In der apulischen Hafenstadt und Industriemetropole Brindisi haben Industriekonzerne verwüstetes Land und eine um Arbeitsplätze betrogene Gesellschaft zurückgelassen. Auch in Brindisi sind Schweizer Stromkonzerne an Kraftwerken beteiligt. Dort trifft man aber auch auf die Vision einer Gesellschaft, die einen verantwortungsvollen Umgang mit der Energie pflegen will. Im letzten April eroberten ihre Exponenten Sitze im Stadtparlament.

von René Worni, freier Journalist

 


Mai 2012, Brindisi, Kohlekraftwerk Federico II: Greenpeace demonstriert für den Ausstieg aus der Kohle zugunsten erneuerbarer Energien.

© Francesco Alesi / Greenpeace

 

Entlang dem adriatischen Meer, an noch unbevölkerten Badestränden vorbei, geht die Reise weiter in den Süden Apuliens, in die Hafenstadt Brindisi. Es ist der 19. Mai, der Tag des Bombenattentats auf eine Berufsschule, bei dem die 16-jährige Melissa Bossi getötet wird. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, der Bürgermeister, keine drei Wochen im Amt, weint während seiner Rede. Die Schule trägt den Namen der Frau des Anti-Mafia Richters Giovanni Falcone. Exakt vor 20 Jahren hatte die Mafia das Ehepaar Falcone in Palermo mit einer Autobombe in die Luft gesprengt. Die Schuldigen sind folglich schnell benannt – zu Unrecht, wie sich später herausstellen wird.

Brindisi hat 90 000 Einwohner, beinahe ein Drittel von ihnen ist arbeitslos. Der Rundgang durch die ausgedehnte Industriezone im Süden der Stadt ist ernüchternd: Petrochemie-Fabriken, ein Gaskombikraftwerk mit 1200 Megawatt  und sechs Kohlekraftwerke. Es gibt Stellen auf dem Gelände, wo nicht einmal mehr Gras wächst. Hier steht das Petrochemiewerk der italienischen Enichem, eines der grössten Europas. Es produziert Polyethylen und PVC. Und hier steht auch das Kohlekraftwerk Federico II, das 3600 Megawatt leistet und europaweit als eines der schadstoffreichsten gilt. Zwei Tage zuvor hatte Greenpeace Italia mit einer spektakulären Aktion gegen die Betreiberin ENEL und für den Ausstieg aus der Kohle zugunsten von erneuerbaren Energien demonstriert.


Strom aus Gas anstatt erneuerbare Energien? In Italien bauen Schweizer Energiekonzerne seit Jahren Gaskombikraftwerke. Doch was tun die Konzerne dort genau? Soll dieser «dreckige» Strom (Gaskombis sind CO2-Schleudern) den Atomausstieg in der Schweiz überbrücken helfen? Auf den Spuren der Pläne der Energiekonzerne reiste Greenpeace im Mai nach Süditalien und stiess dabei auf zwielichtige Geschäftemacher, denen Profit wichtiger ist als Umweltschutz. Wir trafen aber auch visionäre Umweltaktivisten, die sich diesen Plänen entgegenstellen. Daraus entstand die Süditalien-Reportage, welche wir in fünf Teilen während der Sommerpause jeweils donnerstags (Start am 19. Juli) auf www.geenpeace.ch publizieren. Sie erscheint ausserdem leicht gekürzt am 21. August in unserem Magazin. Wir wünschen Euch gute Sommerlektüre!

Verbrannte Erde


Selbst bei klarem Wetter sind die Industrieabgase als  feine gelbliche Spur über dem Horizont zu sehen. Sie verschwindet nie. In den vergangenen zwanzig Jahren wanderten viele der multinationalen Betriebe in Billiglohnländer ab und liessen in Brindisi verbrannte Erde zurück. Dow Chemical beispielsweise kaufte auf dem Gelände eine Petrochemiefabrik alleine um sie dem Erdboden gleichzumachen und damit die Konkurrenz auszuschalten. In der Industriezone verschwanden mit der Zeit 4000 von 5000 Arbeitsplätzen. Neue schaffen die Konzerne schon seit Jahren keine mehr. Alpiq hielt hier bis vor kurzem zwei Beteiligungen, je eine an besagtem Gaskombikraftwerk und an einem Kohlekraftwerk.

«Der Boden ist überall mit Schwermetallen, mit Quecksilber, Cadmium, Mangan, Arsen und so weiter belastet», sagt Cosimo Quaranta. Er ist WWF-Aktivist und beobachtet seit zwei Jahrzehnten die Vorgänge in der Industriezone, die grösser ist als die Stadt Brindisi selber. «Die Politik ist wenig sensibel für die Verwüstungen, welche die Multis hier angerichtet haben. Die sind einfach abgehauen, ohne zu zahlen, ohne den Boden zu dekontaminieren», sagt er. Doch Hoffnung – klein zwar – keimt.


