Zuallererst: Ja, es ist anders als ich es mir vorgestellt habe. Nicht schlechter, nicht besser… nur eben anders. Wie kann man sich auch etwas vorstellen, das man mit nichts bisher Erlebten vergleichen kann!?
Seit knapp 4 Wochen nenne ich also die Rainbow Warrior mein neues zu Hause. Meine neue Patch-Work-Familie besteht aus 18 Crew- und acht Kampagnen Mitgliedern – mich nicht eingeschlossen. Vertreten sind alle Kontinente, mit rund 18 Ländern an der Zahl. Japan, Taiwan, Korea, Spanien, Italien, Österreich, England, Finnland, Holland, Australien, Neuseeland, Argentinien, Panama, Indien, USA, Russland, Litauen und natürlich die Schweiz.
Doch die Rainbow Warrior ist viel mehr als nur ein schwimmendes Sammelsurium von Menschen aus aller Welt. Es ist mein Arbeitsplatz, mein Bett, mein Universum, meine Realität. Auf paradoxe Weise Gefängnis und grenzenlose Freiheit in einem.
Jeden Tag um 7:30 Uhr beginnt mein Tag. 30 Minuten bleiben Zeit für Frühstück, Dusche und Anziehen. Denn um Punkt 8:00 Uhr beginnt der Kampf um die Schiffsämtli: Gänge fegen, Toiletten schrubben, Wäsche waschen. Jeden Tag, Montag bis Samstag. Ausser Sonntags. Dann ist Ruhetag. Ausser natürlich wir arbeiten, was die letzten Wochen über regelmässig der Fall war. Denn die Rainbow Warrior ist aus einem ernsten und wichtigen Grund in diesen Gewässern.
Greenpeace arbeitet mit lokalen Fischern und deren Dorfgemeinschaften zusammen um die Aktivitäten von ausländischen Fischerbooten zu untersuchen und die Position der regionalen Fischerei zu stärken. Der Indische Ozean ist weltweit das zweitwichtigste Gebiet für den Thunfischfang. Als Teil der internationalen Kampagne mit dem Ziel, die Überfischung der Meere zu stoppen, ist die Rainbow Warrior, das Flaggschiff von Greenpeace, in diesen Gewässern unterwegs, um mit der lokalen Bevölkerung zu sprechen, die Problematik des exzessiven, nicht regulierten und illegalen Thunfischfangs zu diskutieren sowie Lösungswege aufzuzeigen, damit auch zukünftige Generationen von dem Reichtum und der Artenvielfalt der Meere leben können.
Während der ganzen Zeit kümmert sich die Crew leidenschaftlich um das Schiff – und um uns. Die beiden Köche verköstigen uns täglich und immer pünktlich um 12:00 Uhr und um 18:00 Uhr mit Leckereien. Die Routine ist nötig, denn das Leben an Bord ist aus gutem Grund durchstrukturiert. Jeder hat seinen Beitrag zu leisten. Und mittlerweile sitzt auch bei mir jeder Handgriff. Keine blauen Flecken mehr, kein Stolpern, kein Ausrutschen.
Seit knapp 12 Stunden segeln wir wieder. Nachdem wir vier Tage lang im südlichen Teil der Malediven das Leben von Fischern und deren traditionelle und nachhaltige Fangmethoden , sowie den daraus resultierenden Wohlstand für die ganze Gemeinschaft dokumentiert haben, sind wir nun auf dem Weg in die EEZ (Exclusive Economic Zone) der Malediven.
Jedes Schiff, das hier fischt, ist illegal. Denn die Malediven schützen ihre Gewässer vor Plünderern und verbieten jeglichen ausländischen Flotten das Fischen in ihren Hoheitsgewässern im Umkreis von 200 Seemeilen. Die Gewässer sind deshalb reich an Fisch und ziehen Piratenfischer nahezu magisch an. Ich bin müde und erschöpft, denn, da auch die Gewässer rund um die Malediven im Hochrisikogebiet der Piratenangriffe liegen, sind seit letzter Nacht auch wieder die Piraten-Wachen an der Tages-, oder besser gesagt an der Nachtordnung. Meine Schicht dauerte von 01:00 – 03:00 Uhr Morgens.
Fünf Stunden später sitzen wir schon wieder im Büro und planen den Tagesablauf. Der Helikopter steht schon zum Einsatz bereit. Ein weitläufiges Gebiet kann mit seiner Hilfe abgesucht werden und so können auch die Fischerboote aufgespürt werden, die ihr Automatisches Identifikationssignal (AIS) ausgeschaltet haben, um ungestört die Meere zu plündern.
Ich schlüpfe trotz der tropischen Hitze in Jeans und Softshell-Jacke und mache mich bereit für meinen ersten Helikopter-Flug. Mit der Kamera um den Hals und dem Herz in der Hose klettere ich auf den Beifahrersitz – und schon sind wir in der Luft.
Unter mir sehe ich nichts als mein zu Hause, die Rainbow Warrior, und das Blau des Indischen Ozeans. Doch ich weiss, unter dem Nichts lebt eine Vielzahl an Etwas. Man kann es nur nicht sehen. Doch es ist da. Ein ganzes Ökosystem – so wunderschön, so vielfältig, so bizarr und so verletzlich – das wir zu schützen hier sind. Ich wünschte jeder könnte sehen ,was ich sehe, was sich unter der Oberfläche verbirgt und dass es zu schützen gilt: Leben!