Niemand will ihn bekommen. Trotzdem hat es der Public Eye Award ins zehnte Jahr geschafft und sich zum unbeliebtesten Schmähpreis der Geschäftswelt gemausert. Wo steht das «Public Eye»? Und was kann der Preis bewirken?

Von Thomas Niederberger

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Public Eye Awards 2012, Davos: Den Jurypreis erhielt der britische Bankkonzern Barclays für seine Spekulationen mit Nahrungsmitteln auf Kosten der Ärmsten. Der Publikumspreis ging via Internet-Voting an Vale. An der Abstimmung beteiligten sich 88’766 Menschen. US-Ökonom und Nobelpreisträger Professor Joseph E. Sitiglitz hielt ein flammendes Plädoyer für mehr Verantwortung gegenüber den Menschen und der Umwelt.

© Greenpeace / Heike Grasser

 

Seit dem Jahr 2000 setzt das «Public Eye» einen kritischen Gegenpunkt zum Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF) in Davos. Seit 2005 werden die Public Eye Awards vergeben, Schmähpreise für das «übelste Unternehmen des Jahres». Der Anlass hat sich im Kontext ständig weiterentwickelt. Geboren wurde er auf dem Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegung, als die Proteste in Davos in einem Zug mit Seattle, Prag und Genua genannt wurden. Das «Public Eye» war in den ersten Jahren eine Gegenkonferenz, wo Aktivisten aus der ganzen Welt zusammenkamen, um von ihren Kämpfen gegen die globalisierte Herrschaft der am WEF versammelten Konzerne zu berichten. Die Ansicht, dass es «so nicht weitergehen kann», war omnipräsent. Der Film «The Corporation» brachte es auf den Punkt. Betrachtet man die Konzerne als Personen, erfüllen sie alle Kriterien eines Psychopathen. Unverantwortlich, manipulativ, grössenwahnsinnig und ohne schlechtes Gewissen gehen sie über Leichen für ihren einzigen Zweck: den maximalen Profit für die Aktionäre.

Seit dem ersten «Public Eye» hat sich viel verändert. Die Konzerne haben dazugelernt. Um ein Bekenntnis zu Umweltschutz und sozialem Engagement kommt niemand mehr herum. Das WEF selbst zeigte sich reuig und bemüht um den Dialog mit den KritikerInnen. «Das WEF war für uns ein Symbol für die Hinterzimmerpolitik der Konzerne», meint Andreas Cassee, der bei den Protesten dabei war und jetzt in der Jury des Public Eye Award sitzt. «Die reale Bedeutung der Veranstaltung wurde aber überschätzt. Die wichtigen Entscheide werden anderswo gefällt – es ist ein eher langweiliger Anlass, um Visitenkarten auszutauschen.»

Die Proteste sind abgeklungen, geblieben sind gelangweilte Journalisten aus der ganzen Welt, die nach kontroversen Inhalten suchen und gerne über die Public-Eye-Preisverleihung berichten. Der Preis ist damit zu einem international beachteten Instrument geworden, das es Organisationen ermöglicht, üble Machenschaften von Konzernen anzuprangern. «Wir setzen auf fundierte Nominierungen und eine solide und unabhängige Jury», erklärt der Greenpeace-Verantwortliche Michael Baumgartner. Neben VertreterInnen der beiden Trägerorganisationen Greenpeace und Erklärung von Bern sitzen deshalb seit diesem Jahr auch vier renommierte Ethiker verschiedener Universitäten in der Jury. Zu jeder Nominierung erstellt das Institut für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen ein Gutachten. Geplant ist, die Jury mit VertreterInnen des «globalen Südens» weiter zu stärken.

Mit moralischem Druck gegen Psychopathen

«Naming and Shaming» heisst das Prinzip hinter dem Public Eye Award. Die Probleme zu benennen und bekannt zu machen, sei ein erster Schritt, um moralischen Druck auf die Konzerne zu erzeugen, erklärt Wirtschaftsethiker und Jurymitglied Ulrich Thielemann. Dabei richte man sich vor allem an die kritische Öffentlichkeit: an KonsumentInnen, Medienschaffende und nicht zuletzt an die Mitarbeitenden: «Das ist nicht zu unterschätzen: Die allermeisten Leute wollen zu ihrem Arbeitgeber stehen können und das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu tun.» Letztlich müsse die «Moralisierung der Märkte» aber regulatorisch durchgesetzt werden. «Das ist eine Aufgabe der Politik. In diesem Sinn spricht der Preis die StaatsbürgerInnen an – sie müssen Druck machen, damit die Wirtschaft eine gute Rahmenordnung bekommt. Verantwortungsvoll geführte Unternehmen sollen im Wettbewerb nicht das Nachsehen haben.»

