Alle 29 russischen Atommeiler könnten abgeschaltet werden, wenn die Lecks in den Öl- und Gas-Pipelines des riesigen Landes geschlossen würden. Die eingesparten Öl- und Gas-Mengen könnten theoretisch sogar eine Strommenge erzeugen, die mehr als doppelt so hoch ist wie die von russischen Atomkraftwerken produzierte. Dies ist das Ergebnis einer heute in Hamburg veröffentlichten Studie, die von Greenpeace Russland und deutschen Energie-Experten erstellt wurde.
Hamburg. Aus Anlass des morgigen 14. Jahrestages der Atomkatastrophe von Tschernobyl fordert Greenpeace russische und westliche Energiekonzerne sowie die internationale Politik auf, ihre Mittel zum Schliessen der Pipeline-Lecks einzusetzen, statt den Fortbestand der maroden russischen Atomkraftwerke zu finanzieren.»Auf unseren Expeditionen zu den Öl- und Gasfeldern in der Komi-Region nordwestlich des Urals und in West-Sibirien fanden wir eine Umweltverschmutzung durch Pipeline-Lecks, die alles Vorstellbare übertrifft – überall ist Öl», erläutert Dr. Christian Bussau, Öl-Experte von Greenpeace. «Ganze Wälder stehen in Ölseen, riesige Gasfackeln und Rauchsäulen verdunkeln den Himmel.»In Russland gehen jährlich etwa fünfzehn Millionen Tonnen Öl und rund dreissig Milliarden Kubikmeter Erdgas durch Leckagen verloren. Zum Vergleich: Das entspricht dem jährlichen Ölverbrauch Österreichs und dem jährlichen Erdgasverbrauch Frankreichs. Erdgas-(Methan-) Leckagen sind extrem klimaschädlich: Methan trägt um ein Vielfaches mehr zum Treibhaus-Effekt bei als Kohlendioxid, das beim Verbrennen von Öl und Erdgas entsteht.Bei der energetischen Nutzung der vermiedenen Öl- und Gasverluste sollte nach Meinung von Greenpeace der Schwerpunkt auf Erdgas liegen und möglichst kein Öl zur Stromerzeugung verbrannt werden. Erdgas ist als Brennstoff weniger schädlich als Öl oder Kohle und trägt weniger zum globalen Klimawandel bei. Es könnte für Russland die zentrale Rolle im Übergang vom fossil-atomaren Zeitalter in eine Ära erneuerbarer Energieerzeugung spielen. «Mit der Studie schlägt Greenpeace zwei Fliegen mit einer Klappe», sagt Greenpeace-Atomexperte Veit Bürger. «Sowohl die maroden Pipelines als auch die maroden Atomreaktoren sind für Russland ein gigantisches Umweltproblem. Ölverseuchung und Radioaktivität machen die Menschen krank.» Dazu kommen ungelöste Probleme der Endlagerung radioaktiver Abfälle, die hohen Kosten der Stillegung alter Reaktoren und die Gefahren der Weiterverbreitung von Atomwaffen. Deshalb sollten internationale Kredite sofort weg von der Atomenergie hin zum Abdichten von Öl- und Gaslecks umgewidmet werden.