Das Rongelap-Atoll gehört zu den Marshallinseln. 40 Jahre nach der Evakuierung  der Bewohner:innen kehren wir mit der Rainbow Warrior zu der Inselgruppe im Pazifik zurück und fordern Gerechtigkeit für die Überlebenden der Atomtests von 1946 bis 1958.

Mitten im vermeintlichen Inselparadies Ozeaniens hallen die Nachwehen eines grossen Menschheitsverbrechens des 20. Jahrhunderts bis heute nach: Zwischen 1946 und 1958 führten die USA auf den Marshallinseln, auf dem Enewetak- und dem Bikini-Atoll, insgesamt 67 Atombombentests durch – mit verheerenden Folgen. Die Marshallinseln gehören zur Inselwelt des Pazifiks  nördlich und östlich von Australien. 

Menschliche Versuchskaninchen

Eines der schockierendsten Kapitel der Atomtests auf den Marshallinseln war das geheime, amerikanische Forschungsprojekt «Project 4.1». Ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung  missbrauchten amerikanische Wissenschaftler:innen die Bewohner:innen von Rongelap und Utirik als menschliche Versuchskaninchen. Sie wollten nach der Castle-Bravo-Detonation wissen, welche Auswirkungen radioaktive Strahlen haben (siehe Kasten).

Statt die betroffenen Menschen sofort zu evakuieren und medizinisch zu versorgen, beobachteten sie stattdessen die langfristigen gesundheitlichen Folgen der Atomtests:

  • Krebs, vor allem Schilddrüsenkrebs und Leukämie
  • Genetische Schäden, die noch heute – Generationen später – auftreten
  • Fehlgeburten und schwerwiegende Fehlbildungen bei Neugeborenen

Die Betroffenen wussten jahrelang nicht, dass sie Teil eines menschenverachtenden Experiments waren. Erst Jahrzehnte später enthüllten geheime Dokumente das wahre Ausmass dieser unethischen Forschung. Die USA haben sich bis heute nicht offiziell entschuldigt.

Eine Lüge mit fatalen Folgen

Die Marshalles:innen haben sich nie ihrem Schicksal ergeben. Im Jahr 1985 baten die Bewohner:innen von Rongelap Greenpeace um Hilfe: Sie waren zurückgekehrt, weil ihnen die amerikanischen Behörden versprochen hatten, dass es dort sicher sei – eine Lüge mit fatalen Folgen. Denn ihre Insel war nach Jahrzehnten radioaktiver Verseuchung noch immer unbewohnbar. 

Greenpeace-Aktive unterstützten die Bewohner:innen, segelten mit der «Rainbow Warrior» in einer humanitären Mission nach Rongelap, evakuierten über 300 Menschen und brachten sie mitsamt Besitztümern – sogar mit ihren Häusern – auf sicherere Inseln.

Der Widerstand gegen Atomtests im Pazifik hatte einen hohen Preis. Nur wenig später, am 10. Juli 1985, versenkten französische Geheimagenten mit Sprengsätzen die «Rainbow Warrior» im Hafen von Auckland, Neuseeland – ein brutaler Versuch, Greenpeace zum Schweigen zu bringen. 

Frankreich wollte um jeden Preis verhindern, dass Greenpeace weiter gegen seine Atomtests im Pazifik protestierte, insbesondere gegen die geplanten Tests auf Moruroa. Beim Anschlag starb der Greenpeace-Fotograf Fernando Pereira. Doch Frankreichs Plan, den Widerstand zu brechen, scheiterte. Die Marshalles:innen und Greenpeace blieben vereint – für Gerechtigkeit, Umweltschutz und eine Zukunft ohne nukleare Verwüstung.

Unzureichende Entschädigungen

Die USA haben ihre Verantwortung für die 67 Atomtests auf den Marshallinseln zwar offiziell anerkannt, doch die bisherigen Entschädigungen sind völlig unzureichend.

1986 wurde das Compact of Free Association (COFA) unterzeichnet, in dem die USA eine Entschädigung von 150 Millionen Dollar zusagten. Zum Vergleich: 2023 beliefen sich die Militärausgaben der USA auf über 916 Milliarden Dollar (=916 000 Millionen Dollar). 

