Einwohner und Einwohnerinnen aus der Umgebung der Wiederaufarbeitungsanlagen Sellafield und La Hague haben bei der Bundesanwaltschaft Sammelstrafanzeigen gegen die Verantwortlichen der Schweizer Atomindustrie einreichen lassen. Zu den Klägern gehört der Bürgermeister von Gréville-Hague, sowie ein berufsbedingt an Krebs erkrankter ehemaliger Mitarbeiter der Wiederaufarbeitungsfirma Cogéma. Die Betroffenen und ihr Rechtsvertreter informierten heute an einer Pressekonferenz in Bern.
Bern. Acht Personen aus Frankreich und zwei Personen aus England, alle in der Umgebung der Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague und Sellafield wohnend, haben bis am 22. Juni eine Strafklage gegen die Verantwortlichen der Schweizer Atomindustrie und des Bundesamtes für Energie (BfE) bei der Bundesanwaltschaft eingereicht. Den Angeschuldigten wird vorgeworfen die gesundheitsgefährdenden radioaktiven Abgaben bei der Wiederaufarbeitung und bei den dafür notwendigen Transporten bewusst in Kauf genommen zu haben. Nach schweizerischem Recht ist die Schädigung der Gesundheit durch ionisierende Strahlung strafbar, erläuterte Rainer Weibel, Fürsprecher und rechtlicher Vertreter der KlägerInnen. «Gemäss Artikel 36 des Atomgesetzes sind Teilnahmehandlungen von Schweizern an einer strafbaren Auslandtat strafbar, selbst wenn dies in einem andern Land nicht geahndet wird», sagte Weibel weiter. Greenpeace hatte bereits im November vergangenen Jahres eine entsprechende Strafanzeige eingereicht. In einer Aussprache zwischen Greenpeace und der Bundesanwaltschaft hatte Bundesanwältin Carla del Ponte die Verfügung eines strafprozessualen Transportverbots in Aussicht gestellt. Martin Forwood, Kläger aus Broughton bei Sellafield, informierte über die Situation in Cumbrien. Neueste Messungen von Greenpeace zeigten, dass die Irische See in der Umgebung der Abflussrohre von Sellafield als atomare Müllhalde bezeichnet werden müsse. Dadurch seien auch Mensch und Tier einer massiven Gesundheitsgefährdung ausgesetzt. «In Seascale – direkt neben der Wiederaufarbeitungsanlage gelegen – erkranken vierzehn mal mehr Kinder an Leukämie, als im Landesdurchschnitt», führte Forwood aus und die Fauna sei massiv verstrahlt. «Tauben und Seevögel in der Umgebung zeigen Strahlenwerte wie radioaktiver Atommüll, die Sellafield-Betreiberfirma BNFL hat deshalb den Abschuss von 1500 Tauben angeordnet und vor deren Verzehr gewarnt. Die Grenzwerte in Meerestieren sind ebenfalls massiv überschritten», erklärte Forwood weiter. Nicht anders präsentiert sich die Situation um die Anlage in La Hague in der Normandie. In einer live zugeschalteten Video Pressekonferenz aus Cherbourg forderten die Kläger – unter ihnen der Bürgermeister von Gréville-Hague und ein berufsbedingt erkrankter, ehemaliger Arbeiter der Wiederaufarbeitungsfirma Cogéma – dass sich die Schweiz selbst um ihren Atommüll kümmern solle. Die Bevölkerung um La Hague lebe seit Jahren in der Ungewissheit, die Cogéma informiere falsch oder gar nicht, wie der jüngste Skandal um die Atomtransporte beweise. «Landwirtschaftliche Produkte mit der Herkunftsbezeichnung ‘La Hague› können heute nicht mehr verkauft werden», sagte ein betroffener Landwirt. Stefan Füglister, Koordinator der Atomkampagne bei Greenpeace Schweiz, kritisierte Bundesrat Leuenbergers Position in der Wiederaufarbeitungsdebatte. Gemäss seinem Votum in der Debatte zum Geschäftsbericht des Bundesrates vom 9. Juni dieses Jahres meinte er, der Bund würde bei einem behördlichen Stopp der Wiederaufarbeitung schadenersatzpflichtig. Damit ignoriere Bundesrat Leuenberger den Grundsatz, dass das Recht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit des Individuums klar über finanziellen Aspekten stehe. Ausserdem sei ein behördlich angeordnetes Verbot juristisch nie abgeklärt worden. Füglister: «Greenpeace wird weiter am sofortigen Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung arbeiten und weitere Atomtransporte ins Ausland verhindern».
Kontakt:
Stefan Füglister, Koordinator der Atomkampagne 044 447 41 41