Die COALMINE in Winterthur präsentiert vom 30. Oktober bis 18. Dezember 2015 den Publikumspreis des Greenpeace Photo Award 2014 in Zusammenarbeit mit Greenpeace und in Medienpartnerschaft mit GEO. Ein Gespräch mit dem Preisträger des Publikumspreises des Greenpeace Photo Award 2014, Manuel Bauer.
Die COALMINE in Winterthur präsentiert vom 30. Oktober bis 18. Dezember 2015 den Publikumspreis des Greenpeace Photo Award 2014 in Zusammenarbeit mit Greenpeace und in Medienpartnerschaft mit GEO. Ein Gespräch mit dem Preisträger des Publikumspreises des Greenpeace Photo Award 2014, Manuel Bauer.
Eines Nachts baten ihn drei verzweifelte Bauern in Mustang um Hilfe. Daraus entstand ein mehrjähriges Projekt, das zur Umsiedlung eines ganzen Dorfs geführt hat: Manuel Bauer über neue Strategien im Fotojournalismus, seine Rolle als Fotograf und warum er trotz schwindender Absatzmärkte positiv in die Zukunft blickt.
Sascha Renner im Gespräch mit Manuel Bauer.
Lieber Manuel, das abgelegene Dorf Sam Dzong beschäftigt Dich, seit Du 2008 erstmals nach Mustang gereist bist. War das geplant?
Nein, im Gegenteil. Nach dem Abschluss meines mehrjährigen Dalai-Lama-Projekts war ich erschöpft und gestand mir für einmal zu, einfach nur zum Vergnügen zu fotografieren. Ich wurde von einem Freund nach Mustang eingeladen, Robert Jenny, der als einer der ersten in das ehemals unabhängige buddhistische Königreich am Himalaya gereist war. Wir wollten eine Ausstellung machen, Roberts Bilder aus den 1960er-Jahren und neue von mir zeigen: das alte Mustang also und wie es sich verändert hat. Mustang hatte mich bis dahin nie interessiert, weil es dort keine Probleme zu fotografieren gab. Aber dumm gelaufen: Ich bin in Mustang unvermutet auf ein Problem gestossen, das mich schon länger bewegte, das ich dort aber nicht erwartet habe: den Klimawandel.
Du bist dafür zum Projektmanager und Entwicklungshelfer geworden. Warum hast Du diese Last auf Dich genommen? Du bist Fotograf.
Ich habe sie nur in Tranchen auf mich genommen. Der Anfang war ja sehr überschaubar. Es schien wie im Märchen: Der König schenkt den Menschen von Sam Dzong Land für ein neues Dorf, ich helfe, die Felder von den Findlingen zu befreien, und die Dorfbewohner siedeln selber über. Ich hatte ein Budget von 20’000 Franken für die Räumungsarbeiten zu finanzieren. Dieses Geld habe ich mit Vorträgen in der Schweiz sammeln können. Das hat sich jedoch als zu naiv herausgestellt. Es traten Probleme auf, welche die Dorfbevölkerung selber nicht bewältigen konnte, und ich wollte sie nicht im Stich lassen. Dank der Grosszügigkeit der Schweizer Spender fasste ich Mut, auch die zusätzlichen Mittel für das Bauholz und dann die nächsten notwendigen Schritte zu beschaffen. Hätte ich aber von Anfang an gewusst, dass ich helfe, ein ganzes Dorf zu bauen, hätte ich es nicht gewagt.
Seit es die Fotografie gibt und insbesondere die Tradition der engagierten Fotografie, streitet man darüber, ob Bilder etwas bewirken können. Die Frage an Dich: Was können sie bewirken?
Ich glaube schon, dass man mit Bildern auf Missstände aufmerksam machen kann, auch wenn ich immer wieder einmal daran zweifle. Als ich 1995 als bisher einziger Fotograf die Flucht von Tibetern dokumentieren konnte, wurde diese Reportage in vielen Ländern und Sprachen publiziert. Es wäre falsch zu sagen, dass dies nichts bringt, auch wenn man selten direkte Rückmeldungen erhält. Es braucht diese Berichterstattung. Zumindest sensibilisiert sie die Leserschaft für ein Thema. Mich zu engagieren, ist für mich ganz natürlich. Das Engagement stand bei mir immer an erster Stelle, deswegen wurde ich Fotograf. Schon in den 1980er-Jahren, bevor ich Fotograf war, kämpfte ich für den Umweltschutz.
