Das Ministerkomitee des Europarats hat diese Woche entschieden, dass die Schweiz die Anforderungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall der KlimaSeniorinnen noch nicht erfüllt. Die Schweiz bleibt den Beweis schuldig, dass sie genug tut, um die globale Erwärmung auf 1.5°C zu beschränken.

«Der Bundesrat kommt mit seiner Argumentation beim Ministerkomitee nicht durch. Die Schweiz muss ihre Klimapolitik verbessern, um die Verletzung unserer Menschenrechte zu beheben. Wir fordern den Bundesrat und das Parlament auf, die Gefahren der Klimaerwärmung ernst zu nehmen und endlich entschieden gegen die Klimakrise vorzugehen», sagt Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin der KlimaSeniorinnen Schweiz.

Das Ministerkomitee des Europarats, das den Vollzug der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) überwacht, hat diese Woche im Rahmen des 1521st (Human Rights) meeting of the Ministers’ Deputies in Strassburg anderem die Umsetzung des wegweisenden Urteils des EGMR im Fall der KlimaSeniorinnen geprüft.

Das Ministerkomitee nimmt die Klimastrategie, welche die Schweiz in ihrem Aktionsbericht darlegt, zur Kenntnis. Die vom EGMR festgestellte Verletzung der Menschenrechte ist damit aber nicht behoben. Das Gremium kommt somit dem Antrag des Bundesrats, den Fall zu schliessen, nicht nach. Vielmehr muss die Schweiz über die Bücher.

Das Ministerkomitee weist darauf hin, dass der Klimawandel eines der dringlichsten Probleme unserer Zeit ist und dass die Unzulänglichkeit der bisherigen staatlichen Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels weltweit die Risiken negativer Folgen und die sich daraus ergebenden Bedrohungen für die Wahrnehmung der Menschenrechte verschärft haben.

Das Ministerkomitee fordert die Schweiz auf, bis im September 2025 die Grundlagen ihrer Klimastrategie zu erklären. Dazu gehört die Quantifizierung der mit der Klimastrategie geplanten Emissionen unter Verwendung eines nationalen CO2-Budgets.

Das Ministerkomitee stellt in diesem Zusammenhang fest, dass eine breite Koalition von Nichtregierungsorganisationen in ihrer Stellungnahme das verbleibende CO2-Budget für die Schweiz deutlich niedriger einschätzt als es die Schweiz selber tut – ihrer Meinung nach wäre das grösstmögliche CO2-Budget bis 2032 erschöpft, wenn die Schweiz ihren derzeitigen Emissionspfad beibehält.

Zudem muss der Bundesrat das Ministerkomitee über die getroffenen und geplanten Anpassungsmassnahmen zum konkreten Schutz verletzlicher Menschen – beispielsweise während Hitzewellen – auf dem Laufenden halten. Weiter muss er konkrete Beispiele für den effektiven Einbezug der Bevölkerung in die Ausarbeitung von Klimaschutzmassnahmen liefern.

Was hat es mit dem sogenannten CO2-Budget auf sich?

Um verheerende Folgen für die Menschenrechte heute und in Zukunft zu vermeiden, darf die globale Klimaerwärmung 1.5°C nicht übersteigen. Damit dies gelingt, müssen die Treibhausgasemissionen weltweit sehr rasch gesenkt werden. Denn die verbleibende globale Menge an CO2, welche die Atmosphäre noch aufnehmen kann, ohne über 1.5°C zu erwärmen, ist knapp. Hier spricht die Wissenschaft vom CO2-Budget, auch Kohlenstoffbudget genannt. Damit dieses Budget nicht überschritten wird, was zum Schutz der Menschenrechte nötig ist, muss die Schweiz aufzeigen, dass sie mit ihrer Klimastrategie das globale CO2-Budget und damit die 1.5°C-Grenze effektiv respektiert. So urteilte der EGMR im April 2024 (siehe Kasten).

Doch diesen Nachweis blieb die Schweiz dem Ministerkomitee bislang schuldig. Vielmehr zeigen wissenschaftliche Berechnungen klar: Die Schweiz beansprucht mit ihrer aktuellen Klimastrategie viel zu viel des global noch verfügbaren CO2-Budgets für die Einhaltung der 1.5°C-Grenze. Wenn die Schweiz so weiter macht wie geplant, hat sie schon 2032 das für sie grösstmögliche noch verfügbare Budget restlos aufgebraucht. Die Klimapolitik der Schweiz ist somit nicht kompatibel mit der Einhaltung der 1.5°C-Grenze – und ist daher nicht menschenrechtskonform. 

Das bahnbrechende KlimaSeniorinnen-Urteil ist nicht nur für die Schweiz relevant, sondern für jedes andere Land, das den Menschenrechtsschutz seiner Bürger:innen garantieren will. Die Menschenrechte werden heute schon durch die Folgen der Klimaerwärmung verletzt und sind durch die sich zuspitzenden Klimakrise akut bedroht. Jedes Land muss seine Verantwortung wahrnehmen und darf nicht mehr des verbleibenden Budgets beanspruchen, als ihm fairerweise zusteht.


Was bisher geschah

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Urteil vom 9. April 2024 im Fall der KlimaSeniorinnen festgehalten: Die Staaten haben die Pflicht, betroffene Bürger:innen vor den nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Leben, ihre Gesundheit, ihr Wohlergehen und ihre Lebensqualität zu schützen. Die Staaten sind verpflichtet, Gesetze zu erlassen und Massnahmen umzusetzen, damit die Treibhausgasemissionen sinken und der Klimawandel gebremst wird. Zum Schutz der Menschenrechte muss jedes Land seine Emissionen im Einklang mit dem verbleibenden globalen CO2-Budget senken, um den Temperaturanstieg auf maximal 1.5°C zu begrenzen. Und der EGMR urteilte, dass  die Schweizer Klimapolitik nicht ausreicht, um die 1.5°C-Grenze einhalten zu können und darum nicht menschenrechtskonform ist.

Ein halbes Jahr nach dem Urteil teilte der Bundesrat dem Ministerkomitee mit, dass er das Urteil als umgesetzt erachtet und die Schliessung des Falls beantragt. Die KlimaSeniorinnen, eine breite Koalition von Nichtregierungsorganisationen sowie die Schweizerische Menschenrechtsinstitution SMRI haben derweil Mitte Januar in ihren Stellungnahmen an das Ministerkomitee aufgezeigt, dass die Schweizer Klimapolitik weit davon entfernt ist, die im EGMR-Urteil festgehaltenen Anforderungen an eine menschenrechtskonforme Klimapolitik zu erfüllen. Würden alle handeln wie die Schweiz, würde die globale Temperatur um bis zu 3°C ansteigen, mit schwerwiegenden Folgen für die heutigen und künftigen Generationen.

Weitere Informationen zum Klima-Urteil sind auf der Website der KlimaSeniorinnen zu finden.


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