Beim Gedanken an einen neuen offiziellen internationalen Rat regt sich bei den meisten Menschen gleich Abneigung: Solche Gremien bedeuten hochrangige politische Workshops, multilaterale Arbeitsgruppen, viel Gerede, wenig Resultate usw. — Leider macht auch der Arktischen Rat da keine Ausnahme. Dabei wäre er gerade jetzt so wichtig.

von Ben Ayliffe

Lobenswerte Ziele


Schmelzendes Packeis

© Bernd Roemmelt / Greenpeace

Der Arktische Rat wurde 1996 durch die Erklärung von Ottawa gegründet und ist «ein hochrangiges zwischenstaatliches Forum, um die Kooperation, Koordination und Interaktion zwischen den arktischen Staaten zu fördern». Besonders wichtig sind dem Rat «Fragen der nachhaltigen Entwicklung und des Umweltschutzes in der Arktis».

Das sind edle Worte und lobenswerte Ziele. Aber, wie meine gute alte Grossmutter zu sagen pflegte, von Worten kommen keine Fettaugen auf die Suppe.

 

Nicht viel vorzuweisen

Das gilt auch für den Arktischen Rat. Er wurde zwar geschaffen, um das einzigartige, empfindliche Ökosystem des eisigen Nordens zu schützen und weist oft auf die Anfälligkeit der Region für Umweltzerstörung und die Gefahren des Klimawandels hin. Trotzdem ist der Rat nicht besonders aktiv, wenn es darum geht, diese Ziele in verbindliche Gesetzesform zu bringen. Seit seiner Gründung, damals, Mitte der 90er Jahre, hat der Rat genau eine rechtlich bindende Vereinbarung zustande gebracht, nämlich ein Abkommen über Such- und Rettungseinsätze mit dem schönen Namen Aeronautical and Maritime Search and Rescue (SAR) agreement, das 2011 in Nuuk in Grönland unterzeichnet wurde.

Alles in allem ist es dem Arktischen Rat nicht gelungen, die Art von Gesetzgebung und Führung zu ermöglichen, wie sie angesichts komplexer Gefahren wie schnelle Umweltveränderungen und das Vordringen einer gierigen Öl- und Gasindustrie erfordern. Nach fast zwei Jahrzehnten mit Runden Tischen, Expertentagungen und Ministerkonferenzen zu Umweltfragen hat der Rat kaum etwas vorzuweisen.

 

Ölpest-Reaktionsabkommen

Deshalb setzten Gruppen wie Greenpeace so grosse Hoffnungen auf den Plan des Rates, ein  internationales Abkommen zu schaffen, um auf eine immer wichtiger werdende Gefahr für die Umwelt zu reagieren: eine Ölpest in der Arktis. Der Rat gründete eine Arbeitsgruppe, um einen Entwurf für das potenzielle « Agreement on Cooperation on Marine Oil Pollution Preparedness and Response in the Arctic»aufzusetzen, mit dem Ziel, «eine rechtlich bindende zwischenstaatliche Vereinbarung» zu verabschieden, die für eine effektive Reaktion auf einen Bohrunfall in arktischen Gewässern sorgen sollte.

Leider, aber keineswegs unerwartet, hat der Arktische Rat den Mund zu voll genommen.

 

Der bekannt gewordene Entwurf

 


Aktion vor dem Treffpunkt des Arktischen Rates in Stockholm

© Greenpeace / Christian Åslund

Greenpeace ist vor Kurzem ein Entwurfdes Ölpest-Reaktionsabkommens bekannt geworden, und wir waren entsetzt über den Inhalt – den nicht vorhandenen Inhalt, um genau zu sein.

In Anbetracht der offensichtlichen Gefahren von Ölbohrungen in der Polregion und der riesigen Herausforderungen, die jede Reaktion auf einen Unfall in den in Dunkelheit gehüllten, mit Eis bedeckten Gewässern darstellt, kann man sich nur wundern, dass der Entwurf keinerlei Pläne für die nötige Ausrüstung, Methoden zum Verschliessen der Quelle oder für die Reinigung verölter Lebensräume oder Tiere vorsieht.

Wenn die Vereinbarung ebenso viele Hinweise auf Massnahmen enthielte, mit denen die einzelnen Länder eine sprudelndes Leck abdichten könnten, wie leere Worte, könnte der Polarfuchs, der dem  Rat als Logo dient, ruhiger schlafen. Aber beim tatsächlichen Stand der Dinge hat er allen Grund zur Sorge. Da das Risiko eines Ölunfalls im Eis in der Grössenordnung der Deepwater Horizon besteht, helfen vage Aussagen, die arktischen Staaten sollten «dafür sorgen», dass sie versuchen, mit «angemessenen Massnahmen im Rahmen der verfügbaren Ressourcen» auf einen Ölunfall zu reagieren, schlicht nicht weiter.

Sie schaffen kein Vertrauen in die Fähigkeit des Arktischen Rates, diese empfindliche Region zu schützen, wenn der schlimmste Fall eintritt.

 

Einfluss der Ölindustrie


Shells Kulluk Assessment in der Kiliuda-Bucht

© Greenpeace / Tim Aubry

Aber das ist noch nicht alles. Es erheben sich ernsthafte Fragen über die Rolle der Ölindustrie beim Erstellen des Entwurfs. Fotos in der Flickr-Galerie des Arktischen Rates zeigen Vertreter dieser Unternehmen als Teilnehmer der Arbeitsgruppe, auch bei der abschliessenden Sitzung, in der das Papier fertiggestellt wurde. Warum Unternehmen wie Shell, die in diesem Sommer eins der leichtsinnigsten und unsinnigsten Bohrprogramme vor Alaska in Angriff nahmen, dabei mitreden sollten, wie die Aufräumungsarbeiten zu organisieren sind, bleibt die grosse Frage.

Bisher hat noch kein Ölunternehmen bewiesen, dass es eine Ölpest in Eis beseitigen kann, und dieses Abkommen macht wenig Hoffnung auf Veränderung in dieser Hinsicht. Das Dokument ähnelt dem Kernwaffenteststopp-Vertrag der UN, der ungefähr besagt: «Bitte entwickelt einen nationalen Plan, keine Atombomben explodieren zu lassen.»

 

Die Arktis im Blick

Diese Woche treffen sich die Umweltminister des Arktischen Rates in Jukkasjärvi in Schweden. Das Abkommen steht zur Zeit nicht auf der Tagesordnung, aber wir hoffen, dass wir das ändern können. Mit etwas Glück trägt das Bekanntwerden des Entwurfs dazu bei, dass sich der gesunde Menschenverstand durchsetzt und die Arbeitsgruppe Gelegenheit erhält, das Dokument zu überarbeiten, bevor es im Mai von den Aussenministern verabschiedet wird.

Wir hoffen, dass den Beamten klar wird, wie nutzlos dieses Papier in seinem jetzigen Zustand ist. Es beweist bisher nur eins: Es gibt weder ein Land noch ein Unternehmen, das angemessen vorbereitet ist, um eine Ölpest im hohen Norden zu bewältigen.

Daher bleibt die Frage: Erfüllt der Arktische Rat seine Aufgabe, diese einzigartige Region vor Shell, Gazprom und Konsorten zu schützen? Wir werden das sehr genau beobachten.

Hilf uns die Arktis vor Ölkonzernen und industrieller Fischerei zu schützen. Werde jetzt ArktisschützerIn!