Ein Drittel des Stromverbrauchs im Kanton Wallis könnte mit Solarenergie produziert werden. Doch der Walliser Energieminister und der grösste Oberwalliser Stromverteiler setzen die Prioritäten anders, weil Wasserkraft mehr Wasserzins in die Kassen des Kantons und der Gemeinden spült.

Von Kurt Marti


© Ralph Deseni

 

Auf der Sonnenterrasse hoch über dem Rhonetal, etwas unterhalb der Riederalp, liegt der Weiler Oberried in der Gemeinde Bitsch. Hier scheint die Sonne auch dann ungetrübt vom stahlblauen Himmel, wenn im Herbst und Winter das Mittelland wochenlang unter einer dicken Nebeldecke versinkt. Diesen Standortvorteil wollten Christian Fux und Paul Weber nutzen und investierten in eigene Solarstromanlagen. Doch sie machten die Rechnung ohne die Solarstrompolitik des Kantons, insbesondere ohne die des regionalen Elektrizitätswerks Energie Brig Aletsch Goms (EnBAG).

Die jährliche Sonneneinstrahlung im Wallis liegt 16 Prozent über dem Mittel der anderen Kantone. In Zermatt ist die Solarstrahlung sogar 21 Prozent höher als im Schweizer Durchschnitt. Diese Werte stehen im krassen Gegensatz zur bisherigen Solarstromernte im Wallis. Die aktuell installierte Leistung der Fotovoltaikanlagen beträgt laut der Stiftung KEV (Kostendeckende Einspeisevergütung) 2,5 MW. Das ergibt pro Kopf der Walliser Bevölkerung mickrige 8 Watt. Zum Vergleich: Laut dem Solarstrom-Magazin «Photon» liegt dieser Wert im deutschen Bundesland Bayern bei 640 Watt, im gesamten Deutschland bei 300 Watt und in Italien bei 210 Watt. Der Wert für die ganze Schweiz liegt bei bescheidenen 26 Watt.

 


Bellwald, 19. Juni 2012: Jugendsolar von Greenpeace installiert mit Freiwilligen der Organisation Solaragenten Sonnenpanels auf Lawinenverbauungen.

© Greenpeace / Nicolas Fojtu

 

Staatsrat Jean-Michel Cina wird mangelnder Effort vorgeworfen

Im Jahr 2008 erteilte der damalige Walliser SP-Staatsrat Thomas Burgener dem Ingenieurbüro easi (Energie, Architektur, Sanierungen, Information) den Auftrag, einen «Massnahmenplan Solar Wallis» zu erarbeiten. Im Sommer 2010 lag der Plan vor – mit erstaunlichen Resultaten: Wenn auf einem Drittel der Dachflächen im Wallis Fotovoltaikanlagen installiert werden, resultiert daraus eine Solarstromproduktion von rund 800 GWh. Das ist ein Drittel des Walliser Stromverbrauchs (ohne Industrie).

Ein Jahr später – im Sommer 2011 – wollte das Wissenschaftsmagazin «Einstein» des Schweizer Fernsehens wissen, was aus dem Massnahmenplan geworden ist. Dazu befragte die «Einstein»-Redaktion den CVP-Staatsrat Jean-Michel Cina, der nach den Wahlen im Jahr 2009 das Energiedepartement übernommen hatte. Cina machte keinen Hehl daraus, dass der Kanton Wallis die Priorität nicht bei der Förderung des Solarstroms setzt, sondern beim Ausbau der Wasserkraft: «Mit der Wasserkraft, insbesondere den Kleinwasserkraftwerken, können wir schneller eine höhere Leistung erbringen als mit einer flächendeckenden Ausrüstung der Dächer mit Fotovoltaikanlagen.» In seinen Vorträgen gibt Cina immer wieder das grosse Potenzial von Solarstrom zum Besten, um die Verantwortung gleich darauf elegant auf die Gemeinden, die Privateigentümer und das Gewerbe abzuschieben.

Die Walliser Solarstudie schlägt ein Paket von Massnahmen vor, die der Kanton ergreifen kann, um das Wallis zu einem Solarkanton zu machen: Erstens die Gründung einer «Taskforce Solarenergie Wallis» mit Vertretern des Kantons, der Gemeinden und der Wirtschaftsförderung, zweitens eine Übergangsfinanzierung bis zur Auszahlung der KEV-Gelder und drittens die gesetzliche Verankerung der Solarstrategie. Hinzu kommen weitere Empfehlungen für Investitionsbeiträge, Steuererleichterung und zinsgünstige Darlehen.

