Unser Alltag ist immer mehr von Computern geprägt. Ständig interagieren wir mit intelligenteren Geräten. Das erzeugt zunehmend Umweltbelastungen. Die junge Professorin Elaine Huang in Zürich will die Probleme durch Design lösen.
Von Hannes Grassegger
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Elaine Huang, 35, ist wohl die einzige Forscherin der Schweiz, die sich wissenschaftlich vor allem um die Frage kümmert, wie man die Interaktion zwischen Mensch und Computer ökologisch und sozial nachhaltiger gestalten kann. Seit September 2010 ist die gebürtige Amerikanerin Assistenzprofessorin am Institut für Informatik der Uni Zürich. Inspiriert ist sie vom «Cradle to Cradle»-Konzept («von der Wiege bis zur Wiege») des Chemikers und Mitgründers von Greenpeace Deutschland Michael Braungart. Bevor die promovierte Informatikerin nach Zürich kam, um sich mit Nachhaltigkeitsfragen zu beschäftigen, hatte sie für einen grossen US-amerikanischen Mobiltelefonhersteller in der Entwicklung gearbeitet.
Greenpeace: Frau Huang, Sie erforschen das Interaktionsdesign. Worum geht es da?
Elaine Huang: Im weitesten Sinn darum, wie Umgebungen das Nutzerempfinden beeinflussen. Im engsten Sinne: Wie gestalten wir das Empfinden, das ein Mensch hat, wenn er eine bestimmte Technologie nutzt? Ich bin genau genommen Forscherin im Bereich Human-Computer Interaction (HCI), erforsche also die Beziehung zwischen Mensch und Computer. Wir machen Studien zu dieser Wechselwirkung. Das ist ein interdisziplinäres Feld mit Methoden der Anthropologie, der Psychologie, der Ingenieurwissenschaften und der IT.
Warum ist das punkto Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema?
Um uns herum wird es immer mehr Computertechnologie geben. Das wird tiefer in unser Leben eindringen, als wir vor zehn Jahren dachten. Und es bringt immer mehr Umweltprobleme mit sich. Man kann sich gegen diese Flut stemmen, aber der Ansatz von nachhaltiger HCI ist, Technologie nicht als Problem zu sehen, sondern sie zum Teil der Lösung zu machen. Es geht darum, den Fortschritt zu nutzen, um weniger schädlichen Fortschritt zu erzielen.
Nennen Sie mir ein Beispiel für Interaktionsdesign, das positiv zu ökologischem Verhalten beiträgt?
Wichtig ist die Visualisierung von Informationen. Es begann in Hybridautos. Wenn Leuten beispielsweise in Echtzeit ihr Benzinverbrauch angezeigt wird, hat das sehr positive Effekte.
Was wäre negativ?
Der kurze Lebenszyklus von Geräten: In Europa schmeisst man alle 18 bis 20 Monate das Handy weg. Das sind Geräte, die leistungsstärker sind als Heimcomputer vor ein paar Jahren. Wir entsorgen riesige Mengen Technologie.
«Nachhaltigkeit soll im Interaktionsdesign eines der Kernkriterien werden: Was passiert nach der Nutzung mit dem Gerät?»
Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Behebung solcher Missstände. Sie wollen «nachhaltiges Interaktionsdesign» entwickeln, englisch «Sustainable Interaction Design» (SID). Wie definiert sich das?
Nachhaltigkeit soll im Interaktionsdesign eins der Kernkriterien werden: Was passiert nach der Nutzung mit dem Gerät? Designer sollten den Lebenszyklus des Produkts bereits im Entwurf einplanen. Das wäre nachhaltiges Interaktionsdesign. Oder: Ein Grenzbereich des SID wäre die Software-Optimierung, um den Speicherverbrauch von Rechnern und damit die Strom- und Materialverschwendung zu senken.
Recycling von Geräten ist keine neue Idee.
Wir fragen uns nicht nur, ob Produkte biologisch abbaubar sind, sondern: Gibt es eine Wiederverwendung von Bauteilen? Oder des ganzen Produkts? Manche nutzen alte Handys als Wecker oder Notizbücher weiter. Kann aus meinem alten iPhone ein Kinderspielzeug fürs Wartezimmer werden? Aus einem Tablet ein Fotoalbum? Und SID stellt die Frage: Wie muss ein Produkt designt werden, damit Menschen es so einfach wie möglich umnutzen können?
Da kommt dann die Psychologie ins Spiel?
Die Menschen empfinden viele der heutigen Technologieprodukte schnell als wertlos. Wie kann man erreichen, dass Handys wie ein gutes Paar Jeans mit der Zeit cooler werden? Das Ergebnis des Forschungsprojekts einer Studentin war zum Beispiel ein Laptop, bei dem die Hülle aus Leder war. Durch die Gebrauchsspuren, die zwangsläufig entstehen, sollte sich ein persönlicher Bezug entwickeln. Der persönliche Wert steigt mit der Zeit. Im Rahmen dieses Projekts entwickelte ein anderer Designer einen MP3-Player, der den persönlichen Geschmack erlernte – und so immer besser wurde.