Die Nichtregierungsorganisationen funktionieren dabei als Wachhunde der Zivilgesellschaft. Sie filtern aus der Fülle der Probleme besonders gravierende Fälle heraus und klagen exemplarisch an. Besteht so nicht die Gefahr, dass man das Gesamtbild aus den Augen verliert? Thielemann verneint: «Alles andere wäre eine Überforderung. Klar ist das nur die Spitze des Eisbergs, aber es ist ja auch erkennbar, dass es noch viel mehr Kandidaten gäbe.» Andreas Missbach, der für die EvB in der Jury sitzt, unterstreicht: «Unser grösstes Problem ist, dass es immer zu viele gibt, die den Preis verdient hätten.»

Die tägliche Flut von Meldungen über Umweltsünden, Menschenrechtsverletzungen und katastrophale Arbeitsbedingungen lässt nicht nach. Trotz aller Imagepflege: Wenn es ums Geschäft geht, sind die Konzerne so rücksichtslos wie eh und je. Mit den neuen Kommunikationstechnologien wird es einfacher, ihre dunklen Ecken auszuleuchten. Das heisst: noch mehr Meldungen, noch mehr Kandidaten. Ein Kampf gegen Windmühlen?

Was bringts? Eine kleine Bilanz

Ignorieren, abstreiten, beschönigen. Die Reaktionen der nominierten und ausgezeichneten Konzerne gleichen sich auf den ersten Blick. Doch die Dynamik, die sich darum herum entwickelt, ist jedesmal wieder anders. Seit 2005 wurden rund 300 Eingaben gemacht, von denen es mehrere Dutzend zu einer offiziellen Nominierung gebracht haben, aus denen wiederum 20 Preisträger erkoren wurden. Ein Auswahlkriterium ist, dass die Eingabe in eine Kampagne eingebunden werden kann, die weiterläuft. Der Public Eye Award ist also immer nur ein Mosaikstein in einem grösseren Bild, «ein winziges Preislein, eine Stimme, die das Bewusstsein wach hält», wie Thielemann sagt. Kann er auch als Anstoss für reale Verbes-serungen dienen? Kaum eine Firma würde das öffentlich eingestehen und es gibt keine systematische Auswertung, wie sich die «verantwortungslosesten Unternehmen» der letzten Jahre entwickelt haben. Immerhin: Eine kleine Umfrage bei den Organisationen, die mit ihren Eingaben «gewonnen» hatten, ergab, dass sich der Aufwand für sie gelohnt hat. Hier der Versuch einer kleinen Bilanz über den Nutzen des Schmähpreises.

  • Bekannt machen: Die Nominationen werden mit kurzen Videos, Social-Media- und klassischer Medienarbeit breit gestreut. Möglichst viele Leute sollen beim Publikumspreis für ihren «Favoriten» stimmen. So werden auch Firmen sichtbar, die kaum jemand kennt, weil sie keine Konsumgüter herstellen. Das wird auffallend oft genutzt. Als Glencore 2008 ausgezeichnet wurde, war es noch «die grösste Firma, von der du noch nie etwas gehört hast». Der Schweizer Rapper Greis schaffte es nach mehreren Versuchen, den Preis zu übergeben, und CEO Ivan Glasenberg liess sich Versprechungen zur Besserung entlocken. Andere Unbekannte, die dank Nominationen eine gewisse Öffentlichkeit erhielten, sind zum Beispiel die Sicherheitsfirma G4S oder der finnische Agrotreibstoffproduzent Neste Oil. Mit Coal India wurde auch ein besonders bedenklicher indischer Staatsbetrieb nominiert, über den international sonst kaum berichtet wird.
  • Tabus brechen: Der Elektronikkonzern Samsung galt in Südkorea als unantastbar – öffentliche Kritik war kaum möglich. Die internationale Aufmerksamkeit rund um die Nominierung im Jahr 2012 half der lokalen Nichtregierungsorganisation Sharp jedoch, das Schweigen zu brechen und die gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen in den Samsung-Fabriken auch in Südkorea aufs Tapet zu bringen.
  • An den Tisch zwingen: In Ghana schaffte es die Organisation Wacam, die abgebrochenen Verhandlungen über ein neues Minenprojekt wieder in Gang zu bringen, nachdem AngloGold Ashanti 2011 den Jurypreis erhalten hatte. Die Firma versuchte zwar, Wacam in Ghana schlechtzumachen, doch der Druck der lokalen und der internationalen Medien war stärker. Das Renommee des Preises half, Wacam als nicht zu ignorierende Vertreterin der lokalen Gemeinschaften zu stärken.
  • Projekte beerdigen und Spekulanten ausbremsen: Der Berner Stromproduzent BKW zog sich 2010, ein Jahr nach der Auszeichnung, von der Beteiligung am Kohlekraftwerkprojekt im niedersächsischen Dörpen zurück. Nominiert hatte ihn die lokale Bürgerinitiative. Von der Bündner Repower, dieses Jahr nominiert für ein ähnliches Projekt in Süditalien, wird der gleiche Schritt erwartet. Die britische Barclays Bank, Preisträgerin 2012, gab diesen Februar bekannt, sie werde aus der Spekulation mit Nahrungsmitteln aussteigen – nachdem ihr das World Development Forum immer wieder mit dem Preis auf die Pelle gerückt war.
  • Widerstand stärken: Der brasilianische Rohstoffkonzern Vale gewann 2012 den Publikumspreis für seine Beteiligung am Megastaudamm Belo Monte im Amazonas-Regenwald. Dagegen wehren sich unter anderem die indigenen Xingu, die ihr Land verlieren würden. Gegen das Megaprojekt laufen diverse Gerichtsverfahren, die Xingu blockieren die Baustellen. Immer wieder entscheiden Richter in ihrem Sinn und verzögern die Arbeiten. Vale erhielt viele Stimmen dank einer starken Social-Media-Kampagne in Brasilien, wodurch auch der Widerstand der Xingu Gewicht erhielt.