Auf Anfrage erklärt Natalie Theler, Mitarbeiterin der kantonalen Dienststelle für Energie und Wasserkraft, dass zwei Jahre nach der Publikation der Studie noch keine Taskforce, keine wirksamen gesetzlichen Massnahmen und keine Übergangsfinanzierung zur KEV existierten. Der Kanton Wallis beschränkt sich auf punktuelle Massnahmen wie die Ausbildung von Fachleuten, Steuervergünstigungen, Empfehlungen für die Gemeinden, Tools zur Berechnung der Wirtschaftlichkeit von Solaranlagen und die Information der Solarfachleute. Laut Theler liegt es «auch an den Elektrizitätswerken und den beteiligten Aktionärsgemeinden, ihre Verantwortung wahrzunehmen». Und da sei «viel am Laufen». Deshalb stehe «die Aufstellung einer Taskforce zurzeit nicht im Vordergrund.»

Ganz anders sieht das Heini Glauser vom Büro easi, der den Massnahmenplan im Auftrag des Kantons Wallis verfasst hat. Er ist enttäuscht über den mangelnden Effort von Staatsrat Jean-Michel Cina und seinem Energiedepartement: «Von den Massnahmen, welche die Solarstudie vorschlägt, wurden fast keine umgesetzt. Der Kanton schiebt die Verantwortung auf die Gemeinden und die Elektrizitätswerke ab. Das führt beispielsweise zu skandalösen Ungleichheiten bei den Rückliefertarifen.» Um solche Ungleichheiten zu vermeiden, hätte der Kanton «eine Mindestentschädigung für Solarstrom von rund 25 Rp./kWh festsetzen und der kantonseigenen Walliser Elektrizitätsgesellschaft (WEG) Auflagen zur Förderung von Solarstrom machen müssen.» Zudem kann laut Glauser eine wirksame Solarförderung ohne Taskforce nicht umgesetzt werden, weil der kantonalen Dienststelle für Energie dazu das nötige Personal fehle.

Laut KEV-Statistik (Stand 1. Juli 2012) profitieren im Wallis 129 Solaranlagen mit einer Gesamtproduktion von 2,5 GWh von den KEV-Förderbeiträgen. Positive Entscheide erhielten 77 Solarproduzenten mit einer Gesamtproduktion von rund 2,2 GWh. Auf der Warteliste stehen 411 Fotovoltaikanlagen mit einer Gesamtproduktion von rund 15,2 GWh. Während der Kanton Wallis die finanzielle Förderung der Solaranlagen den Elektrizitätswerken und privaten Investoren überlässt, übernehmen andere Kantone die Übergangsfinanzierung bis zur Auszahlung der KEV-Beiträge. Der Kanton Waadt zum Beispiel springt mit 20 Millionen Franken in die Finanzierungslücke.

EnBAG stösst Solarproduzenten vor den Kopf
Letztes Jahr ging im EnBAG-Gebiet* eine Gruppe von Solaranlagen auf 18 privaten Dächern ans Netz. Die Solaranlagen erbringen zusammen eine Leistung von 860 kW und eine Stromproduktion von rund 1 GWh. Die Solarproduzenten wurden auf die KEV-Warteliste gesetzt und müssen nun bis drei Jahre auf die KEV-Vergütung warten, die ab 1. Oktober 2012 im Schnitt 31 Rp./kWh beträgt. Für die Übergangsphase hatten die Solarproduzenten mit einem Tarif von 15 Rp./kWh gerechnet. Überraschend teilte die EnBAG den Solarproduzenten in einem Brief vom 6. April 2012 mit, dass für die Anlagen mit einer Leistung von mehr als 3 kW der Rückliefertarif von 15 Rp./kWh auf 5,35 Rp./kWh (Sommer-Niedertarif) bis 11,4 Rp./kWh (Winter-Hochtarif) abgesenkt werde, und zwar rückwirkend auf den 1. April. *http://www.enbag.ch/
stromverteilnetz.php

Statt den Solarstrom zu fördern, sind die Elektrizitätswerke aktiv bemüht, die letzten frei fliessenden Bäche in Druckstollen zu legen – finanziert mit den Öko-Beiträgen der KEV. Die KEV-Statistik liefert eindrückliche Zahlen: Die Gesamtsumme der realisierten, der bewilligten und der geplanten Kleinwasserkraftwerke beträgt 605 GWh (Stand 1. Juli 2012). Das ist doppelt so viel wie in Graubünden und im Vergleich der Kantone einsame Spitze. Die Priorisierung der Wasserkraft hat finanzielle Gründe: Die Gemeinden und der Kanton profitieren von den Wasserzinsen der Kleinwasserkraftwerke. Und weil in den Verwaltungsräten der Elektrizitätswerke im Normalfall der Gemeindepräsident sitzt, ist die Rechnung bald gemacht.