Die Reportage ist in den klassischen Printmedien zu grossen Teilen weggebrochen. In welchem Rahmen kann die Fotografie heute etwas bewirken?
Es gibt andere, direktere Formen der Kommunikation, die ich seit einigen Jahren intensiver nutze, wie den Vortrag oder die neuen Medien. Ich kann zum Beispiel über Youtube zu einem Publikum sprechen. Auch das ist Einwegkommunikation, aber sie ist intimer und emotionaler als die Kommunikation mittels Papier. Ich frage mich, ob wir heute nicht sogar mehr Möglichkeiten haben, bei den Leuten Empathie zu wecken. Eine Gefahr sehe ich allerdings in der Schnelllebigkeit. Grosse Demonstrationen wie in den 1980er-Jahren, etwa gegen die Kernkraft, sind heute fast undenkbar. Die Leute liken stattdessen etwas auf irgendeiner Plattform, und ihr Engagement hat sich so erledigt. Aber reicht das? Wo sind die Leute, die physisch auf die Strasse gehen? Es ist gefährlich, sein Gewissen mit einem Klick zu beruhigen.
Im Fall von Sam Dzong hat jedoch ein Printmedium eine entscheidende Rolle gespielt: Das Magazin hat Ende 2013 Deine Bilder mit einem Text von Christian Schmidt publiziert.
Wir waren platt! Die Bereitschaft des Magazins, die Reportage kurz vor Weihnachten zusammen mit einem Spendenaufruf zu platzieren, und diese sehr berührende Geschichte – Bauern, die umziehen müssen aus Gründen, für die sie nichts können, – das war natürlich ein Glücksfall. Dennoch hätten wir nie eine solche Resonanz erwartet. Wir rechneten mit 5000 Franken, maximal 20’000 Franken. Am Ende kam die halbe Million zusammen, die für das neue Dorf nötig war. Rührende Briefe wurden uns geschrieben, es gab Kinder, die ihre Weihnachtsgeschenke spendeten, Familien, die den Artikel als Weihnachtsgeschichte unter dem Christbaum vorlasen, Firmen, die auf Kundengeschenke verzichteten. Das Engagement der Leser erlaubte es mir, meine Energie schon früh vom Spendensammeln zur eigentlichen Aufbauarbeit zu verlagern. Wobei wir immer nach dem Grundsatz Hilfe zur Selbsthilfe vorgingen: die Sam Dzong Ngas haben sämtliche Arbeiten ausgeführt, die sie aus eigener Kraft leisten konnten.
Dadurch bist Du vom Journalisten zum Helfer mutiert: ein Verstoss gegen das Credo des Fotoreporters, unbeteiligt zu bleiben im Interesse der journalistischen Unabhängigkeit? Hast Du einen Rollenkonflikt durchlebt?
Ja. Aber da müssen wir ehrlich sein: Als Fotograf in der Tradition des Concerned Photojournalism gibt es diesen Konflikt von Anfang an. Mein Standpunkt ist über mein Menschsein definiert. Ich brauche das nicht zu verstecken, im Gegenteil. Während der Arbeit an Flucht aus Tibet wollte ich neutral sein; damals habe ich noch ganz an dieses Credo geglaubt. Aber das war prätentiös. Ich musste mir eingestehen, dass ich mit den Flüchtlingen auf Leben und Tod eine Schicksalsgemeinschaft bildete. Ich habe von ihrem Essen genommen, und sie haben in meinem Biwaksack geschlafen. Ihre Stärke hat mich wohl die Strapazen überhaupt überleben lassen. Das ist keine Neutralität. Diese geht nur vom Schreibtisch aus. Aber in einer Extremsituation ist es aus humanitären Gründen nicht möglich, unbeteiligt zu bleiben. Daneben braucht es in den Medien aber, davon bin ich überzeugt, auch den neutralen Berichterstatter, den Korrespondenten.
