Mit Rio 92 wurde Nachhaltigkeit für die Wirtschaft unumgänglich. Immer mehr Unternehmen haben die Ökologie als Geschäftsfeld entdeckt. Die meisten versuchen, nachhaltiger zu werden. Bei zu vielen bleibt es beim Greenwashing. Verbergen sich hinter der grünen Fassade schmutzige Wahrheiten? Simon Zadek weiss es.

Von Hannes Grassegger

 

Er ist der Aktivist hinter den Konzernkulissen. Nur wenige wissen mehr darüber, wie es hinter den Fassaden aussieht, als Simon Zadek (54). Die Begrünung der Wirtschaft ist seine Lebensaufgabe. Als sich auf der ersten Rio-Konferenz die Diplomaten trafen, entwarf der frisch promovierte Ökonom in einem schäbigen Gemeinschaftsbüro in London Sozialstandards: Regeln, um Unternehmen in die Nachhaltigkeit zu führen. Es war die richtige Zeit. Schon bald rannten ihm Konzernvertreter die Tür ein. Shell, Nestlé, Nike, BP – Zadek arbeitete mit allen roten Tüchern der Umweltschutzbewegung. Heute erklärt er der chinesischen Regierung Green Growth und arbeitet mit chinesischen Behörden sowie Unternehmen an den Regeln für ein sozialeres und ökologischeres Wirtschaften. Jedes Jahr ist der Engländer als Berater am World Economic Forum (WEF) in Davos. Am dritten Tag des WEF packen ihn immer Selbstmordgedanken: Zu unüberwindbar scheinen die Probleme. «Irgendein Freund kratzt mich dann aus dem Schnee, gibt mir ein paar Drinks, und dann mach ich weiter. Ich habe eine Tochter. Die Zukunft ist mir wichtig», meint Zadek am Ende eines langen Gesprächs mit Greenpeace.

Dienstag, 12. Juni 2012
Simon Zadeck

© Alan Keohane

 

Greenpeace: Was hatte die Wirtschaft mit Rio 92 am Hut?

Simon Zadek: Die erste Rio-Konferenz hatte noch gar keine Vorstellung von Business. Den Begriff Green Growth gab es noch nicht. Aber: Hier begann die Wirtschaft, sich des Themas Nachhaltigkeit anzunehmen.

 

Währenddessen sassen Sie in einem kleinen Hinterhofbüro in London und wollten Unternehmensberater werden?

Bei der New Economic Foundation (NEF) versuchten wir damals, zum Nachhaltigkeitsauditor für Unternehmen zu werden. Ökosoziale Prüfung war ein neuer Ansatz. Die Ersten, die zu uns kamen, waren Ben & Jerry’s und Bodyshop – ethische Unternehmen der 1990er-Jahre. Zusammen versuchten wir herauszufinden, wie man mit Standards die Transparenz in Unternehmen erhöht und soziale Effekte misst.

 

Kurz darauf, 1995, gründeten Sie den weltweit ersten runden Tisch von Regierung, Unternehmen und Zivilgesellschaft zur «Moralisierung» des Wirtschaftens – die Ethical Trading Initiative. Wie kam es zu diesem rasanten Aufstieg Ihrer alternativen Ideen?

Das war, als die Globalisierung anfing zu reifen. Mitte der 1990er-Jahre hatten AktivistInnen gelernt, wie man unter smartem Einsatz der Medien Kritik an Brands wie Nike üben konnte. Gleichzeitig war England Sitz vieler solcher Unternehmen – und ihrer Gegner, der NGOs. Das kleine England wurde zum Labor. Weil das NEF und ich bereits mit kleinen Brands gearbeitet hatten, kontaktierten uns grössere Unternehmen, die damals vor der Herausforderung standen, ihren Ruf zu wahren.

jedesmal wenn bekannt wird, dass die chinesen etwas falsch gemacht haben, folgt der aufschrei: die sind böse!

 

Welches waren die ersten grossen Kunden?

BP kam wegen Casanare, Shell wegen Brent Spar. Und auch British Telecom kam, damals das böse Unternehmen in England. 1998 wurden sie die drei ersten Unternehmen, die die Menschenrechte in ihre Richtlinien aufnahmen.

 

Wie kam der Kontakt zustande?

Wir sassen einfach da – und die Firmenvertreter kamen zu uns. Es war der Beginn einer Ära, in der die Markennamen von Firmen höher bewertet werden als ihre restlichen Besitztümer. Doch ebendieser Markenwert war damals bedroht. Das war neu, und die Unternehmen hatten keine Ahnung, was für Instrumente ihnen helfen konnten.

 

Mit was für Menschen hatten Sie da zu tun?

Beispielsweise mit John Browne, damals CEO von BP. Als bei ihm im kolumbianischen Casanare die Dinge schiefliefen, konnte er es erst gar nicht glauben. Es war unfassbar: Seine Firma war eine Komplizin bei Menschenrechtsverletzungen! Als er sah, dass es wirklich stimmte, dass sein Unternehmen in Morde verwickelt war, öffnete er sich total. Nicht einfach um sein Unternehmen zu schützen. Er war aufgerüttelt. Moralisch. Genauso Shell-Vorstand Mark Moody-Stuart oder Phil Knight von Nike. Das waren sehr moralische Menschen. Die sahen mehr als nur ihr Unternehmen.

 

Phil Knight ein moralischer Mensch?

Nike war damals ein ganz junges Unternehmen, 25 Jahre alt. Keine einzige Führungskraft hatte je einen Gewerkschaftsvertreter ausserhalb der USA getroffen. Die hatten gar keine Ahnung.

 

Sie behaupten, Nike sei naiv gewesen?

