6 Thesen gegen Umwelterziehung durch Information und 1 Plädoyer für eine projektorientierte Umweltbildung.
6 Thesen gegen Umwelterziehung durch Information und 1 Plädoyer für eine projektorientierte Umweltbildung.
1. Umwelterziehung, die mittels didaktisierten Informationen „richtiges Verhalten vermitteln“ will, taugt nicht zur Bildung. Sie hat keine oder gar gegenteilige Wirkung als die beabsichtigte.
Verhaltensappelle mögen Ausdruck guter Absicht sein, aber als Bildungsansatz taugen sie nicht, denn zum einen nützen individuelle Verhaltensanstrengungen Vereinzelter der Umwelt nichts und zum andern sind sie sind kein Anlass zum Lernen (aus dem die Befähigung zum eigenen Handeln hervorgeht). Informationen zielen auf den „Vernunftsmenschen“, den es aber kaum gibt – Menschen sind primär Erfahrungs- und Gefühlsmenschen (siehe „Die Macht des Unbewussten“, www.psychologie–heute.de, Juli 2012).
2. Beschränkt sich „Umweltbildung“ auf Informationsvermittlung darüber, was die Gesellschaft an Dreck produziert, respektive auf den Appell diesen aufzuputzen, wird die Begegnung der jungen Menschen mit ökologischen Fragen problembesetzt, moralisch, langweilig oder macht Angst.
Ist es nicht möglich, eine Bedrohung durch eigene Verhaltensänderung in absehbarer Zeit abzuwenden – wie das bei Umweltproblemen meist der Fall ist (s. Kasten Allmende-Klemme) –, kann die Nutzlosigkeit eigener Anstrengungen Ohnmachtsgefühle wachrufen und gerade bei jungen Menschen zu Umweltängsten führen. Als Ausweg bleiben Trotz oder Verdrängung. (Angst ist allenfalls dann ein Motivator, wenn durch Verhaltensänderung eine Gefahr tatsächlich abgewendet werden kann, wie z.B. im Strassenverkehr, wo das richtige Verhalten vor dem Überfahren schützt.)
Die Allmende-Klemme
Die Allmende-Klemme („Tragedy of the Commons“, s. Wikipedia), besagt, dass ein öffentliches Gut (z.B. die Luft oder eben eine Allmende) umso stärker für eigene Zwecke gebraucht wird, je weniger das Nutzungs-verhalten unter den Nutzer/innen abgesprochen ist, nach dem Motto: „Bin ich mir nicht sicher, was die anderen tun, nehme ich lieber zu viel als zu wenig“. Ungünstiges Verhalten wird gerechtfertigt mit Entschuldigungen wie „wäre es wirklich schlimm, wäre es verboten“, „sollen doch andere anfangen“ oder „auf meinen Beitrag kommt es ja nicht an“ und also beibehalten. Die kürzlich verstorbene Ökonomie-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat ermittelt, dass Abmachungen zum Schutz von Gemeingütern auf Gemeinde- oder genossenschaftlicher Ebene meist erfolgreicher sind als zentralstaatliche Kontrolle und Marktmechanismen. Vor Ort vorhandenes Wissen wird genutzt, weil der/die Einzelne darüber informiert ist, ob und wie die Abmachungen von den anderen eingehalten werden.
Wie wenig Informationen oder Verhaltensappelle bewirken bzw. wie wirksam die Allmende-Klemme ist, illustriert zum Beispiel der Verlauf der Inverkehrsetzung neuer Motorfahrzeuge (MFZ) in der Schweiz: Zwar mochte die „Waldsterbensdebatte“ Anfang der 1980er Jahre Einfluss haben (die Zahl jedenfalls sank von 355’000 (1982) auf 330’000 MFZ (1985)), doch bereits 1989 gab’s mit 412’000 neuen Motorfahrzeugen ein neues Hoch. Die Zahl fiel in den 90er Jahren aufs Niveau Mitte 80er, doch seit der Jahrhundertwende stieg sie mit der Wohnbevölkerung kontinuierlich auf 420’000 MFZ (2011). Das obwohl die Information, dass Autoabgase fürs Gemeingut „Luft“ nicht förderlich sind, den Autokäufer/innen bekannt sein dürfte. Aber eben: erst die andern.
