Knapp werdendes Öl, steigende Kerosinpreise und drohende Emissionsabgaben setzen die Flugindustrie unter Druck.
Die einzige mögliche Alternative zu luftverpestenden Treibstoffen könnten pflanzliche sein. Das verschärft den Kampf um Ackerland im armen Süden der Welt. Trotzdem wollen Lufthansa und ihre Tochter Swiss mitmischen.
Von Claudio de Boni
Es war ein grosser Tag für die PR-Leute der Flugindustrie: Am 20. Juni 2011 überquerte erstmals ein Passagierflugzeug mit pflanzlichem Treibstoff den Atlantik. Der Zeitpunkt war nicht zufällig: Die Boeing 747-8 flog pünktlich zum Beginn der Paris Air Show, des grössten Treffens der Branche, vom Boeing-Gründungsort Seattle nach Frankreich. Auf die vier Triebwerke hatte man grüne, gut sichtbare Logos mit dem Aufdruck «Nachhaltiges Biokerosin» gepappt. Boeing dokumentierte das Grossereignis auf Film. Darin schwärmt der Sprecher: «Das ist ein sehr grosser Meilenstein für den Umweltschutz.» In den Tagen darauf kündigten sieben Airlines an, künftig den Agrosprit in ihren Maschinen einsetzen zu wollen – eine davon ist Lufthansa, Mutterkonzern von Swiss.
Lufthansa spricht schon lange über Nachhaltigkeit in der Fliegerei, insbesondere im Zusammenhang mit Kerosin aus Pflanzen. Ursprünglich wollte die deutsche Airline schon ab Ende 2010 erste kommerzielle Testflüge starten, musste jedoch den Start des Projekts, das vom deutschen Staat mit 2,5 Millionen Euro subventioniert wird, aus diversen Gründen verschieben. Auch die in der Öffentlichkeit zunehmende Skepsis gegenüber Agrokerosin bringt die Fluglinie in Verlegenheit: Lufthansa bezieht ihren Treibstoff vom finnischen Konzern Neste Oil. Dessen Palmöl-Zulieferer IOI hat mit Landenteignungen in Malaysia, der Bestechung lokaler Behörden, illegalem Holzeinschlag, Brandrodungen und der Vernichtung von Orang-Utan-Gebieten Negativ-Schlagzeilen gemacht.
Neste Oil bezeichnet sein Biokerosin ohne Beweise trotzdem weiterhin als «nachhaltig» und baut sein Agrobenzin-Imperium aggressiv weiter aus: Der Konzern betreibt in Singapur und in Rotterdam mittlerweile die zwei weltgrössten Agrotreibstoff-Raffinerien, wo jährlich eine Million Tonnen Palmöl raffiniert werden können. Damit hievt sich Neste Oil auf dieselbe Stufe wie Unilever und Nestlé, mit dem Unterschied, dass Neste Oil Palmöl für die Verbrennung und nicht für Nahrungsmittel produziert. Dafür wurde der finnische Konzern Anfang 2011 von Greenpeace und der Erklärung von Bern mit dem Public Eye People’s Award für besonders verantwortungsloses Wirtschaften ausgezeichnet. Neste Oil erhielt in der Online-Abstimmung 17 385 Stimmen, 4000 mehr als der für das Öl-Desaster im Golf von Mexiko verantwortliche Energieriese BP. Zuvor hatte Greenpeace Nordic Finnair dazu bewogen, sich aus einem gemeinsam geplanten Pilotprojekt mit Neste Oil zurückzuziehen; Finnair startete aber dennoch Mitte Juli Bio-Kerosin-Flüge auf der Strecke Helsinki–Amsterdam. Statt Palmöl sollen nun unter anderem aus Speiseöl recyclierte Pflanzenfette eingesetzt werden.
