Dies bedeutet, dass das Schiff im Seegang wild in alle Richtungen schaukelt. Beim «normal schlechtem Wetter», sagt Pete, «rollt sie jeweils 30 Grad aber ich habe sie schon mit 50 Grad Schieflage erlebt.» – Man muss sich das so vorstellen: Das Schiff fährt durch eine stürmische See und legt sich dabei 45 Grad auf die eine Seite, kommt hoch und legt sich 45 Grad auf die andere Seite. Und dies wieder und wieder; hin und her, permanent, tagelang. «Es gibt Leute, die fahren nur einmal mit und kommen nie wieder», sagt Pete. «Das Unterwasserschiff ist im Querschnitt praktisch halbkreisförmig», erklärt er, «wegen der Eistauglichkeit». Er erzählt von Crewmitgliedern, die vor Seekrankheit fast umkamen, wobei dem sonst wortkarg wirkenden Mann das Mitgefühl für die Opfer der Seekrankheit anzumerken ist.
Womit sich die Fragen aufdrängen: Was ist das Härteste, was das Schönste an Bord der «Arctic Sunrise»?
«Hart», sagt Pete, «ist es in schlechtem Wetter nicht voran zu kommen.» Und der zurückhaltende Kapitän, erzählt nach mehrfachem Nachfragen von einer Reise im November von Alaska zur russischen Sakhalin-Insel, nördlich von Japan. «Für die Fahrt, die neun Tage hätte dauern sollen, brauchten wie 16 Tage. «Wir sind Tag für Tag gegen diese Wellen gekracht und kamen nur unendlich langsam voran.» Zudem sei ein Mitglied der Crew extrem seekrank gewesen und sein Gesundheitszustand habe sich stetig verschlechtert. Doch man habe nichts machen können und das Wetter sei einfach nicht besser geworden. «Und dann, als es endlich für kurze Zeit etwas besser wurde, haben wir noch das hintern Ende eines tropischen Zyklons abgekriegt.»
Und was ist die beste Zeit auf dem Schiff, Pete?
«The good thing is success in a campaign.» Und er präzisiert: «Wenn wir innerhalb einer Greenpeace-Aktion perfekt agieren; wenn wir zum richtigen Zeitpunkt am Ort sind, an dem uns Greenpeace haben will; wenn wir Material pünktlich abliefern. Das ist gut – und was gut ist für Greenpeace, ist auch gut für den Planeten.»
«Ach», sagt der Zuhörer, «ich dachte der schönste Moment wäre vielleicht ein sonniger Tag auf dem Ozean, wenn die fliegenden Fische über eine spiegelglatte See schwirren». – Pete lächelt kurz sein sparsames Lächeln: «Ja, das ist auch schön. Doch wenn ich dies suchen würde, dann würde ich wohl eher segeln gehen. Hier geht es um etwas anderes. Wir wollen ins Bild der Aktionen von Greenpeace passen – und damit in das grössere Bild.»