3. Das Propagieren individueller Verhaltensweisen ist verkappte Katastrophenpädagogik. Mit Verhaltensempfehlungen bekämpft man Symptome und keine Ursachen.
Katastrophenpädagogik im Stil von: «Die Klimaerwärmung wird immer schlimmer, fahre also nicht Töffli“ – ist zwar mittlerweile verpönt. Aber auch weniger plumpe Verhaltenstipps sind im Fall globaler Umweltprobleme eine Probleminformation mit Pseudo-Angebot: Sie machen das Problem zwar erkenntlich(er), mindern es aber nicht. Kommt hinzu, dass sich jene jungen Menschen verschaukelt fühlen können, welchen diese Doppelbödigkeit („Ihr sollt etwas tun, aber verändern könnt ihr nichts“) bewusst wird. – Ist beispielsweise Abfall ein Problem, soll es primär an der Quelle (z.B. Verbot problematischer Verpackungen) oder mit geeigneten Massnahmen (z.B. Pfand) verringert werden und nicht mit einem langweiligen schulischen Trainingsprogramm zur Abfalltrennung. Unpolitische Umwelterziehung ist im Prinzip der Versuch, dass junge Menschen durch aufgedrängte Verhaltensangebote richten sollen, was auf höherer Ebene nicht erreicht worden ist.
4. Stoffwissen ohne Anwendung verpufft
Stoff, der kurzzeitig für eine Prüfung angeeignet aber nicht angewandt wird, geht schnell wieder vergessen. Verzichtet werden soll dabei nicht auf Information an sich, sondern auf Vermittlung von Stoff, der nicht nachgefragt bzw. angewandt wird. Beim Lernen eines Computerprogramms liest auch niemand das Handbuch auf Vorrat von A bis Z, sondern nur das, was die Praxis erfordert. Es nützt nichts, Menschen mit Informationen zu belästigen, die sie nicht interessieren. Die meisten Umweltinformationen sind für die Allermeisten langweilig. So interessieren Informationen zu Lokomotiven auch nur sehr wenige der vielen Zugfahrenden. Wer einem Menschen das Wandern schmackhaft machen will, nimmt ihn besser auf eine Wanderung mit, als ihn mittels einer Wanderkarte zu informieren.
5. Wer auf Informationsverbreitung setzt, ist selber informationsresistent.
Die Psychologie hat längst gezeigt, dass primär Verbote, Gebote oder Lenkungsabgaben wirksam für massenhafte Verhaltensänderungen sind, aber freiwillige, info-basierte an der Allmende-Klemme (s. Kasten) und anderen psycho-sozialen Mechanismen scheitern. Zudem geht „Informierung“ davon aus, die Ratio sei primär Handlungsauslöser, dabei ist in erster Linie die „biografische Emotion“ handlungsrelevant (siehe „Die Macht des Unbewussten“ wie oben zitiert).
6. Das Propagieren richtigen Verhaltens ist politisch korrekt und eckt nicht an. Deshalb gibt es für solche Pflästerli-Angebote und Appell-Pädagogik eher Geld als für (teurere) Praxisprojekte.
Was also dann? Plädoyer für eine projektorientierte Umweltbildung.
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Grund-Satz und in einer Formel: Umweltbildung (UB) setzt auf Erlebnis (vor allem bei Kindern: «Raus, aber richtig» (statt Putzequipen heranziehen)), und bei Jugendlichen auf praktische Arbeiten wie Projektwochen (statt langweilige Pseudoaufklärung), denn Lernen geschieht beim gestaltenden Tun und beim Nachdenken übers Handeln (und nicht über Wissensvermittlung (allein)).