Rückliefertarife der Elektrizitätswerke sind sehr unterschiedlich

Die Walliser Elektrizitätsgesellschaft (WEG), die dem Kanton, den Gemeinden und den regionalen Stromverteilern gehört, befindet sich bezüglich der Solarstromförderung noch in der Phase der Analyse, heisst es im Jahresbericht 2011. Statt die Solaranlagen zu fördern, beteiligte sich die WEG mit 10 Prozent des Aktienkapitals am Pumpspeicherkraftwerk Nant de Drance, das 1,8 Milliarden Franken kostet.

Die Rückliefertarife der Elektrizitätswerke im Wallis sind sehr unterschiedlich. Laut Nathalie Theler von der kantonalen Dienststelle für Energie bezahlen mehrere Stromverteiler im Unterwallis Tarife von 20 bis 30 Rp./kWh. Im Oberwallis hingegen zahlen die meisten Elektrizitätswerke nur 15 Rp./kWh. Und auch dieser niedrige Tarif wird laut Recherchen des Magazins Greenpeace im Oberwallis noch unterboten. Die Energie Brig Aletsch Goms (EnBAG) etwa überraschte die privaten Solarstromproduzenten im vergangenen April mit einer Tarifreduktion auf rund 8,5 Rp./kWh (siehe Kasten S. 55). Dabei hatten die Solarproduzenten für die Übergangsphase bis zur KEV-Vergütung mit einem Tarif von 15 Rp./kWh gerechnet. Laut Auskunft der Solarproduzenten wurde dieser Tarif mündlich mit der EnBAG vereinbart. Auf dieser Basis gewährten die Banken auch ihre Hypotheken.

Als Begründung für die Tarifreduktion verwies die EnBAG auf die Empfehlungen des Bundesamtes für Energie (BFE) vom Februar 2010. Was die EnBAG jedoch als empfohlenen Höchstpreis ausgab, ist in der BFE-Empfehlung ein Mindestpreis. Das BFE hält in seinem Schreiben vom Februar 2010 ausdrücklich fest: «Höhere Vergütungen sind möglich.» Urs Wolfer, Bereichsleiter Fotovoltaik beim BFE, sagt lakonisch: «Wenn man nichts machen will, erklärt man das Minimum zum Maximum.»


Viele Projekte, wenig Strom

Budgetierte Stromproduktion pro Jahr der Solar- Wind-, Biomasse- und Klein-Wasserkraft- Projekte, die bis September 2012 ein Gesuch für die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) einreichten. Alles gemessen in Millionen kWh.

Lesebeispiel: Würden alle Windkraftwerke in der Schweiz gebaut, für die ein KEV-Gesuch vorliegt, könnte die Schweiz pro Jahr 3,477 Milliarden kWh Windstrom erzeugen. Die KEV-berechtigten Windkraftwerke, die bis Ende 2010 realisiert wurden, produzieren aber erst 40 Millionen kWh pro Jahr.

 

Paul Weber: «Mein Vertrauen in die EnBAG ist auf dem Nullpunkt»

Bei betroffenen Fotovoltaikproduzenten weckte die Abschreckungspolitik der EnBAG harsche Kritik. Für sie kam die Tarifreduktion der EnBAG wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Christian Fux, der in Oberried eine Solaranlage mit einer Jahresproduktion von rund 35 000 kWh gebaut hat, fühlt sich von der EnBAG «verarscht». «Mehrere Anlagenbesitzer haben mir mitgeteilt, dass sie mit Kenntnis dieser Fakten keinesfalls eine Anlage gebaut hätten.» Christian Fux übt nebst Kritik an der plötzlichen Tarifabsenkung wie auch an der «schwierigen Kommunikation» mit der EnBAG und «dass im Bereich Fotovol-taik so gut wie kein Fachwissen vorhanden ist».

Auch Paul Weber, der in Oberried eine 7-kW-Anlage gebaut hat, fühlt sich verschaukelt. In einem Brief an die EnBAG schreibt er: «Mein Vertrauen in die EnBAG ist auf dem Nullpunkt, und ich bin wohl nicht der Einzige. Wir alle in der Region haben darauf vertraut, dass die Aussage stimmt, es würden im Übergang zu den Beiträgen der KEV 15 Rp./kWh entrichtet.» Damit habe die EnBAG erreicht, dass «der Schwung bei den Privaten in der Region gebrochen ist». Er spüre seit einiger Zeit, «dass das politische Lobbying der Elektrizitätsindustrie dahin geht, dem Schweizer Volk zu beweisen, dass es nur eine Lösung gibt: die Atomenergie».