 

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Unwürdige Kopfarbeit: Der indische Arbeiter rackert sich ab für die Jharia-Mine von Coal India. Wo sie Kohle abbaut, standen früher dichte Wälder. Heute ist die Gegend besiedelt von meist mausarmen Migranten.

© Greenpeace / Peter Caton

 

Wirklich harte Fakten kann man mit «Schimpf und Schande» nicht schaffen. Dafür bräuchte es starke Gesetze, mutige RichterInnen und Strafen, die richtig schmerzen, nämlich finanziell. Das «Public Eye» zielt in diese Richtung – und hat auch schon getroffen: Shell, erster Preisträger 2005 für die Ölverschmutzungen im Nigerdelta, wurde diesen Januar von einem holländischen Gericht erstmals verurteilt, einem Bauern eine Entschädigung zu zahlen – einem von Tausenden, die nun dasselbe versuchen können. Was ebenfalls ins Geld gehen kann, sind abspringende Grossinvestoren. Pensionskassen beispielsweise führen immer öfter Ausschlusslisten, die sie aufgrund der Bewertung von Monitoringfirmen erstellen. Diese durchsuchen weltweit kritische Meldungen und errechnen daraus einen Index für Reputationsrisiken. Karen Reiner von der Firma RepRisk kann zwar nicht beurteilen, welche direkten Auswirkungen eine Public-Eye-Nomination hat, «aber eine Nennung wirft sicher ein Licht auf die kontroversen Aktivitäten einer Firma und trägt damit zur Bewusstseinsbildung unserer Klienten bei.» Mit Klienten sind hier nicht Biolädeli gemeint, sondern einige der weltweit grössten Investoren, wie zum Beispiel Goldman Sachs, der diesjährige Jurypreisträger.

Der Preis für Goldman Sachs habe eine besondere Qualität, findet Andreas Cassee, «weil damit klar gezeigt wird, dass die Skandale nicht weit weg von uns in ‹armen Ländern› passieren.» Die Grossbank wurde nominiert, weil sie massiv Einfluss nimmt auf die Regierungen westlicher Nationen. Damit hat sie etwa die Schuldenkrise in Griechenland mitverursacht und Hunderte Millionen an öffentlichen Geldern eingesackt. Während der Preis verliehen wurde, war eine ganze Equipe der Bank am WEF und soll, wie es heisst, gleich eine Krisensitzung durchgeführt haben. Besonders ist auch, dass die Nominierung von einer Filmcrew kam, die damit für die Finanzierung eines Dokumentarfilms über die Hintergründe der Schuldenkrise und ihre Profiteure.

Die Moral von der Geschichte? In Hollywood wird der Psychopath am Ende gestellt und für immer eingelocht. In Davos reichte es immerhin zu einer starken Laudatio der griechischen Journalistin Eurydice Bersi, die beschrieb, wie ihr Land mit dem Salamimesser Scheibe für Scheibe dem Schuldendienst geopfert wird. Ihr Aufruf zum Schluss: «Findet heraus, was wirklich passiert! Schaut, wer von der Krise profitiert! Nicht nur, weil Solidarität ein wunderbares Gefühl ist, sondern auch, weil ihr die nächsten sein könntet.»