Luftmessung der Carnegie-Mellon-Universität (USA):
Bei schlechter Luft ändert sich die Farbe der Ballone
© Chloe Fan
Es gibt Nachhaltigkeit im Design, darüber haben wir gesprochen, aber es gibt auch den Begriff «Nachhaltigkeit durch Design». Was ist das?
Dabei sollen Menschen durch Design ermutigt werden, sich nachhaltiger zu verhalten. Ein Beispiel dafür ist ein kürzlich entwickelter Smartphone-Hintergrund, der sein Design ändert – je nachdem, wie grün man sich fortbewegt hat.
Was sind für Sie die faszinierendsten Entwicklungen der letzten Zeit?
Forscher der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh (USA) haben kleine Luftqualitätsmessungs-Sets entworfen – kleine, tragbare Ballone mit LED-Leuchten zum Selberbauen. Wenn die Luftqualität schlecht ist, leuchten die LEDs in anderen Farben. Die Leute konnten so herausfinden, wie die Luftqualität auf dem Spielplatz ist. Oder wie sie sich beim Kochen verändert. Zudem bemerkten andere Menschen die Ballone. Das ganze hatte auch einen kommunikativen Aspekt.
Gibt es auch SID-Forscher, die stromsparende Suchalgorithmen für Google entwickeln?
Das wäre hinter der Benutzeroberfläche. SID konzentriert sich eher darauf, wie Google dem User seinen Stromverbrauch zeigen könnte.
In Zukunft werden wir unsere natürliche Umwelt wohl häufig durch Computer vermittelt bekommen. Ich denke an Augmented Reality – die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Was tut sich diesbezüglich in Ihrem Forschungsfeld?
Sehr viel! Es gibt beispielsweise eine App namens GreenHat, mit der man in die Wälder gehen kann und auf dem Smartphone Clips mit Experteninformation zur natürlichen Umgebung erhält.
Ist Nachhaltigkeit überhaupt im Interesse der Hersteller?
Derzeit sehe ich da Widersprüche mit kommerziellen Interessen. Aber man sieht ja, wie man Geräte allein durch Software-Updates von innen erneuern kann. Und was wir auch in allen Studien sehen: Die Menschen sind sich der Umweltproblematik bewusst. Sie wollen nicht ständig Dinge wegwerfen. Wer will sich schon an ein neues Gerät gewöhnen? Eine Studentin unseres Instituts führte kürzlich eine Untersuchung des persönlichen Inventars von Menschen durch. Ihre Frage: Welche Bezüge entwickeln Schweizer zu ihren Gegenständen? Eine befragte Person erwähnte ihren Geldbeutel, den sie über Jahre nutzen gelernt hatte. Als die Person einen neuen Geldbeutel geschenkt bekam, verwendete sie den alten dennoch weiter. Er war nützlicher für sie. Wichtig ist also beispielsweise, wie viel Zeit Menschen mit einem Objekt verbracht haben. Es gibt eine Nachfrage nach nachhaltigen Lösungen.
Kürzlich habe ich bei der amerikanischen Modekette Urban Outfitters Schuhe mit austauschbarer Sohle gesehen. Sehr ökologisch. Will aber niemand.
Manche Sachen brauchen Zeit. Tablet-Computer gab es schon vor zehn Jahren. Jetzt plötzlich sieht man überall iPads. Was mich optimistisch stimmt, ist genau diese Geschichte. Apple hat sich vorgenommen, ein Smartphone zu designen – das war ein Erfolg, der eine ganze Generation von Mobilgeräten geprägt hat. Genauso bei den Tablets. Ich glaube daher, wenn ein Unternehmen wie Apple sich entscheiden würde, Handys zu designen, die nachhaltiger wären, könnte sich das genauso durchsetzen. Alle würden mitziehen.
Sie haben ein MacBook Air auf Ihrem Schreibtisch, bei dem nicht mal die Batterie austauschbar ist.
Davor hatte ich ein MacBook Pro. Als ich das kaufte, wollte ich eigentlich das MacBook Air. Aber weil ich dachte, beim Pro könne man die Batterie auswechseln, kaufte ich das. Und erst zuhause merkte ich, dass man beim neuen MacBook Pro die Batterie ebenfalls nicht austauschen konnte. Das war frustrierend. Aber beim Design gibt es immer Kompromisse zwischen den Kriterien. Für mich ist das Gewicht des Rechners wichtig, weil ich viel reise – wichtiger als der ökologische Vorteil, die Batterie austauschen zu können.
Menschen haben unterschiedliche Ansprüche und Lebensweisen. Geht es beim nachhaltigen Interaktionsdesign nicht auch darum, weniger den User und dafür mehr den Menschen hinter der Maschine zu erkennen?
Wenn man an den User denkt, geht es um Effizienz und Geschwindigkeit. Wer an den Menschen denkt, berücksichtigt auch emotionale Seiten, die Beziehung zum Produkt. Das ist wichtig. Beweis dafür ist der Aufstieg von Computermarken, die auf emotionalisiertes Design setzen. Der Designfokus eröffnet Möglichkeiten, um Nachhaltigkeitsideen in die Entwürfe einzubringen. Andererseits: Wer immer das neue Design will, schmeisst auch das alte schneller weg. Einen Dell-Computer wechselt man nicht aus, weil der neue so hübsch ist.
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