Jahrzehntelang mussten die Bewohnerinnen und Bewohner eines kleinen indischen Dorfes ohne ein Stromnetz auskommen. Mit Hilfe von Greenpeace haben die Menschen in Dharnai das Heft jetzt selbst in die Hand genommen.

Jahrzehntelang mussten die Bewohnerinnen und Bewohner eines kleinen indischen Dorfes ohne ein Stromnetz auskommen. Mit Hilfe von Greenpeace haben die Menschen in Dharnai das Heft jetzt selbst in die Hand genommen.

Dienstag, 22. Juli 2014

Ein guter Grund zum Lächeln: Kinder in Dharnai freuen sich über das neue Stromnetz.
© Vivek M / Greenpeace

 

Ein bisschen erinnert die Geschichte vom neuen Stromnetz in Dharnai an das kleine gallische Dorf, das inmitten einer feindseligen Übermacht den Widrigkeiten trotzt. Seit kurzem spenden in Dharnai im indischen Bundesstaat Bihar am Abend sechzig Straßenlaternen Licht – inmitten der buchstäblichen Dunkelheit ringsum. Auch die Strommasten an den Wegen sind neu. Und vier Kilometer vor der Orsteinfahrt kündigt ein Schild auf dem Highway an: «Dharnai Solar Village».

All diese begrüssenswerten Veränderungen hängen damit zusammen, dass Dharnai am 20. Juli 2014 nach zweimonatigem Testbetrieb offiziell ein eigenes, völlig autonom operierendes Stromnetz in Betrieb genommen hat. Für die 2400 Einwohnerinnen und Einwohner Dharnais markiert dieser Tag eine echte Zeitenwende: Jahrzehntelang mussten sie – so wie ein Großteil der Landbevölkerung in weiten Teilen Indiens – ohne eine sichere Stromversorgung auskommen. Mit Hilfe von 280 Solarpanelen wird sich Dharnai von nun an selbst versorgen: Über das neue Netz fliesst jetzt Strom in 400 Haushalte und 50 Gewerbeeinheiten sowie sechs Wasserpumpen, 60 Straßenlaternen, zwei Schulen und ein Krankenhaus. Das solarbetriebene Netz wurde von Greenpeace entwickelt und ist das erste seiner Art in Indien.

ENDLICH STROM NACH DREISSIG JAHRE

«Dreissig Jahre lang haben wir nichts unversucht gelassen um uns Elektrizität zu verschaffen. Ohne Aussicht auf Erfolg. Während Indien wuchs und gedieh, mussten wir uns mit Kerosinlampen und teuren Dieselgeneratoren behelfen. Doch jetzt kann ich voller Stolz sagen, dass Dharnai zu einem Vorreiter geworden ist. Wir können uns jetzt mit unserem eigenen Strom versorgen und endlich an den Erfolgen teilhaben!», sagt Kamal Kishore, ein Bewohner Dharnais.

Das Stromnetz in Bihar ist nicht etwa nur schlecht ausgebaut oder marode, es ist vielerorts schlicht nicht existent: Nur die Hälfte der Dörfer in dem Staat haben überhaupt Zugang zu einer (meist minderwertigen) Stromversorgung.  Etwa 89 Prozent der Menschen in Bihar leben auf dem Land, von ihnen nutzen 95 Prozent hauptsächlich Kerosin zur Lichterzeugung. In ganz Indien müssen derzeit noch mehr als 300 Millionen Menschen ohne eine Stromversorgung auskommen; die internationale Energiebehörde IEA geht davon aus, dass weltweit über 1,3 Milliarden Menschen dieses Schicksal teilen. Das Fehlen einer Stromversorgung geht fast zwangsläufig mit einem niedrigen Lebensstandard einher, das Gesundheitswesen und das gesellschaftliche Zusammenleben leiden erheblich, wirtschaftliches Prosperieren wird im Keim erstickt.

MODELL KÖNNTE SCHULE MACHEN

Das Beispiel Dharnai macht deutlich, dass mit Hilfe erneuerbarer Energien und sogenannter «micro grids» – also dezentraler, autonomer und lokaler Netze – Millionen von Menschen aus ihrer Zwangslage befreit und klimaschonend mit Energie versorgt werden können. Das Projekt in Dharnai geht auf eine Aufgabe zurück, die Ministerpräsident Shri Nitish Kumar Greenpeace bei einem Treffen Anfang 2013 mit auf den Weg gab. Kumar forderte die Greenpeace-IngenieurInnen heraus, ein Modell zur lokalen Stromversorgung zu entwickeln, das nicht nur wirtschaftlich betrieben werden kann, sondern auch vielfach reproduzierbar wäre. Nach der erfolgreichen Testphase und der offiziellen Inbetriebnahme des Netzes in Dharnai fordert Greenpeace nun seinerseits die Regierung des Bundesstaates auf, die nötigen Schritte einzuleiten, und das Erfolgsmodell in mit Dharnai vergleichbaren Dörfern zu kopieren.

Dharnais neues Stromnetz wurde unter konsequenter Einbeziehung der Einwohner geplant und wird künftig gemeinschaftlich von ihnen verwaltet. Sollte der Strombedarf wachsen – derzeit ist das Netz auf 100 kW ausgelegt (mehr Informationen) – kann das Netz ausgebaut werden. Betrieben und instandgehalten wird es mit technischer und administrativer Unterstützung durch die Organisationen BASIX und CCED. Letztere ist ein Zusammenschluss mehrerer Nicht-Regierungs-Organisationen, die sich in Bihar für den Ausbau erneuerbarer Energien einsetzen.

Anders als der legendäre Zaubertrunk, für den Asterix und seine Freunde ein gewissermassen exklusives Nutzungsrecht in Anspruch nahmen, kann das Dharnai-Modell weltweit Schule machen. «Das Projekt zeigt, dass sich Kommunen überall auf der Welt ihr eigenes Energiesystem schaffen und damit ihren Bürgerinnen & Bürgern Wohlstand und Sicherheit gewährleisten können ohne den Klimawandel voranzutreiben. Eine Win-Win-Situation ohne von den Interessen der Kohle- und Atomindustrie abhängig zu sein» so Niklas Schinerl, Energieexperte von Greenpeace Deutschland.

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