Also: UB = NE + SE + gH (Umweltbildung = Naturerlebnis + soziales Erlebnis + gemeinsame Handlung). Dabei gilt, dass bei Kindern bis acht Jahre sich UB auf NE + SE beschränkt, bei 9 bis 12-jährigen ist gH primär gestaltendes Handeln, erst ab 13 Jahren ist gH Aktion und/oder Produkt.
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Umweltbildung ist Lernen über ökologische Aspekte sozialer Systeme und nicht (nur) Stoffvermittlung (z.B. über Kreisläufe oder Energiephysik). Wie kann eine Gruppe Änderungen in Systemen wie z.B. Schule oder Gemeinde herbeiführen bzw. auf diese Einfluss nehmen? Was dabei gelernt wird, heisst Gestaltungskompetenz – die Fähigkeit, Prozesse mitzugestalten. Umweltbildung bedeutet in diesem Sinn auch Stütze bieten zum Selberkönnen; also Empowerment. Sie weckt Praxis- und Erlebnisfreude, und braucht dafür Futter aus Natur- und Sozialwissenschaft.
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Umweltbildung ist vor allem Projektarbeit, bei der Lernmöglichkeiten und Partizipation geboten werden. Diese ermöglichen Identifikation und fördern Interesse: Etwas zu lernen, das auch sonst im Leben nützlich ist, ist eine wichtige Triebfeder.
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Echte Handlungsmöglichkeiten erkennt man daran, dass am Ende eines Engagements ein handfestes Produkt entsteht, das gesellschaftlich übers Produkt hinaus weist. Beispielsweise ist ein Sonnenkollektor-Projekt einer Schulklasse mehr als die blosse Installation einer Solaranlage: Junge Menschen tun etwas Handfestes und sind stolz aufs Geleistete. Statt nur zu hören, was man tun sollte, tun sie etwas Konkretes. Das bereitet Freude, ist interessant und stärkt die Verbreitung realen Umweltschutzes.
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Umweltbildung ist interdisziplinäre politische Bildung. Ein Ziel von Umweltbildung ist, anhand von Umweltthemen politisch zu bilden, also eine «éducation pour la citoyenneté». „Politisch“ ist dabei allgemein und nicht parteipolitisch gemeint, also im Sinne der „Polis“ (Gemeinschaft).
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Die Hauptaufgabe – und grosse Herausforderung – von Bildungsanbietern ist die Entwicklung relevanter Handlungsansätze für Gruppen. Soll Handlung ausgelöst werden, sind Angebote zu erarbeiten, mit welchen Handelnde etwas Sichtbares erreichen. Gibt es keine relevante Handlung, ist es klüger, das Vorhaben aufzugeben. Die Angebote sind auf zwei und mehr Jahre auszulegen. Jedes Angebot braucht eine Testphase, in der gelernt und festgestellt werden kann, ob es funktioniert. Langfristigkeit bringt tendenziell höhere Beteiligung, und der Beitrag einer teilnehmenden Klasse ist nicht isoliert. Kurzzeitige Aktionen dagegen sind eher Störung denn Beitrag.
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Umweltschutz ist immer ethisch begründet und hat daher mit Wertehaltungen zu tun. Werte werden nicht vermittelt, indem Gebote doziert werden («Du sollst deinen Abfall trennen»), sondern eher mit Auseinandersetzung, wie z.B. mit «Dilemma-Geschichten». (Eine Dilemma-Situation ist z.B. die Notlüge, mit der man andere oder sich schützen will. Die Diskussion, unter welchen Bedingungen Notlügen «erlaubt» sind, wirkt nachhaltiger als ein doziertes «Du sollst nicht lügen»).
UB Grundsätze des Schweizer Forums Umweltbildung siehe hier:
www.umweltbildung.ch/fileadmin/user_upload/resources/positionspapier_1.pdf