Zürich, 1. November 2011. Das BAFU scheint aus dem Unfall- und Altlastenstandort Schweizerhalle nicht gelernt zu haben. Statt Chemiegefahren mittels geeigneter Untersuchungsmethoden zu erkennen und beseitigen, schaut das Bundesamt für Umwelt (BAFU) lieber weg. Deshalb lehnen Greenpeace sowie die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz die vom BAFU in die Vernehmlassung gegebene Revision der Altlastenverordnung ab und wehren sich gegen einen Abbau von Standards im Umgang mit belasteten Standorten wie Schweizerhalle & Co.
Das Beispiel Schweizerhalle zeigt auf unschöne Weise, welche negativen Folgen unterlassene Sanierungs- und Überwachungsmassnahmen haben können. Am 1. November 1986 haben bei Schweizerhalle über 1’300 Tonnen Chemikalien gebrannt. Die nachfolgenden Aufräumarbeiten waren ungenügend. Weil Behörden und Industrie sich nicht an die Sanierungsvereinbarungen gehalten und zudem nicht richtig hingeschaut haben, blieben viele Schadstoffe zurück, die noch heute das Grundwasser verschmutzen.
Der Revisionsentwurf der Altlastenverordnung macht die Problematik noch schlimmer – in der vorliegenden Form ist er ein unnötiges Geschenk an die Verursacher komplexer Altlasten. Weil Untersuchungs- und Überwachungsstandards abgebaut werden, bleiben Verschmutzungen des Grund- und Trinkwassers durch giftige Industrie-Chemikalien nicht nur bei «Schweizerhalle» unerkannt. Die Gesundheit der Bevölkerung in der Schweiz wird dadurch schlechter geschützt, und statt der Verursacher müssen vermehrt die SteuerzahlerInnen bezahlen.
Im Verhältnis zu den 50’000 in der Schweiz bekannten Belastungsstandorte sind komplexe Altlasten mit einer grossen Schadstoffvielfalt selten. Darin enthaltene Chemikalien sind jedoch häufig persistent (bauen sich in der Umwelt nicht ab), bioakkumulierend (reichern sich in der Umwelt und im Menschen an), endokrin (greifen in Niedrigstkonzentrationen in den Hormonhaushalt ein) oder anderweitig schädigend. Werden diese in der Regel von der Grossindustrie und der Basler Chemiekonzerne stammenden Schadstoffe nicht beseitigt, bleiben sie eine jahrzehntelange Gefahr für das Grund- und Trinkwasser und somit für die Gesundheit des Menschen. Mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung will das BAFU neu hohe Grenzwerte und unpräzise Prognosen für Schadstoffkonzentrationsverläufe einführen, um eine Überwachung einer Altlast anordnen oder abbrechen zu können. Als Grundlage dienen lediglich die 68 Schadstoffe, die in der Altlastenverordnung aufgelistet werden und nach denen in der Praxis meist mit so genannten Einzelstoffanalysen gezielt gesucht wird – es zählt nicht mehr das generelle Vorhandensein einer gefährlichen Chemikalie im Schutzgut Wasser.
Matthias Wüthrich, Chemieexperte von Greenpeace, sagt: «Greenpeace setzt sich seit Jahren für die Lösung des Altlastenproblems auf Kosten der Verursacher ein – auch beim Unfall- und Altlastenstandort Schweizerhalle. Um Verschmutzungen durch Giftstoffe überhaupt zu erfassen und die Schadstoff-Vielfalt bei komplexen Altlasten in den Griff zu bekommen, sind Screening-Analysen zwingend notwendig. Dies zeigen auch die Erfahrungen von Greenpeace bei Chemiemülldeponien in Monthey (VS), Bonfol (JU), Elsass (F) oder Südbaden (D). In Muttenz (BL) wurde die Belastung des Trinkwassers von über 200’000 Menschen in und um Basel nur dank Screenings entdeckt. Indem das BAFU aber Grenzwerte erhöht und Analysemethoden weiter einschränkt, statt sie mit Screenings zu erweitern, bleiben in der Schweiz zukünftig weiträumige Verschmutzungen von Grund- und Trinkwasser unerkannt – dies ist ein unhaltbares Geschenk an die Industrie mit kostspieligen Folgen für die Bevölkerung und die Umwelt.»
«Die vorliegende Verordnungsänderung bedeutet zudem eine Abkehr von der bisherigen BAFU-Politik, so genannt persistente Altlasten auf Kosten der Verursacher zu beseitigen. Diese Revision widerspricht auch dem Vorsorgeprinzip des Umweltschutzgesetzes und dem Verursacherprinzip. Das komplexe Altlasten-Problem kann nicht mit einer Erhöhung von Grenzwerten und einem zunehmend beschränkten Fokus auf ein paar wenige gelistete Schadstoffe gelöst werden. Dadurch ignoriert das BAFU, dass im Untergrund über die Jahrzehnte neue Gifte entstehen können – diese können weitaus gefährlicher sein als der ursprüngliche Schadstoff», führt Wüthrich weiter aus.
Dr. med. Peter Kälin, Präsident der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (Aefu): «Durch den in der Revision verpackten Abbau von Standards zur Untersuchung und Bewertung von komplexen Altlasten drohen Langzeitrisiken für die Gesundheit der Bevölkerung und wesentlich höheren Kosten bei der verspäteten Behebung des Umweltschadens. Da die Verursacher je länger desto weniger fassbar werden, erfolgen die Spätsanierungen wohl oft auf Kosten der SteuerzahlerInnen».
Aus den oben genannten Gründen lehnen Greenpeace und ÄrztInnen für Umweltschutz den BAFU-Vorschlag ab und fordern mit Nachdruck eine Revision, die für komplexe Altlasten folgendes vorsieht:
- Untersuchungen und Erfassen aller Schadstoffe mittels Screening (GC/MS und LC/MS).
- Beurteilung eines Standorts aufgrund des gesamten vorhandenen Schadstoffspektrums.
- Eine klare Regelung zur Bewertung von Chemikalien, die nicht in der Altlastenverordnung aufgelistet sind oder zu denen keine oder nur unvollständige Toxizitäts-Daten angegeben sind.
- Die definitive und vollständige Beseitigung von gefährlichen Altlasten auf Kosten der Verursacher zum Schutz der Umwelt, des Trinkwassers und der Gesundheit der Bevölkerung.
Diese Forderungen gelten insbesondere auch für den Unfall- und Altlastenstandort Schweizerhalle – 25 Jahre nach der Katastrophe sollen Behörden und Industrie einen Schlussstrich ziehen und endlich sauber machen.
Matthias Wüthrich, Leiter Chemiekampagne Greenpeace Schweiz, +41 44 447 41 31