Erstaunlicherweise hatten aber auch die Redaktionen nichts dagegen einzuwenden, dass ich das Dorf Sam Dzong dokumentiere, das ich selber unterstützte. Noch vor einigen Jahren hätte eine grosse Redaktion gesagt, darüber berichtet ein anderer, nicht Du, wir gefährden hier die journalistische Unabhängigkeit. Heute leben wir diesbezüglich in einer ziemlich aufgeweichten Welt. Die Deregulierung in der Wirtschaft und das Faustrecht des Gelds hinterlassen überall Spuren. Alle sind unter Druck, ethische Fragen werden weniger gestellt. Ich kann nun deswegen die Hände verwerfen oder die Umstände zum Guten nutzen. Wenn ich nach reiflicher Überlegung weiss, ich tue nichts Böses, die Motivation stimmt, dann ist es richtig. Hätte ich Sam Dzong nicht helfen sollen, um neutraler Journalist zu bleiben? Nein.
Ist man versucht, eine besonders sentimentale Bildsprache und Motivik zu wählen, um ein Publikum emotional zu berühren und zum Handeln zu motivieren? Man kennt dies aus der Hilfswerkfotografie.
Solche Fragen reflektiere ich immer wieder. Wird man über die Zeit angepasster oder bequemer? Geht man über Leichen für ein gutes Bild, bleibt man seinen Prinzipien treu? Aber letztendlich bin ich immer Mensch und Fotograf. Mein Überleben hängt von der fotografischen Qualität und Authentizität meiner Bilder ab. Ich realisiere jedoch, dass ich durch die Digitalfotografie das bewusste Sehen verlernen kann. Für eine grössere Reportage hatte ich früher 200 Filme im Gepäck, das war schon viel. Aber Speicherkarten bietet viel mehr Platz. Es braucht heute mehr Disziplin, ein Bild bewusst auszulösen. Ich mag komplexe Bilder mit vielen Details: Die Bewegungen müssen stimmen, die Überschneidungen, die Hintergründe, die Vordergründe. Ich nenne das die Choreografie des Zufalls. Auf diese Details achtet man weniger, wenn man beliebig oft auslösen kann. Dabei ist das Zauberhafte an der Fotografie: die Stimmigkeit des Augenblicks dank des Einfrierens der Zeit zu geniessen. Fotografieren ist nicht filmen, sondern hat für mich mit dem Erfassen des entscheidenden Augenblicks zu tun.
Im Fall von Sam Dzong erlaubte es Dir der Greenpeace Photo Award ganz zum Schluss, einen Teil Deines Aufwands zu decken. Wie finanziert man heute aufwändige Reportagen mit Tiefe? Welche Strategien muss ein Fotojournalist verfolgen?
Es ist immer noch dasselbe. Man braucht den Willen, etwas zu erzählen. Man muss wissen, was man zu sagen hat, und man muss die Kraft haben, es durchzuziehen. Auch früher mussten wir das Geld suchen, es brauchte Zweit- und Drittverkäufe im Ausland, das war anstrengend. Da es heute nicht mehr nur über die Medien geht, suche ich andere Finanzierungswege. Im Fall von Sam Dzong war das ein breiter Mix: Crowdfunding, Eigenfinanzierung, Stiftungszuwendungen und Honorare von Redaktionen. Ich führte sogar Trekkinggruppen nach Mustang und habe mir so wieder eine Reise finanziert. Auch die Vertriebskanäle sind sehr vielfältig geworden: Printmedien wie Das Magazin und Geo, Online-Artikel, direkte Mailings an Spender, Vorträge, die Ausstellung dank der Coalmine und dem Greenpeace Photo Award, eine Begleitpublikation. Mein Leben ist durch die Krise der Printmedien interessanter geworden.
Veranstaltungen
Dienstag, 10. November 2015, 18.00 Uhr
Vortrag: Manuel Bauer spricht über Sam Dzong und seine Arbeit