Der Weltklimarat nimmt zurzeit in Japan eine wissenschaftliche Standortbestimmung über die Auswirkungen der Klimaerwärmung vor. Schon jetzt ist sonnenklar, dass es dringend grössere Anstrengungen braucht, um das Schlimmste zu verhindern. Ein Gespräch mit Nadine Berthel, Klimaexpertin von Greenpeace Schweiz.

Der Weltklimarat nimmt zurzeit in Japan eine wissenschaftliche Standortbestimmung über die Auswirkungen der Klimaerwärmung vor. Schon jetzt ist sonnenklar, dass es dringend grössere Anstrengungen braucht, um das Schlimmste zu verhindern. Ein Gespräch mit Nadine Berthel, Klimaexpertin von Greenpeace Schweiz.


Greenpeace-Aktivistinnen und -Aktivisten haben in Japan eine klare Botschaft: «Die Klimakrise ist im Gang, die Lösung liegt auf der Hand»

Um was geht es beim neuen Bericht, der diese Woche im japanischen Yokohama verabschiedet wird?

Die Arbeitsgruppe II des Weltklimarats befasst sich mit Auswirkungen, Anpassung und Verwundbarkeiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Führende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben den Schaden veranschlagt, den wir unseren Planeten und den menschlichen Systemen bereits zugefügt haben; sie haben versucht abzuschätzen, was uns noch bevorsteht, wenn wir weiterhin fossile Brennstoffe verbrennen und Wälder zerstören; und sie zeigen, wie wir die zu erwartenden Risiken verkleinern und mit ihnen umgehen können. 

Was bringt der Bericht Neues?

Der Klimawandel wird seit Jahrzehnten erforscht. Der Bericht der Arbeitsgruppe II bringt deshalb kaum radikal neue Entdeckungen, sondern bestärkt und belegt vielmehr bereits Bekanntes und vertieft unsere Einsicht in die verschiedensten Aspekte der Klimaveränderung. Die Arbeitsgruppe II konnte diesmal auf doppelt so viel wissenschaftliche Literatur zum Thema zurückgreifen wie bei ihrem letzten Bericht.

Wie schlimm ist der Klimawandel schon heute?

Der im September 2013 erschienene Bericht der Arbeitsgruppe I (Naturwissenschaftliche Basis) und der IPCC-Sonderbericht über Extremwetterereignisse malen bereits ein erschreckendes Bild: Luft- und Meerestemperaturen steigen an, das arktische Meereis ist viel schneller geschmolzen als erwartet, die Eisdeckenschmelze hat sich dramatisch beschleunigt und die Meeresspiegel steigen. Hitzewellen nehmen zu, langjährige Niederschlagsmuster verändern sich, Pflanzen- und Tierarten verlassen ihre bisherigen Lebensräume und ihre Artenzusammensetzung verändert sich.

Laut der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hat die Welt im Jahrzehnt von 2001–2010, dem wärmsten seit Beginn der modernen Messungen, beispiellose Klimaextreme mit grossen Auswirkungen erlebt. Noch ist es zu früh um zu sagen, welcher Anteil dieses «Jahrzehnts der Klimaextreme» der natürlichen Variabilität zuzuschreiben ist und wie viel einer vom Menschen verursachten Erwärmung, doch der Trend ist klar und wirkt sich auch auf Nahrungssicherheit, Wasservorräte, Gesundheit und Lebensgrundlagen aus. 

Wie viel schlimmer wird es noch?

Bis jetzt hat sich die globale Durchschnittstemperatur im Vergleich zu den vorindustriellen Werten um weniger als 1°C erhöht. Noch ein halbes Grad mehr, und einige Schlüsselrisiken werden von moderat auf hoch ansteigen. Es besteht ein internationaler Konsens, wonach die Regierungen versuchen sollen, die Erwärmung auf weniger als 2°C zu beschränken, um die schlimmsten Auswirkungen zu verhindern. Doch beim gegenwärtigen Trend der Emissionen ist ein Temperaturanstieg von gegen 4°C wahrscheinlicher. Was dies bedeuten würde, zeigt ein neuer Bericht der Weltbank, «Turn Down the Heat», verfasst von führenden Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen und ausgestattet mit Infografiken und Animationen. 