Während sich Neste Oil vom Public-Eye-Schmähpreis wenig beeindruckt gab, versuchte Lufthansa, das Palmöl im Agrosprit durch Jatropha-Öl zu ersetzen. Joachim Buse, Projektleiter des Agrokerosin-Projekts «Burn Fair», liess sich im Lufthansa-Nachhaltigkeitsbericht vom April 2011 folgendermassen zitieren: «Für den von Lufthansa verwendeten Biokraftstoff wird kein Regenwald gerodet. Und es entsteht auch keine Konkurrenz zur Futter- und Nahrungsmittelproduktion.» Wie kann das garantiert werden? Lufthansa-Mediensprecherin Stefanie Stotz erklärt: «Wir haben 800 Tonnen Biokraftstoff von Neste Oil in Hamburg gelagert, da sind auch gewisse Mengen an Palmöl drin, das liess sich nicht mehr vermeiden. Doch wir werden genügend nachhaltiges Jatropha-Öl und Camelina-Öl einkaufen, um das Palmöl quasi zu kompensieren. Wir haben dabei die Lieferanten persönlich besucht und deren Prozesse in Augenschein genommen.» Konkrete Nachhaltigkeitskriterien kann Stotz auf Anfrage nicht nennen, erst zwei Tage später liefert sie auf mehrmaliges Nachfragen doch noch die Lufthansa-Richtlinien nach. Neste Oil garantiere dafür, dass selbst das Palmöl, das die Lufthansa wegen Nachhaltigkeitsbedenken eigentlich nicht einsetzen wolle, nachhaltig sei.
Mit dem Start des «Burn Fair»-Projekts Mitte Juli verkehrt nun also zwischen Hamburg und Frankfurt ein Lufthansa-Jet mit Agrosprit im Tank. Sechs Monate lang, 460 Kilometer, bis zu vier Mal am Tag hin und her. Anfang 2012 will man eine erste Bilanz ziehen und das weitere Vorgehen planen. «Wir arbeiten dabei mit dem Roundtable on Sustainable Biofuels zusammen, da sind diverse Umweltorganisationen wie zum Beispiel der WWF involviert», betont Mediensprecherin Stotz abschliessend.
Die Richtlinien umfassen 1000 A4-Seiten
Alwin Kopse, Exekutivsekretär beim Roundtable on Responsable Biofuels (RSB), ist ein jovialer Mann. Er reagiert auf die Frage, was denn nachhaltiges Agrokerosin sei, mit einem beherzten Lachen und sagt: «Es gibt momentan wahnsinnig viele Bekenntnisse zu Nachhaltigkeit in diesem Bereich, aber praktisch keine operative Zertifizierungsmethode, die eine zuverlässige Rückverfolgbarkeit zum Anbauer erlauben würde.» Eines der wenigen bestehenden Systeme sei allerdings, salopp gesagt, nicht viel mehr als eine Selbstkontrolle der Produzenten. «Letztens habe ich von einem Fall gehört, bei dem die Zertifizierung einer Anbaufläche in nur 30 Minuten abgehandelt wurde – Kaffee trinken inklusive», so Kopse. Der RSB habe nun ausgeklügelte Richtlinien für die Agrosprit-Produktion erarbeitet, die eine unabhängige Rückverfolgung bis zum Anbau erlauben würden. Erst dadurch würden Nachhaltigkeitsbekenntnisse wirklich glaubwürdig. Die Richtlinien umfassen 1000 A4-Seiten, entstanden sind sie in dreieinhalb Jahren zäher Verhandlungen zwischen Konzernen wie Shell, BP und Neste Oil sowie NGOs wie WWF, IUCN und Conservation International. Kopse dazu: «Das waren schwierige Kompromissfindungen. Ich bin aber überzeugt, dass unsere Richtlinien eine fairere Produktion von Agrotreibstoffen verlangen, als dies bisherige Regelwerke tun.» RSB-Agrotreibstoff gibt es bis jetzt nirgends zu kaufen. Kopse hofft, im laufenden Jahr erste Zertifizierungen durchführen zu können: «Geprüfte Produzenten können dann ihren Treibstoff mit der RSB-Marke versehen.» Das Label «Nachhaltiger Treibstoff» will man bewusst nicht verleihen, denn Nachhaltigkeit sei keine fixe Endgrösse, sondern ein stetiger Prozess der Verbesserung.
