In Shanghai hat sogar Recycling einen globalisierten Marktplatz. Die chinesische Rohstoffbörse Shanghai Futures Exchange ist eine besondere Börse. Zwar funktioniert auch sie im Grundsatz nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Aber die Nachfrager, nur chinesische Unternehmen, können Preise bieten, die weit über denen des Weltmarkts liegen.

Von Léon Schneider

 

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China zahlt hohe Preise für wiederverwertbaren Schrott – Europas Recycler sind im Wettbewerb benachteiligt.

© Nathalie Behring-Chisholm / Greenpeace

 

Denn als Teil seiner Rohstoffstrategie subventioniert der Staat die Preisdifferenzen. Im ersten Halbjahr 2009, berichtet die deutsche «Wirtschaftswoche», hätten die Preise in Shanghai bis zu 15 Prozent über jenen von 
New York oder London gelegen. Das Magazin nannte die Börse in Shanghai darum einmal «Chinas manipulative Rohstoffbörse».

Braucht China viel Kupfer, steigen die Preise in Shanghai bis zu einem Mehrpreis von 1000 Dollar pro Tonne, verglichen mit den zwei grossen Konkurrenzbörsen, der London Metal Exchange und der Comex in New York. Schrotthändlern in Europa ist das egal. Ihr Kupferschrott ist eine grosse Rohstoffquelle. Ist der Preis in China höher als anderswo, verkaufen sie ihr Altmetall eben in den fernen Osten statt an hiesige Recycler. Doch das gefährdet diese Firmen.

Stefan-Georg Fuchs, Einkaufsleiter einer westfälischen Recyclinghütte, sagt: «Kupferschrott ist die grösste Kupfermine, die wir in Europa haben.» In der Regel lagern bis 10 000 Tonnen Altkupfer bei ihm – Arbeit für vier Wochen. Doch im Januar 2009, als die Rohstoffe weltweit knapp wurden, war sein Hof fast leer. Es drohte Kurzarbeit. Fuchs sagt: «Es ist wichtig, dass die Sammlung und das Recycling von Kupfer in Europa erfolgen.»

Gleiche Beobachtung bei Aluminium: Günter Kirchner, Generalsekretär der Organisation of the European Aluminium Recycling Industry (OEA): «Aluminiumschrottexporte nach China (und Indien) sind eine latente Gefahr für die Recyclingindustrie in Europa. Trotz modernster Technik und hoher Produktivität europäischer Schmelzhütten sind sie im Wettbewerb oft unterlegen, da die Bedingungen ungleich sind.»

Die neusten offiziellen Zahlen der Interessenvereinigung sind alarmierend: Die Menge an Aluminiumrecycling ist von 3 Millionen Tonnen im Jahr 2007 auf 2,2 Millionen Tonnen 2009 gesunken. Letztes Jahr ist die Produktion wieder auf 2,6 Millionen Tonnen angestiegen. Sie liegt aber immer noch 14 Prozent unter dem Höchstwert von 2007. Zwar ist der Rückgang der vergangenen Jahre laut Recyclingexperte Kirchner durch die Finanz- und Wirtschaftskrise bedingt. Allerdings sei in gleicher Zeit auch die Ausfuhr von Aluminiumschrott nach China gestiegen. «Insofern ist zwar das Recycling sichergestellt», sagt Kirchner, «aber nicht in Europa.»

Pro Jahr werden rund zwölf Millionen Autos verschrottet. Das chinesische Unternehmen für Schrottverwertung Huaren Resources Recycling hat das Potenzial erkannt und will bis ins Jahr 2012 zwei Millionen dieser Wracks aus Europa importieren. Daraus gewinnt es Aluminium, Stahl, Lithium, Blei, Kunststoffe, Palladium und seltene Erden.

Laut Zahlen des weltgrössten Vermögensverwalters, BlackRock aus den USA (das Finanzinstitut verwaltet 3,65 Billionen Dollar), konsumiert China gemessen an der weltweiten Rohstoffförderung 46 Prozent des Aluminiums, 48 Prozent des Stahls und sogar 58 Prozent des Nickels. Um diese Nachfrage zu stillen, will der chinesische Staat tief in die Kasse greifen und Mehrpreise bezahlen. Da der Abbau auch China teuer zu stehen kommt, setzt das Reich der Mitte auf Secondhand-Ware.


Ungefähr 4000 Tonnen giftiger Elektroschrott fallen jede Stunde an. Grosse Mengen Schrott werden illegal aus Europa, den USA und Japan in asiatische Länder verfrachtet, da er dort wegen schlechten Umweltstandards einfach und billig entsorgt werden kann.