Für einen jungen Aktivisten würde das lächerlich klingen. Aber es stimmt. Nike wollte erfolgreich sein – aber keine Menschen schädigen. Die Konstellation aus Unternehmen und Kritikern erinnert daran, wie heute chinesische Unternehmen im Westen wahrgenommen werden. Die wollen auch Gewinne machen in anderen Ländern, von denen sie wenig Ahnung haben. Jedesmal wenn bekannt wird, dass die Chinesen etwas falsch gemacht haben, folgt der Aufschrei: Die sind böse, die kümmern sich nicht darum, wie es den Menschen geht. Wenn die Chinesen in Afrika produzieren und Rohstoffe abbauen, dann stehen auch sie, wie Nike damals, vor ganz neuen, unbekannten Situationen.

 

Und dann kommt Herr Zadek und erzählt den chinesischen Unternehmern von Menschenrechten!

Die meiste Zeit in China rede ich mit der Regierung. Ich habe ein Jahr lang mit dem «Rat für internationale Zusammenarbeit in der Umweltentwicklung» des Wirtschaftsministeriums geprüft, wie die Regierung Richtlinien erlassen kann, um das soziale und ökologische Verhalten chinesischer Unternehmen im Ausland zu verbessern.

 

Warum kümmern sich die Chinesen überhaupt um Nachhaltigkeit?

Ich sehe mehrere Gründe: In den nächsten fünf bis acht Jahren will China als Staat im Ausland 1000 Milliarden Dollar in Unternehmen investieren. Das hat Premier Wen 2011 in Davos verkündet. Um komplikationsfrei Firmen kaufen zu können, muss China als Marke funktionieren.

 


Kinderarbeit in einem Textilbetrieb im chinesischen Gurao.

© Lu Guang / Greenpeace

 

Und warum noch?

Geopolitik. Jede Supermacht muss Macht auf drei Ebenen entfalten: militärisch, wirtschaftlich und moralisch. Die Chinesen werden die erste Supermacht sein, die Nachhaltigkeit ins Zentrum stellt. Nicht weil sie Priester sind. Sie brauchen eine moralische Story, um zur Supermacht zu werden.

 

Hat China keine wirkliche Moral?

Es ist nicht hilfreich, zu fragen, ob man aus Moral oder aus Pragmatismus handelt. Hilfreich ist, zu fragen: Hat es einen Effekt? Verändert es die Kultur des Unternehmens?

 

Ein Beispiel?

Seit John Browne weg ist, wurde klar, dass er es nicht geschafft hat, seine sozialen und ökologischen Konzepte bei BP zu verankern, während Mark Moody-Stuart sie bei Shell bis in die DNA des Unternehmens hineintrug.

Nestlé hat während der Beratung durch Sie UmweltaktivistInnen bespitzeln lassen. Schmerzt das?

Nein. Ist es gut? Nein. Überrascht es mich? Nein. Die interessantesten Unternehmen sind die, die zugleich in der Vergangenheit und in der Zukunft leben. Sie sind komplett schizophren. Die Unternehmen mit den interessantesten Projekten stehen mit den Füssen im Dreck und haben den Kopf in den Wolken. Da hilft nur Führungsstärke. Als grosses Unternehmen will man gewisse Dinge, die man lieber nicht tun sollte.

die spannungen wegen sozialer ungleichheit wachsen, auch in europa. vor 60 jahren wären wir in den krieg gezogen.

 

Wie wissen Sie eigentlich, ob Sie überhaupt etwas erreicht haben?

Es ist völlig unklar in dieser Welt, welche Handlungen was auslösen.

 

Sie als Spezialist für Standards müssen doch wissen, wie man Wirkung misst!

In den letzten 15 Jahren sind Umweltschutz und Nachhaltigkeit Mainstream geworden. Vieles, was wir propagiert haben, ist heute Bestandteil von Geschäftspraktiken, Gesetzen oder der öffentlichen Diskussion geworden: Sozialstandards in Unternehmen, Ethik bei medizinischen Versuchen, Privatsphäre im Netz, Hunderte solche Themen.

 

In der westlichen Welt.

Nicht nur. Noch vor drei Jahren wäre es unmöglich gewesen, in Peking eine Konferenz zum Thema Naturzerstörung in Afrika zu veranstalten. Letztes Jahr haben wir genau das getan. Fortschritt zu belegen, ist einfach. Das wahre Problem ist: Der Fortschritt ist oft so klein im Verhältnis zum Problem, dass er selber zum Teil des Problems wird.

 

Das verstehe ich nicht.

Wenn die kleinen positiven Veränderungen von Unternehmen oder Regierungen nur als Beleg genutzt werden, dass man ja «etwas tut», dann wird der kleine Fortschritt zum Teil des Problems.

 

Sie meinen Greenwashing?

Das Vereinnahmungsproblem von jedem, der Veränderung will und «der mit Macht» arbeitet, lautet: Wie kann ich verhindern, dass die Sachen, die ich tue, Teil des Problems werden? Führen kleine Schritte zum echten Wandel – oder ins grosse Problem?

 

Sie befürchten, dass uns grosse Probleme bevorstehen?

Es ist eine sehr dunkle Zeit. Alles steht auf der Kippe. Die Spannungen wegen sozialer Ungleichheit wachsen, auch in Europa. Vor 60 Jahren wären wir in dieser Situation in den Krieg gezogen. Andererseits ist nun alles offen. Darum sind das Occupy Movement und der «Arabische Frühling so wichtig. Heute erkennt die Mittelklasse, dass die Zukunft schlecht aussieht. Das ist gut. Das gibt uns politischen Raum. Jetzt ist Wandel möglich. Es gab noch nie so einen grossartigen Moment in meinem Berufsleben.