Später wurde ein Treuhandfonds von 244 Millionen Dollar für die Betroffenen eingerichtet – doch das Geld reichte bei weitem nicht aus:

  • Viele Betroffene erhielten nur Bruchteile der versprochenen Zahlungen.
  • Viele Krebsopfer und ihre Familien warten bis heute auf ausreichende Kompensationen für ihre Behandlungskosten und eine offizielle Entschuldigung der USA.
  • Die Kosten für medizinische Versorgung, Umsiedlung und der Verlust an bewohnbarem Land übersteigen die gezahlten Beträge um ein Vielfaches.

Die Marshallinseln fordern bis heute eine vollständige Entschädigung und eine offizielle Anerkennung der an ihnen begangenen Verbrechen.

Neue Gefahren: Klimakrise und Tiefseebergbau

Auch 40 Jahre nach der Umsiedlung von Rongelap ist der Kampf der Marshalles:innen für Gerechtigkeit nicht vorbei. Ihre Inseln stehen heute vor einer neuen existenziellen Bedrohung: der Klimakrise. Steigende Meeresspiegel könnten ganze Atolle verschlucken. Zudem bedroht der Tiefseebergbau die empfindlichen Ökosysteme des Pazifiks.

Doch die Marshalles:innen wehren sich weiter – sie sind globale Vorreiter:innen für Klimagerechtigkeit. Sie kämpfen auf internationalen Klimakonferenzen für ambitionierte Klimaziele, setzen sich gegen die industrielle Ausbeutung der Meere ein und lassen nicht zu, dass die Weltöffentlichkeit ihre Geschichte vergisst.

Greenpeace steht mit unabhängigen Strahlenmessungen und einer Aufklärungskampagne an ihrer Seite – damals wie heute. 

März 1954: Die Explosion von Castle Bravo auf dem Bikini-Atoll war besonders zerstörerisch

Die stärkste jemals gezündete Wasserstoffbombe der USA hatte eine Sprengkraft von 15 Megatonnen TNT – das entspricht etwa 1000 Hiroshima-Bomben.

Der radioaktive Fallout kontaminierte nicht nur das Testgebiet, sondern auch bewohnte Inseln wie Rongelap und Utirik.

Die Marshalles:innen wurden zwangsweise umgesiedelt, viele erkrankten an Krebs. Die Anzahl Fehlgeburten stieg stark an und Babys kamen mit schwersten Fehlbildungen zur Welt – darunter sogenannte «Jellyfish Babies». Das sind Babies mit durchsichtiger Haut, die kurz nach der Geburt starben.

Bis heute sind Teile des Bikini-Atolls unbewohnbar.

Fragen und Antworten zur Geschichte der Marshallinseln

1. Warum wählten die Amerikaner das Enewetak- und das Bikini-Atoll der Marshallinseln für Atomtests aus?

Die USA nutzten ihre Rolle als internationale «Verwalter» der Marshallinslen nach dem Zweiten Weltkrieg brutal aus. Sie missbrauchten Enewetak und das Bikini-Atoll als Atombomben-Testgebiete, weil die Inseln sehr abgelegen und dünn besiedelt waren und die Bevölkerung nicht in der Lage war, sich zur Wehr zu setzen. Die USA ignorierten die indigene Bevölkerung, ihre Kultur, Heimat und Gesundheit.

2. Welche Folgen hatten die Atomtests für die Menschen auf den Marshallinseln?

Die Tests führten zu radioaktiver Verseuchung, Krebs, genetischen Schäden und Zwangsumsiedlungen. Viele Frauen hatten Fehlgeburten oder ihre Babys litten an schweren Fehlbildungen. Die Anbauflächen auf den Atollen wurde im Fallout-Bereich der Atombombentests verseucht. Das Nahrungsmittelangebot auf den Inseln, wohin die Menschen verbracht wurden, war oft unzureichend.

3. Was ist «Project 4.1» und warum ist es so umstritten?

«Project 4.1» war eine geheime Studie. Amerikanische Wissenschaftlerinnen untersuchten die Strahlenbelastung der Bewohner:innen der Marshallinseln, ohne ihr Wissen und ihre Einwilligung. Sie missbrauchten die Betroffenen als menschliche Versuchskaninchen.

4. Warum kehrt Greenpeace 2025 zu den Marshallinseln zurück?

Greenpeace kehrt auf Einladung der Regierung der Marshallinseln zurück. Wir gedenken des 40. Jahrestages der Umsiedlung von Rongelap, führen Strahlenmessungen durch und machen die Forderungen der Marshalles:innen nach Gerechtigkeit global sichtbar.