© Natalie Behring-Chisholm / Greenpeace

 

Recycling ist wortwörtlich Gold wert ist. In einer Tonne Mobiltelefone befinden sich 300 bis 350 Gramm – das sind fast 15 000 Franken. Die Stiftung Praktischer Umweltschutz Schweiz (Pusch) schreibt, dass bis zu 40 Prozent der Materialien eines Handys wiederverwendet werden können. Obwohl ein Handy bis zu sieben Jahre funktioniert, schafft sich der Durchschnittsschweizer alle ein bis eineinhalb Jahre ein neues an. Pro Jahr werden etwa 2,8 Millionen Handys verkauft. Dabei wird nur rund ein Siebtel der ersetzten Geräte einer Sammelstelle überlassen. 1000 Tonnen Wertstoff landen im Haushaltsabfall oder lagern in Haushalten, die auch eine Goldgrube für Altkupfer sind. Laut Swiss Recycling sind in einem Haushalt rund 200 Kilogramm Kupfer verbaut: in Stromleitungen, Heizungsrohren und Dachrinnen.

China droht, diesen Vorrat wegzufressen. Hat die Schweiz 2006 erst 19 202 Tonnen Metalle und Metallwaren nach China exportiert, waren es vergangenes Jahr 24 771 Tonnen. Laut Zahlen der Schweizer Zollverwaltung stieg der Wert dieser Exporte von 2009 bis 2010 um über 55 Prozent. Umgekehrt nahmen die Menge wie auch der Wert der Schweizer Metallimporte aus China nur um knapp 15 Prozent zu. Da die Schweiz kaum Metalle abbaut, ist ein grosser Teil vermutlich Secondhand-Ware.

Recycling wird zum Wirtschaftspolitikum – zumindest in Europa. In einem Bericht zu ihrer Rohstoffstrategie hat die EU Mitte September die Bedeutung von Recycling unterstrichen. Dieses wurde – neben Rohstoffförderung in der EU und einer «Rohstoffdiplomatie» – zum dritten Pfeiler einer Strategie deklariert, die eine sichere Rohstoffversorgung der EU garantieren soll. Im Papier des EU-Parlaments steht, auch der Recyclingsektor biete viele Arbeitsplätze und könne weitere schaffen. «Daher gilt es, ihn zu fördern und zu stärken.»

In der Schweiz hat man die Bedeutung von Recycling noch nicht wirklich erkannt. Das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) von Bundesrat Johann Schneider-Ammann schreibt nur: «Die generelle Einführung von Recycling-Systemen wird heute nicht mehr in Frage gestellt.»

Auch bei Swissmem wird Recycling als Schweizer Rohstoffquelle nur zaghaft gefordert. Der Dachverband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie hat zwar ein Papier zur «strategischen Rohstoffpolitik» verfasst. Doch im Dokument des Verbands, den Schneider-Ammann bis zu seiner Wahl in den Bundesrat präsidierte, kommt «Recycling» kein einziges Mal vor. Dafür wird über «protektionistische Praktiken» lamentiert und nach «offenen und diskriminierungsfreien Märkten» gerufen. Nur in einem Aufsatz von Swissmem-Vizepräsident Jean-Philippe Kohli wird die «Stärkung der Recycling-Wirtschaft» gefordert. In seinem Fazit aber schreibt Kohli nur von der Notwendigkeit offener Märkte.

Kohli ist derzeit ein einsamer Rufer. Die Schweizer Mediendatenbank, das Archiv aller Zeitungsartikel in der Schweiz, spuckt zu «Recycling», «Rohstoffstrategie» und «Schweiz» keinen einzigen Treffer heraus. Immerhin: Auf kommunaler Ebene kommt allmählich Bewegung in die Politik.

Am 11. Februar 2011 sprach der Zürcher SVP-Baudirektor 
Markus Kägi erstmals von «Urban Mining», also der Gewinnung von wertvollem Rohstoff aus Abfall.
Bisher wird Recycling meist als Bestandteil der Umweltpolitik verstanden. Bezeichnenderweise ist es in der Schweiz das Bundesamt für Umwelt, das auf die Rohstoffreserven in Gebrauchtmaterial hinweist. Doch die Recyclingbranche zu unterstützen, ist 
auch Wirtschaftspolitik. Dank disziplinierter Alusammlung in der Schweiz hatte die hiesige Wirtschaft im Jahr 2009 Zugriff auf Aluminium im Wert von 135 Millionen Franken. Auch 7000 Tonnen Kupfer wurden gesammelt. Diese sind gemessen am diesjährigen Höchstpreis von fast 10 000 Franken pro Tonne rund 70 Millionen Franken wert. Deutschland spart dank Recycling über 5 Milliarden Euro für Rohstoffimporte. Bereits 14 Prozent der Rohstoffgewinnung stammen aus Recycling. 15 Jahre zuvor lag der Anteil noch bei 
2 Prozent. Für die Schweiz fehlen Statistiken.
Zu hoffen ist, dass die Schweiz kein böses Erwachen hat, wenn diese Zahlen einmal erhoben werden und festgestellt werden müsste, dass der Metallschrott nach China verschachert statt hiesigen Unternehmen verkauft wird.

Von Léon Schneider

 

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