 

Inwiefern ist auch die Schweiz von der Klimaerwärmung betroffen? 

Wie ein kürzlich veröffentlichten Bericht von 15 Schweizer Forschungsinstitutionen zur Quantifizierung möglicher Folgen der Klimaveränderung zeigt, wird die Schweiz den Klimawandel deutlich spüren. Die Erwärmung führt dazu, dass sich Ökosysteme wie Seen, Flüsse, Wiesen und Wälder in ihrer Artenzusammensetzung ändern. Laut dem Bericht könnte bei ungebremstem Klimawandel das Schweizer Mittelland als Lebensraum für die heute weit verbreiteten Fichten und Buchen ungeeignet werden. Zudem würden unsere Gletscher gegen Ende dieses Jahrhunderts fast vollständig verschwinden.

Von einem ungebremsten Klimawandel wäre auch der Mensch direkt betroffen. Wetterextreme wie Hochwasser, Dürren oder Hitzeperioden in der Schweiz würden zunehmen, wovon sowohl die menschliche Gesundheit als auch die Wirtschaft betroffen wäre. Der Klimawandel schreitet schnell voran: Deshalb müssen wir jetzt entschieden handeln, um die schlimmsten Folgen noch zu verhindern. 

Weshalb wird uns der AGII-Bericht in Erinnerung bleiben?

Der AGII-Bericht liefert eine aktualisierte Version der berühmten «Reasons for Concern«-Kurve, die zeigt, wie die Risiken insgesamt im Gleichschritt mit der Temperatur ansteigen. In einer Illustration wird der Bericht vermutlich noch überzeugender argumentieren, dass eine Beschränkung des Temperaturanstiegs auf möglichst weit unter 2°C von entscheidender Bedeutung sei. Er wird vermutlich auch darlegen, warum es völlig verständlich ist, dass die am meisten exponierten Länder jetzt eine Senkung des globalen Klimakonsens-Ziels auf maximal 1,5°C verlangen. Dies ist denn auch zweifellos eine der zentralen Botschaften der globalen Forschungsgemeinde an die Regierungen, die gegenwärtig neue Klima-Zielwerte für ein neues UN-Klimaabkommen vorbereiten, das in Paris im Dezember 2015 verabschiedet werden soll. 

Wer bezahlt Anpassungsmassnahmen und entschädigt für Verluste und Schäden?

Geld allein löst zwar das Problem der Anpassung an den Klimawandel nicht, doch spielt es dabei und bei der Entschädigung für Verluste und Schäden durchaus eine zentrale Rolle. Heute besteht vor allem in den Entwicklungsländern eine riesige Finanzierungslücke und ein Anpassungsdefizit. Es ist nicht Aufgabe der AGII, Vorschläge zur Finanzierung der Anpassungskosten auszuarbeiten, doch der Bericht wird zweifellos darauf hinweisen, wer bereits jetzt einen unverhältnismässig hohen Preis für den Klimawandel bezahlt: diejenigen nämlich, die bisher am wenigsten zum Problem beigetragen haben.

Greenpeace ist der Ansicht, dass diejenigen, die am meisten zum Klimawandel beigetragen haben und durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern riesige Gewinne erwirtschaftet haben, jetzt für den entstandenen Schaden aufkommen sollen. Laut einer neueren Studie sind nur gerade 90 Unternehmen und Staaten (private Firmen, staatliche Firmen und Staaten) verantwortlich für 63% aller bisher in der Geschichte generierten Treibhausgasemissionen.

Klar ist hingegen, dass der Klimawandel unermessliche und nicht rückgängig zu machende Verluste an Leben – von Individuen, Arten und Kulturen – zu verursachen droht, die mit Geld nicht aufzuwiegen sind. Heute profitables und CO2-reiches Wachstum verfolgen, um später mit Geld alles zu richten, ist deshalb keine Option.

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