Weltbank will Subventionen stoppen
Genau da setzt die Kritik diverser NGOs ein. Sie sehen das Problem vor allem in der wachsenden Konkurrenz um Land. Schätzungen gehen davon aus, dass Investoren in den letzten fünf Jahren 80 Millionen Hektar Ackerland in Afrika, Asien und Lateinamerika zusammengekauft haben. Das ist mehr als die Ackerfläche der Schweiz und aller Nachbarländer zusammen. Schwenkt die Flugindustrie auch noch auf pflanzliche Treibstoffe um, verschärft dies die Verdrängungseffekte in der Lebensmittelproduktion massiv und fördert somit indirekt die Waldrodung. Tina Goethe, Fachfrau bei Swissaid und Koordinatorin der Plattform Agrotreibstoffe, zeichnet ein düsteres Szenario: «Bisher gibt es keine Möglichkeit, indirekte Auswirkungen der Agrotreibstoff-Produktion zu berücksichtigen. Das gilt zum Beispiel für die steigenden Lebensmittelpreise, aber auch für die Rodung tropischer Wälder und Savannen.» Von Jatropha als neuer Wunderpflanze hält Goethe ebenfalls nicht viel: «Dass die Nuss auf marginalen Böden wächst, ist ein Mythos.» Tatsächlich kommen mehrere Studien zum Schluss, dass grosse Erträge in kargem Gelände nur durch massive Düngung und Bewässerung erzielt werden können. Eine aktuelle Studie der britischen NGO Actionaid stellt fest, dass Jatropha-Agrosprit unter typischen Bedingungen produziert einen zweieinhalb- bis sechsmal so hohen CO2-Ausstoss verursacht wie herkömmliches Flugbenzin.
Lange waren NGOs einsame Rufer in der Wüste, wenn es um die negativen Auswirkungen der Agrosprit-Produktion ging. Seit Neuem verlangen aber auch die Weltbank, der Internationale Währungsfonds, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und die Welthandelsorganisation (WTO) einen Stopp der politischen Fördermassnahmen und Subventionen für Agro-treibstoffe, wie sie beispielsweise die Europäische Union betreibt. In der Schweiz ist derzeit im Parlament eine von 60 000 Personen unterzeichnete Petition hängig, die unter anderem stärkere ökologische und soziale Kriterien für die Zulassung von Agrotreibstoffen verlangt. Denn auch in der Schweiz sind Agrotreibstoffe durch Steuerbefreiungen subventioniert. Allerdings sind dabei die ökologischen Kriterien schon jetzt stärker als in der EU, weshalb auch fast kein Agrotreibstoff importiert wird. Swiss, immer noch in der Schweiz domiziliert, gibt sich denn auch weniger vorlaut als ihr deutscher Mutterkonzern. Gieri Hinnen, Manager Environmental Affairs bei Swiss, drückt sich so aus: «Wir sind bezüglich Biotreibstoffen noch in der Evaluationsphase, sehen darin aber grosses Potenzial. Es ist aber eine Tatsache, dass die Nutzung von Biotreibstoff alleine kein Allheilmittel ist. In der Industrie werden zusätzliche Veränderungen – wie zum Beispiel Flugzeuge mit tieferem Kerosinverbrauch – notwendig sein.» Das einzige langfristige Heilmittel aber, so sieht es momentan aus, ist die Besteuerung und Verteuerung des Flugverkehrs. Denn erst wenn die Flugindustrie nach Jahren der Zunahme einen Rückgang beim totalen CO2-Ausstoss ausweisen kann, wäre das ein grosser Tag, ja vielleicht ein grosser Meilenstein, für den Umweltschutz. Wirklich nachhaltig fliegen wird man vermutlich auch dann noch nicht können.
Erst wenn die Flugindustrie einen Rückgang beim totalen CO2-Ausstoss nachweisen kann, wäre das ein grosser Tag für den Umweltschutz.
Aus: Greenpeace Member 03/2011