Der neueste Bericht des UNO-Weltklimarats IPCC von letztem Sonntag zeigt, dass der Klimawandel längst Realität ist. Dabei gehört der spektakuläre, weltweite Rückzug der Gebirgsgletscher zu den sichtbarsten Zeichen, dass sich das Klima der Erde seit Mitte des 19. Jahrhunderts bereits markant verändert hat. Auch in der Schweiz.
Gebirgsgletscher gelten als Schlüsselindikatoren für Klimaänderungen, sozusagen als eine Art globales Fieberthermometer. Vor allem der Alpenraum gilt als besonders gut untersuchtes Gebiet. Die Gletscherschmelze ist inzwischen schon innerhalb weniger Jahre deutlich erkennbar.
Die neuen Untersuchungen der Klimawissenschaftler belegen, dass die weltweite Gletscherschmelze weiter anhält. Und die Folgen sind dramatisch: Mit den Gletschern schmelzen auch die weltweiten Trinkwasserreservoire. In den nächsten Jahrzehnten wird sich zunächst einmal der Abfluss des Schmelzwassers erhöhen. Dabei spielen Wasserabflüsse während des Hochsommers eine grosse Rolle. So ist mehr als ein Viertel des Rhone-Wassers, das im August ins Mittelmeer fliesst, Schmelzwasser der Gletscher. Selbst in den fernen Niederlanden stammen rund sieben Prozent des Rhein-Wassers von den Alpengletschern. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt bei Hitzewellen, wie zum Beispiel im Sommer 2003.
Drei aktuelle Bildvergleiche der Gesellschaft für ökologische Forschungen zeigen den sichtbaren Gletscherschwund wie im Zeitraffer.
Rhonegletscher (Schweiz)
Der Rhonegletscher ist ein Talgletscher in den Zentralalpen der Schweiz (im äussersten Nordosten des Kantons Wallis). Er ist knapp 8 km lang, weist eine durchschnittliche Breite von ungefähr zwei Kilometern auf und bedeckt eine Fläche von ungefähr 16 Quadratkilometern. Er schmilzt seit der Mitte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich. In den Jahren 2010 bis 2013 hat er zwischen 30 und 50 Meter pro Jahr abgenommen. Im Sommer 2007 bildete sich zwischen der abschmelzenden Stirn des Rhonegletschers und einem markanten Felsriegel ein neuer Gletschersee, in den vereinzelt Eisberge kalbten. Durch den starken und anhaltenden Schwund der Gletscherzunge vergrößerte sich der neue Gletschersee immer mehr. Experten gehen davon aus, dass der Gletscher bis zum Jahr 2100 beinahe vollständig verschwunden sein wird.
Grossglockner-Pasterze (Österreich)
Die Pasterze ist mit etwas mehr als 8 km Länge der grösste Gletscher Österreichs und der längste der Ostalpen. Er befindet sich am Fusse des Grossglockners. Seit 1856 hat die Fläche von damals über 30 Quadratkilometer um beinahe die Hälfte abgenommen. Allein die Pasterze verlor zwischen 2011 und 2012 fast 100 Meter.
Mer de Glace (Frankreich)
Das Eismeer (Mer de Glace) ist der grösste Gletscher Frankreichs und der viertgrösste Gletscher der Alpen. Das Mer de Glace besteht aus mehreren Einzelgletschern, die zusammen ca. 12 Kilometer lang sind und in der Breite zwischen 700 und 1950 m variieren. Die Fliessgeschwindigkeit dieses Gletschers beträgt durchschnittlich 90 m pro Jahr. Charakteristisch für das Mer de Glace sind die abwechselnd hellen und dunklen Bänder, die wie »Jahresringe« quer zur Fliessrichtung über den Gletscher ziehen. Das Mer de Glace zieht sich immer weiter zurück und ist mittlerweile über zwei Kilometer kürzer und bei Montenvers um 130 m dünner.
Die Gletscherschmelze, das Schmelzen des ewigen Eises, führt zu einer ganzen Reihe schwerwiegender Folgen:
- Das Schmelzwasser bildet riesige Seen, Wasserfluten stürzen zu Tal und Überschwemmungen nehmen zu.
- Das schnelle Abschmelzen der Gletscher legt Felsflanken und grosse Schuttareale frei. Niederschlag läuft in den eisfreien Fels- und Schuttgebieten ungehindert ab. Gerölllawinen nehmen zu. Bei Starkregen bedroht das lockere Gestein als Murengang und Erdrutsch Täler und Siedlungen. Durch das schmelzende Eis gebildete Gletscherseen können durchbrechen und mit Geröll und Schlamm ganze Täler verwüsten.
- Die Landschaft um die getauten Gletscher verändert sich. Statt der Schönheit der Eisriesen blickt man nur noch auf eine Wüste aus Gestein und Geröll.
- Die Trinkwasserversorgung ist in Gefahr. Gletscher sind wichtige Wasserspeicher. Ist das Eis abgetaut, können Wasserengpässe die Folge sein, weil der Nachschub aus den Bergen ausbleibt. In Europa werden grosse Flüsse wie Rhein und Rhone von Gletscherwasser gespeist.
- Die Permafrostgrenze verschiebt sich. Die Bodentemperatur im Permafrost ist in den Alpen binnen 50 Jahren um 0,5 Grad gestiegen. In den letzten 100 Jahren hat sich hier die Permafrostgrenze um 100 bis 300 Höhenmeter nach oben verschoben. Diese stets gefrorenen Böden, die im Sommer nur oberflächlich abtauen, haben eine wichtige Funktion: Das Eis hält Felsgestein, Schutt, Steine und Boden zusammen.
- Wenn es taut, verlieren die Berghänge ihre Tragfähigkeit und kommen ins Rutschen. Millionen Euro müssen für den Katastrophenschutz ausgegeben werden. Siedlungen und Verkehrswege müssen mit Auffangdämmen vor Muren-, Schnee- und Gerölllawinen geschützt werden.
- Der Meeresspiegel steigt. Das Klimagremium der Vereinten Nationen (IPCC) sagt einen Anstieg des weltweiten Meeresspiegels von bis zu einem Meter für dieses Jahrhundert voraus. Davon gehen allein 20 Zentimeter auf das Konto der Gletscherschmelze.
- Der an die frostige Umwelt angepassten Tierwelt droht der Verlust ihres Lebensraums. Die sich im Zuge der Erderwärmung rasch verändernden Umweltbedingungen lösen bei einigen Pflanzen Stress aus. Sie werden anfälliger für Insekten, die im Zuge der Erwärmung ihre Verbreitungsgebiete erweitern.
Inzwischen erreicht der Schwund der Alpengletscher eine Grössenordnung, die erst für das Jahr 2025 erwartet worden war. Die Klimawissenschaftler rechnen damit, dass sich auch in Zukunft das Klima im Alpenraum überdurchschnittlich erwärmen wird. Gletscherforscher rechnen mit dem fast vollständigen Abschmelzen der Alpengletscher noch in diesem Jahrhundert. Zu derselben Prognose kommt auch der Bericht der Schweizer Forschungsgruppe „CH2014-Impacts“. In einer repräsentativen Simulation hat sie festgestellt, dass bei gleichbleibendem CO2-Ausstoss die Schweizer Gletscher bis Ende des 21. Jahrhunderts verschwunden sein werden.