Der Sojaanbau in Brasilien bedroht nicht nur die Umwelt. Auch die indigenen Völker im Amazonasgebiet wie die Guarani-Kaiowá leiden: Sie werden ins Elend getrieben oder sogar umgebracht, ihre Kinder verhungern.
Mehr als ein Fünftel des ursprünglichen Amazonas-Regenwaldes wurde bereits abgebrannt oder gefällt, und der Urwaldkiller Nummer eins heisst Soja: Soja-Anbau in Brasilien.
Brasilien ist ein reiches Land. Reich an Tradi tionen, Biodiversität, Rohstoffen und Land. Doch dieser Reichtum wird für den Amazonas und seine Bewohner zu einer immer grösseren Bedrohung. Mehr als ein Fünftel des ursprünglichen Amazonas-Regenwaldes wurde bereits abgebrannt oder gefällt.
Der Urwaldkiller Nummer eins heisst Soja. Grund dafür ist die weltweit stetig steigende Nachfrage nach Fleisch. Seit 2001 die Fütterung der Nutztiere mit Tiermehl wegen des Rinderwahnsinns verboten wurde, stieg der Bedarf nach Soja als Alternative rasant. Das wiederum führte dazu, dass der Sojaanbau immer stärker in Regenwaldgebiete verlagert wird. 2006 stammten bereits 40 Prozent der brasilianischen Soja aus dem Amazonas, und die Zukunft sieht düster aus: Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO prognostiziert aufgrund des weltweit wachsenden Fleischkonsums eine Steigerung der Sojaproduktion von heute 210 Millionen Tonnen auf 300 Millionen Tonnen in den nächsten zehn Jahren.
Die Sojaplantagen dringen immer tiefer
in den Lebensraum der Indigenen ein:
Enawene-Nawe-Indianer im brasilianischen
Bundesstaat Mato Grosso.
Brasilianische Soja wird hauptsächlich als Futtermittel nach Europa und China exportiert. Allein die kleine Schweiz importiert heute 700 Tonnen Soja pro Tag, Tendenz steigend. In den 90er-Jahren hat sich der Import von Soja als Kraftfutter für Hühner, Schweine und zunehmend auch für Kühe verdoppelt.
Die so gefütterten Tiere landen schliesslich als Schweizer Produkt auf der Verkaufstheke. So nehmen wir nicht wahr, dass unser Fleischkonsum negative Auswirkungen auf Südamerika hat: Monokulturen in früheren Naturlandschaften, hoher Pestizid- und Düngereinsatz mit vergifteten Flusssystemen, Bodenerosion, Verdrän- gung der Landbevölkerung in Städte oder tiefer in den Regenwald hinein und Landkonflikte. Die Profite aus diesem Kuhhandel gehen primär an eine Handvoll Grossunternehmen, einige davon haben ihren Sitz in der Schweiz.
Zwar gibt es – vor allem seitens Nichtregierungsorganisationen – konkrete Anstrengungen, die negativen Effekte des Sojaanbaus einzudämmen. So hat auch Greenpeace massgeblich dazu beigetragen, 2006 ein Soja-Moratorium zu errichten. Dieses soll verhindern, dass weiterhin Soja aus abgeholzten Gebieten verkauft wird.
Zwar hat das Moratorium dem Amazonas eine Verschnaufpause gegönnt. Andererseits muss dieses Moratorium stetig verlängert werden, was durch den zunehmenden Nachfragedruck auf dem Weltmarkt immer schwieriger wird. Zugleich zeigt sich, dass auch durch ein Moratorium gravierende Probleme bestehen bleiben, unter denen vor allem die indigenen Gemeinden leiden.
Eine schwere Leidensgeschichte durchlebt zum Beispiel die Gemeinschaft der Guarani-Kaiowá-Nomaden im südbrasilianischen Staat Mato Grosso du Sul. Ihre Gemeinschaft in der Region umfasst etwa 28 000 Personen. Für sie ist ihr Land heilig. Tekoha nennen sie es, was so viel heisst wie «Der Platz, an dem wir unsere Art zu sein verwirklichen können».
Doch dieser Platz wird immer enger. Bis zu den 70er-Jahren durften sie auf unbesiedeltem Land ihre traditionelle Landwirtschaft betreiben und sich von der Natur ernähren. «Früher kannten wir keinen Zucker, wir haben unsere Speisen mit dem Honig der Bienen gesüsst», sagt Paulito, ein Guarani-Schamane. Doch jetzt reiche das Land nicht mehr, und jenes, das übrigbleibt, ist oft von den umliegenden Grossplantagen mit ihrem hohen Pestizideinsatz vergiftet. Fische und andere Nahrungsquellen verschwinden so zusehends.
Die Sojaplantagen dringen immer tiefer in ihren Lebensraum ein. Wenn die Indigenen sich wehren und Land besetzen, werden sie verjagt oder gar ermordet: Allein 2007 mussten 48 in Landkonflikten ihr Leben lassen. Seit 2005 starben zudem etwa 60 Guarani-Kinder an Mangelernährung.
Die Arbeit auf den Plantagen und die industrielle Nahrung, die ihnen von den Grossgrund- besitzern angeboten wird, sind für die meisten keine Alternative. Sie wollen Land, die Freiheit, in ihrem angestammten Gebiet herumzuziehen und sich selber zu ernähren. Weil es diesbezüglich keine Fortschritte gibt, bringen sich viele um oder ertränken ihre Frustration im Alkohol, den sie sich mit dem Lohn aus der ungeliebten Plantagenarbeit – oftmals die einzige kurzfristige Überlebenschance – kaufen.
Die Guarani-Gemeinschaft ist nur eine von vielen, die unter den billigen Lebensmittelexporten Brasiliens leiden. Viele andere teilen ihr Schicksal. Die Probleme, die der weltweite Hunger nach Fleisch schafft, kennen keine Grenzen. Ein Soja-Moratorium ist zwar ein erster Schritt, um das Leid einzudämmen. Doch die Plantagen zerstören Mensch und Umwelt über ihre Ackerflächen hinaus. Das zeigt auch der geschützte Xingu-Nationalpark, in den zusehends mehr Gifte aus den be- nachbarten Plantagen eindringen. Denn auch der Kreislauf der Natur kennt keine klaren Grenzen.
Was also tun? Der vor knapp zwei Jahren von 400 internationalen Wissenschaftlern veröffentlichte Weltagrarbericht spricht diesbezüglich eine klare Sprache: Die kleinbäuerliche Produktion, ökologische Anbaumethoden sowie die lokale Vermarktung müssen ins Zentrum rücken. Das heisst, dass wir versuchen sollten, die Nahrung für unsere Nutztiere in der Schweiz herzustellen.
Oder anders gesagt: Fleisch hat seinen Preis – und den sollten wir nicht die Indigenen im Amazonasgebiet bezahlen lassen.
Claudio De Boni schreibt regelmässig für das Greenpeace Magazin.