Riccardo Rossi und Cosimo Quaranta vor einem der sechs Kohlekraftwerke in Brindisi: «Der Boden ist überall mit Schwermetallen belastet.»

© René Worni

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paradoxe Situation

Ende April wurden eine Reihe parteiloser Kandidatinnen und Kandidaten in das Stadtparlament von Brindisi gewählt, die sich für Umweltanliegen, Gesundheit und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung engagieren. Sie machen dort zwar erst sechs Prozent aus, doch es ist ein Anfang. Einer von ihnen ist Riccardo Rossi. Er ist Forscher an der ENEA, der Nationalbehörde für neue Technologien, Energie und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung etwas ausserhalb von Brindisi. Für ihn ist klar, dass man die Kohlekraftwerke so schnell es geht abschalten muss.

Doch in Italien herrscht eine paradoxe Situation. Die frühere Regierung Berlusconi plante den Bau von AKWs im bisher kernkraftwerkfreien Land, wofür sie weit über 30 Milliarden Euro bereitstellen wollte. Doch seit der Katastrophe von Fukushima ist der Traum vom Atomstrom ausgeträumt. Es herrscht Hektik. Gewisse Kreise schüren die Angst vor Energiemangel und fordern mehr Kraftwerke. Doch Gaskombikraftwerke sind derzeit wenig rentabel. Die Kohlelobby Assocarbone will deshalb ihre nationale Stromproduktion aus Kohle sogar auf gegen 30 Prozent verdoppeln. «Da steckt keine neue Technologie dahinter, denen geht es allein um den Profit», sagt Rossi. Das ist auch das Motiv für den Bau eines neuen Kohlekraftwerkes, das eine Tochterfirma der Schweizer RePower im kalabresischen Saline Joniche realisieren will. Kohle ist billig, weil niemand den Schaden zahlt, den sie in der Umwelt anrichtet. Rossi: «Die CO2-Zertifikate haben eine völlig untergeordnete Bedeutung und tauchen in den Bilanzen der Industriekonzerne kaum auf.» Von Abgeltung der Umweltschäden kann keine Rede sein.

Stromproduktion verstaatlichen

Rossi rechnet vor, dass Italien gar keine neuen Kraftwerke braucht: Die Nachfragespitze beträgt 55 000 Megawatt, die installierten Einrichtungen leisten jedoch 90 000 Megawatt. Die Lösung liegt für ihn in der Demokratisierung und Verstaatlichung der Stromproduktion. Die müsse sich an den tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort bei den Konsumenten orientieren. Der Staat dürfe die Stromproduktion nicht an multinationale Konzerne abtreten, die sich allein am Profit orientieren. Die Lösung führt in einen allmählichen Übergang zu erneuerbaren Energien, deren Technik sich sehr schnell entwickelt. Wie lange dieser Übergang mit Strom aus Gas gestützt werden soll, ist jedoch völlig offen.
Während des Gesprächs packt ein Mann seinen verängstigten Schäferhund in den von der Sonne aufgeheizten Kofferraum seines Alfa und will davonfahren. Cosimo Quaranta steht dabei und stellt ihn zur Rede. Es kommt fast zu einer Schlägerei, bis der Mann nach gestenreichem Wortgefecht lauthals nachgibt und davon absieht, seinen Hund auf tierquälerische Art zu transportieren.


Eines der ersten Gaskombikraftwerke (3 Blöcke, zusammen 1200 MW) Italiens steht in der Industriezone von Brindisi, an dem Alpiq bis in diesem Frühjahr mit 20 Prozent beteiligt war.

 

 

Strom für die Schweiz?

Die Zeichen stehen trotz der gegenwärtigen Baisse in Italien überall auf Gas. Die Schweizer Konzerne sind an gesamthaft 16 Gaskombikraftwerken in Süditalien und in der Poebene beteiligt, fünf sind geplant und vorläufig auf Eis. Werden sie auch einmal eine Rolle für den Übergang in eine AKW-freie Schweiz spielen? Dass die Schweiz im Ausland Strom für den Eigenbedarf produzieren könnte, hält jedoch Andreas Meier von der Alpiq für kaum realistisch. «Seit geraumer Zeit werden die Netzkapazitäten wegen der Engpässe an den Landesgrenzen über Auktionen an den Meistbietenden versteigert. Der exklusiven und langfristigen Nutzung von Leitungskapazitäten ist damit ein Riegel geschoben.»

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Der vierte Teil der Reportage (bevor in Teil fünf die Reise noch weiter südwärts geht) ist ein Interview mit dem Wissenschaftler und Forscher Riccardo Rossi, seit kurzem Gemeinderat von Brindisi. Er liefert den Entwurf einer modernen und ressourcenschonenden Gesellschaft und erklärt die Voraussetzungen, die es dafür braucht.