Das Magazin Greenpeace hat den EnBAG-Direktor Paul Fux mit der Kritik der Solarstromproduzenten konfrontiert. Er war zu keiner Stellungnahme bereit und hängte den Hörer kurzerhand auf. Die Nerven bei der EnBAG liegen offenbar blank. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem regionalen Stromverteiler wächst.

Urs Wolfer: «Will die EnBAG überhaupt Solarstrom fördern?»

Laut Urs Wolfer vom BFE ist die Absenkung der Rückliefertarife durch die EnBAG «rechtlich in Ordnung». Was die nachträgliche Absenkung der Tarife auf den 1. April 2012 betrifft, hängt dies laut Wolfer «davon ab, was im Tarifblatt der EnBAG steht. In der Regel steht dort, dass die Tarife jederzeit  neuen Marktgegebenheiten angepasst werden können.» Neben der rechtlichen Seite gibt es jedoch auch einen moralischen Aspekt. Dazu hält Wolfer fest: «Die Solarproduzenten haben auf die mündliche Zusicherung von 15 Rp./kWh durch die EnBAG vertraut. Wenn nun die EnBAG diesen Tarif im Nachhinein plötzlich absenkt, ist das nicht die feine Art.» Laut Wolfer stellt sich deshalb die Frage: Will die EnBAG überhaupt Solarstrom fördern?

Produktionspreise von Solarstrom
Die Solaranlagen können bei den Produktionskosten mit neuen Kleinwasserkraftwerken ohne weiteres mithalten. Laut Berechnungen der Firma Solventure AG in Wettingen liegen die Produktionskosten einer Solaranlage im Wallis zwischen 15 und 37 Rp./kWh, je nachdem, wie gross die Anlage und wie hoch der Kapitalzinssatz ist. Bei einem Zinssatz von 2 Prozent und einer Amortisationsdauer von 25 Jahren produziert bereits eine kleinere Anlage (Fläche 40 m2, Leistung 5 kW, Jahresproduktion 6000 kWh, Investition 22 000 Fr.) für 22 Rp./kWh. Für eine grössere Anlage (Fläche 160 m2, Leistung 20 kW, Jahresproduktion 26 400 kWh, Investition 70 000 Fr.) sinkt der Produktionspreis auf 16 Rp./kWh.

Fakt ist: Der Kanton Wallis und die EnBAG legen ihre Priorität auf den Ausbau der Wasserkraft. Das neuste Projekt, das die EnBAG verfolgt, ist ein Wasserkraftwerk mitten im Unesco-Welterbe Jungfrau-Aletsch. Der Verwaltungsrat der EnBAG ist – neben fünf Vertretern der Privataktionäre – ein Biotop der CVP und der Präsidenten der beteiligten Gemeinden. Im letzten Sommer gab der ehemalige CVP-Ständerat Rolf Escher das Präsidium nach 15-jähriger Amtszeit an Renato Kronig weiter, einen Anwalt aus den Reihen der CVP, der auch im Verwaltungsrat der WEG Einsitz genommen hat. Im EnBAG-Verwaltungsrat sitzt auch die CVP-Nationalrätin und Briger Stadtpräsidentin Viola Amherd, der CVP-Gemeindepräsident Manfred Holzer aus Naters, der CVP-Gemeindepräsident Anton Karlen aus Bitsch und der CSP-Gemeindepräsident Herbert Schmidhalter aus Ried-Brig. Sie alle haben am 16. März 2012 unter dem VR-Präsidium von Rolf Escher die massive Absenkung der EnBAG-Rückliefertarife abgesegnet.

So sieht also der von CVP-Bundesrätin Doris Leuthard und CVP-Präsident Christophe Darbellay gross ausgerufene Atomausstieg in den Stammlanden der CVP aus: CVP-Staatsrat Jean-Michel Cina setzt auf Kleinwasser- und Pumpspeicherkraftwerke. Gleichzeitig schiebt er die Solarstromförderung an die Gemeinden und die Stromverteiler ab, zum Beispiel an die EnBAG. Dort sitzen CVP-Nationalrätin Viola Amherd und die CVP-Gemeindepräsidenten der Region und schrecken initiative Solarstromproduzenten wie Christian Fux und Paul Weber mit Niedrigtarifen ab. Auf der Sonnenterrasse von Oberried ist die Energiewende noch nicht angekommen.