Nach der angekündigten Betriebsverlängerung erst recht: Greenpeace Schweiz will Klarheit über die Abnutzung des Atomkraftwerks Beznau. Darum gelangt die Umweltorganisation zum dritten Mal ans Bundesverwaltungsgericht. Das Gericht hat bereits zweimal geurteilt, dass Dokumente mit Informationen über die Reaktordruckbehälter mit möglichst wenigen Textschwärzungen veröffentlicht werden müssen. Trotzdem verweigern die AKW-Betreiberin Axpo und die Atomaufsichtsbehörde ENSI weiterhin pauschal die Einsicht in grosse Teile der Unterlagen. Seit zehn Jahren kämpft Greenpeace Schweiz im Namen des Öffentlichkeitsprinzips für die Herausgabe der Dokumente.
Die von Greenpeace Schweiz eingeforderten Informationen betreffen die Abnutzung der Druckbehälter der Beznau-Reaktoren 1 und 2. Konkret will die Umweltorganisation die Prüfungsergebnisse einsehen, die der Energiekonzern Axpo beim Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) im Jahr 2010 eingereicht hatte. Bis anhin haben das ENSI und die Axpo nur eine kurze Zusammenfassung dieser Untersuchungen veröffentlicht.
Das Interesse von Greenpeace gilt insbesondere dem Druckbehälter von Beznau 1, dem ältesten Atomkraftwerk der Welt. Dieser weist im Vergleich zu anderen Anlagen eine starke Abnutzung auf, bedingt durch das hohe Alter des Reaktors und die Eigenschaften des verwendeten Stahls. Der Reaktordruckbehälter ist das Herzstück eines Atomkraftwerks, er umschliesst den radioaktiven Brennstoff. Versagt diese Komponente, kommt es zu einer Atomkatastrophe.
Greenpeace hat erstmals im Februar 2015 gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip Einsicht in die detaillierten Prüfunterlagen verlangt (siehe Chronologie). In der Folge gelangte die Umweltorganisation zweimal an das Bundesverwaltungsgericht. Zweimal forderte das Gericht das ENSI auf, keine pauschale Schwärzung der Dokumente vorzunehmen. Doch die Bundesbehörde zeigt sich weiterhin uneinsichtig und unkooperativ.
Gemäss seiner neuesten Verfügung will das ENSI die Informationen erneut weitgehend zurückhalten und gibt nur wenige Seiten zur Veröffentlichung frei. Die Behörde beruft sich auf das Güterkontrollgesetz, das den Umgang mit Gütern regelt, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Greenpeace Schweiz hat Anfang Dezember die dritte Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Die Umweltorganisation fordert die unverzügliche Herausgabe der Dokumente.
Brisant: Auch die Axpo, die das AKW Beznau betreibt, hat eine Beschwerde gegen den jüngsten ENSI-Entscheid eingereicht. Der Konzern akzeptiert nicht mal eine minimale Transparenz.
Florian Kasser, Atomexperte bei Greenpeace Schweiz, sagt: «Das ist inakzeptabel. Letzte Woche hat die Axpo angekündigt, den Betrieb von Beznau zu verlängern und das AKW insgesamt 63 Jahre laufen zu lassen. Damit ist das öffentliche Interesse an den Prüfungsergebnissen nochmals gestiegen. Der Axpo-Chef hat mehrmals angedeutet, dass der Zustand des alten Druckbehälters von Beznau 1 ein zentraler Punkt sei beim Entscheid, wie lange das AKW laufen werde. Die wesentliche Frage für die Öffentlichkeit ist nun, mit welchen Sicherheitsmargen die Axpo rechnet. Die angekündigten Investitionen von 350 Millionen Franken über neun Jahre sind vergleichsmässig sehr tief. Ein Atomkraftwerk darf nicht ausgefahren werden.»
«ENSI und Axpo haben das Verfahren seit 2015 verschleppt. Sie versuchen mit allen Mitteln und Tricks, den genauen Zustand des ältesten Atomkraftwerks der Welt zu verheimlichen. Besonders problematisch ist das Verhalten der Behörde. Das ENSI foutiert sich um das Öffentlichkeitsprinzip. Das ENSI muss die Geheimniskrämerei beenden. Die Öffentlichkeit hat das Recht auf volle Transparenz.»
Chronologie
Februar 2015: Greenpeace Schweiz reicht beim ENSI ein Gesuch ein und verlangt Einsicht in Unterlagen zur Versprödung des Reaktordruckbehälters von Beznau 1 und 2. Doch das ENSI verweigert den Zugang zu 950 Seiten. Lediglich rund 50 Seiten – teilweise ebenfalls geschwärzt – werden zugestellt.
Dezember 2015: Der Eidgenössische Öffentlichkeitsbeauftragte stützt Greenpeace: Das ENSI muss den Bericht entschwärzen – mit Ausnahme von Fabrikationsgeheimnissen und Personaldaten.
Januar 2016: Die Axpo sperrt sich gegen die Herausgabe des Berichts – ohne Begründung.
Februar 2016: Das ENSI stellt sich vollständig auf die Seite der Axpo und verhindert mittels einer Verfügung die Veröffentlichung.
März 2016: Greenpeace Schweiz erhebt beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen die ENSI-Verfügung.
April 2017: Das Bundesverwaltungsgericht hebt mit seinem Urteil die ENSI-Verfügung auf. Die Atomaufsichtsbehörde darf ein 950-seitiges Dokument zur Abnutzung des Druckbehälters nicht pauschal schwärzen. Teile des Dokuments, die keine Geschäftsgeheimnisse enthalten, müssen zugänglich gemacht werden.
September 2019: Das ENSI erlässt eine zweite Verfügung, mit der die Herausgabe der Dokumente erneut verhindert wird.
Oktober 2019: Greenpeace erhebt ein weiteres Mal Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht, weil der Umfang der zurückgehaltenen Informationen viel zu gross ist.
November 2021: Das Bundesverwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut und fordert vom ENSI eine differenzierte Betrachtung: Es dürfen keine pauschalen Textschwärzungen vorgenommen werden, diese müssen begründet werden.
November 2024: Das ENSI erlässt eine dritte Verfügung, die zur Folge hätte, dass nur ein kleiner Teil der Informationen veröffentlicht würde. Greenpeace reicht erneut Beschwerde ein. Die Axpo rekurriert ebenfalls gegen den ENSI-Entscheid.
Kontakte
- Florian Kasser, Atomexperte bei Greenpeace Schweiz, +41 76 345 26 55, [email protected]
- Medienstelle Greenpeace Schweiz, +41 44 447 41 11, [email protected]