Vom 4. bis 6. März 2025 wird das Ministerkomitee des Europarats zu seiner vierteljährlichen Sitzung zum Thema Menschenrechte in Strassburg zusammenkommen und die Umsetzung wegweisender Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) prüfen. Auf der Traktandenliste steht auch das Urteil im Fall der KlimaSeniorinnen Schweiz. Weil die Schweiz bislang keine Anstalten gemacht hat, ihre Klimapolitik trotz des Verdikts zu verbessern, beantragen die KlimaSeniorinnen, dass die Schweiz in die Pflicht genommen wird.
Nach dem historischen Sieg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wird die Umsetzung des KlimaSeniorinnen-Urteils nun vom Ministerkomitee des Europarats überwacht. Es ist das erste Mal, dass ein internationales Gremium die Klimaschutzmassnahmen eines Staates auf Grundlage eines Gerichtsurteils prüft, der Überwachung des Vollzugs kommt somit grosse Bedeutung zu. Das Ministerkomitee scheint sich der Verantwortung bewusst zu sein: Es hat bereits letztes Jahr beschlossen, die Umsetzung des KlimaSeniorinnen-Urteils im Rahmen eines sogenannten verschärften Verfahrens (enhanced procedure) inhaltlich zu überwachen, weil die Umsetzung des Verdikts komplex ist.
An der morgen Dienstag startenden Sitzung* des Ministerkomitees ist das KlimaSeniorinnen-Urteil erstmals traktandiert. Üblicherweise wird über Fälle, die zum ersten Mal auf der Tagesordnung stehen, nicht diskutiert. Weil eine Diskussion zu diesem Zeitpunkt verfrüht wäre und meistens nicht nötig ist. Vielmehr folgt das Ministerkomitee normalerweise dem vorläufigen Entscheidentwurf des Departments for the Execution of Judgments, welches das Ministerkomitee bei der Überwachung des Vollzugs der Urteile berät und unterstützt. Eine Diskussion findet nur dann statt, wenn diese von einem Staat explizit beantragt und genehmigt wird. Ein Antrag auf Diskussion wird zum Beispiel dann gestellt, wenn ein Land mit dem Entscheidentwurf des Departments for the Execution of Judgments nicht einverstanden ist und diesen ändern möchte.
Schweiz will an menschenrechtswidriger Klimastrategie festhalten
Tatsächlich könnte die Schweiz schon während der Sitzung diese Woche die Diskussion anstreben. Sie hat dem Ministerkomitee mitgeteilt, dass sie das Urteil als umgesetzt erachtet und die Schliessung des Falls beantragt.
Fakt ist jedoch, dass knapp ein Jahr nach dem historischen Urteil die Schweizer Klimapolitik weit davon entfernt ist, um die im EGMR-Urteil festgehaltenen Anforderungen an eine menschenrechtskonforme Klimapolitik zu erfüllen. Das grösste Versäumnis: Obwohl gemäss Urteil ausdrücklich verlangt (§§ 569 ff. im Urteil), hat die Schweiz es bislang verpasst, ihre Politik auf eine maximale globale Erwärmung von 1.5°C abzustimmen. Diese Begrenzung ist menschenrechtlich relevant. Dafür müsste die Schweiz – ausgehend vom global noch verfügbaren CO2-Budget für die Einhaltung der 1.5°C-Grenze – ein nationales Budget ableiten. Stattdessen rechtfertigt die Schweiz vor dem Ministerkomitee eine Klimapolitik, die sich an dem vom Weltklimarat für den globalen Durchschnitt modellierten Reduktionspfad orientiert. Mit diesem Ansatz beansprucht die Schweiz im Endeffekt deutlich mehr des knappen CO2-Budgets, als ihr zusteht – auf Kosten anderer Länder.
Die KlimaSeniorinnen und eine breite NGO-Koalition ersuchen darum das Ministerkomitee unter anderem, von der Schweiz einen Aktionsplan zu verlangen, in dem die zur Umsetzung des Urteils erforderlichen Massnahmen inklusive Zeitplan dargelegt werden. Insbesondere soll das Ministerkomitee die Schweiz auffordern, «unverzüglich Massnahmen zu ergreifen», um ein 1.5°C-kompatibles nationales CO2-Budget zu quantifizieren. Die KlimaSeniorinnen und Greenpeace Schweiz haben bereits gezeigt, wie das gehen kann: Gestützt auf die Methodik des European Scientific Advisory Board on Climate Change (ESABCC) haben die KlimaSeniorinnen und Greenpeace Schweiz das Schweizer CO2-Budget von Experten berechnen lassen und dem Ministerkomitee vorgelegt.
Die unzureichende Klimapolitik der Schweiz verletzt weiterhin die Menschenrechte.
*Das 1521st (Human Rights) meeting of the Ministers› Deputies ist nicht öffentlich. Voraussichtlich am Freitag, 7. März 2025 werden die Entscheide kommuniziert.
Die Stellungnahmen zuhanden des Ministerkomitees
- Stellungnahme der KlimaSeniorinnen Schweiz mit Annex I CLN-Analyse (erscheint in Kürze), Annex II Schweizer CO2-Budget, Annex III CO2-Emissionsprognosen für die Schweiz 2023–2050
- Stellungnahme der NGO-Koalition
- Stellungnahme der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution
- Aktionsbericht der Schweiz
Weitere Informationen zum Klima-Urteil sind auf der Website der KlimaSeniorinnen zu finden.
Kontakte
Deutsch
- Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin des Vereins KlimaSeniorinnen, +41 79 567 67 73, rosmariewydler@sunrise.ch
- Cordelia Bähr, Rechtsanwältin der KlimaSeniorinnen, +41 78 801 70 34, baehr@ettwein.ch
- Martin Looser, Rechtsanwalt der KlimaSeniorinnen, +41 79 481 76 88, looser@ettlersuter.ch
- Georg Klingler, Klimaexperte Greenpeace Schweiz, +41 79 785 07 38, georg.klingler@greenpeace.org
Französisch
- Anne Mahrer, Co-Présidente des Aînées pour le climat Suisse, +41 79 249 72 17, anne.mahrer@bluewin.ch
- Raphaël Mahaim, Avocat au Barreau, +41 79 769 70 33, rmahaim@r-associes.ch
Italienisch
- Norma Bargetzi, Anziane per la protezione del clima, +41 79 352 98 89, normaba@bluewin.ch