Geld aus Europa tut nicht nur Gutes. Zum Beispiel sogenannte grüne Investitionen in Marokko und Ägypten, in Öl, Gas, erneuerbare Energien, grünen Wasserstoff und in die Landwirtschaft nützen vor allem dem Globalen Norden. Für die Ökonomien des Globalen Südens schaffen sie keinen Mehrwert. Das steht in einem neuen Bericht von Greenpeace Middle East and North Africa (MENA) und der MENA Fem Bewegung für wirtschaftliche, entwicklungspolitische und ökologische Gerechtigkeit.

Der Bericht «Jenseits des Extraktivismus: Der Weg zu einem feministischen und gerechten Wirtschaftswandel in Marokko und Ägypten» weist nach: Europäische Investitionen schaffen keinen gegenseitigen Nutzen. Stattdessen zementieren sie das bestehende Unrecht, verursacht durch die Ausbeutung von Ressourcen. Reichtum und Erträge fliessen in den globalen Norden, ohne dass sie zum lokalen Wohlstand beitragen. Vielmehr verhindern sie in den Standortländern eine nachhaltige Entwicklung, erschöpfen die natürlichen Ressourcen und verschärfen die Umweltzerstörung.

Der Bericht zeigt, dass die Regionen des Nahen Ostens und Nordafrikas weiterhin von einem Wirtschaftssystem beherrscht sind, das Ressourcen ausbeutet, die Verschuldung erhöht und die Umweltkrise verschlimmert. Gleichzeitig steigen die Temperaturen doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt, was zu extremen Klimaereignissen und Wasserknappheit führt. Länder, die Energie importieren, wie Ägypten und Marokko, stehen vor einer zusätzlichen Herausforderung: Sie müssen ihre Energieversorgung sichern, während sie von importierten fossilen Brennstoffen abhängig sind und gleichzeitig mit einem wachsenden Energiebedarf zu kämpfen haben.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Bericht:

  • Öl- und Gasprojekte zerstören Ökosysteme und erschöpfen wichtige Ressourcen wie Wasser und Ackerland. Das beeinträchtigt die biologische Vielfalt und die langfristige Stabilität der Ressourcen.
  • Greenpeace und Mena Fem haben grossen Bedenken gegenüber Europas Bestreben zur Förderung grüner Energieprojekte in Nordafrika – wie beispielsweise zur Förderung von grünem Wasserstoff. Bei solchen Projekten geht es vielmehr um die Sicherung des europäischen Energiebedarfs als um eine wirksame Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung und eines gerechten Wandels im globalen Süden. 
  • Die Bevorzugung von Exporten gegenüber dem lokalen Nutzen fördert Abhängigkeiten und verfestigt sozioökonomische Ungleichheiten.
  • Extraktivistische Praktiken verschärfen die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, indem sie Frauen und genderqueere Menschen in schlecht bezahlte, unsichere Arbeitsverhältnisse drängen und die Last der unbezahlten Sorgearbeit erhöhen. 
  • Die Investitionen der europäischen Agrarindustrie in Marokko und Ägypten konzentrieren sich auf export- und profitorientierte «Cash-Crops». Das sind hauptsächlich für den Export bestimmte Produkte, wie Tomaten und Zitrusfrüchte. Diese benötigen sehr viel Wasser, was die Wasserknappheit in einer ohnehin schon trockenen Region verstärkt.
  • Es gibt Alternativen. Der Bericht unterstreicht die Notwendigkeit, sich von einem Wirtschaftsmodell des endlosen Wachstums abzuwenden und ein feministisches, auf Suffizienz basiertes Wirtschaftsmodell einzuführen. Ein Modell, das das Wohlbefinden und die Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt. (Siehe Infobox zur Feministischen Ökonomie weiter unten.)
  • Der Bericht hebt Wirtschaftsphilosophien, Basisinitiativen und gemeinschaftsorientierte Projekte für erneuerbare Energien im globalen Süden hervor. Diese verkörpern die Grundsätze einer Wirtschaft des Wohlbefindens, welche die Menschen und den Planeten ernähren und schützen.

Weitere Empfehlungen des Berichts sind: mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht bei Investitionen, die Anpassung von Wirtschaftsmodellen an lokale Werte, Geschichte und Traditionen, sowie die Unterstützung lokaler Gemeinschaften beim Aufbau ihrer Widerstandsfähigkeit und Handlungsmöglichkeiten.

Die 2023 gegründete MENA Fem Bewegung besteht aus lokalen und regionalen Organisationen. Sie setzt sich für eine gerechte Entwicklung und die Förderung einer ökologisch nachhaltigen feministischen Wirtschaft ein.


Feministische Ökonomie

Die Feministische Ökonomie ist eine kritische Antwort auf die traditionellen Wirtschaftstheorien. Sie stellt die vorherrschenden Ansätze in Frage, die sich auf unbegrenztes Wachstum und eine Denkweise konzentrieren, die die Welt ausschliesslich oder grösstenteils aus der Perspektive männlicher Menschen betrachtet (Androzentrismus). Sie bietet einen Rahmen für eine sozioökonomische Transformation und den Aufbau von Volkswirtschaften, die auf Gerechtigkeit und Fairness basieren.

Die Feministische Ökonomie konzentriert sich auf die gerechte Verteilung von Ressourcen. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf Nachhaltigkeit, Gesundheit, Solidarität und Kooperation, indem sie ökologische und ökonomische Überlegungen einbezieht. Sie versucht, die Ungleichheiten zu beheben, die profit- und wachstumsgetriebenen Wirtschaftssystemen innewohnen, und stellt den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in den Vordergrund. Zu den Schlüsselprinzipien gehören die Anerkennung und der Ausgleich unsichtbarer und unbezahlter Arbeit wie Haus- und Pflegearbeit. Sie stärkt die reproduktive Arbeit gegenüber der produktiven Arbeit. Dies im Einklang mit der Erkenntnis, dass «Lebensfähigkeit» etwas Zyklisches ist. Regeneration und Reproduktion werden als das Kernstück von Leben und Wirtschaften betrachtet und sollen entsprechend gestärkt werden.

Der Schutz vor Gewalt in der Rohstoffindustrie und die Stärkung des Arbeitsrechts sind ein weiterer Grundpfeiler dieses Ansatzes. Die Feministische Ökonomie legt zudem grossen Wert auf Investitionen in die Care Ökonomie sowie in die Verpflichtung zur Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung.