Sprayer von Zürich, Anwalt der Fische oder einfach nur Schmierfink – Harald Naegeli wurden in seinen 81 Lebensjahren bereits viele Beinamen verliehen. Nun reiht sich ein Weiterer ein: Freund von Greenpeace. Denn der Schweizer Künstler überlässt der Organisation anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums mehrere seiner Werke zur Auktion. Ein Porträt.
Harald Naegeli hatte schon immer eine innige Beziehung zur Natur. Wolken, Wasser, Gräser und Bäume – in ihnen fand er seine Kraft und Inspiration: «Die Natur und die Schöpfung sind der Ursprung meines Schaffens», sagt der Graffiti-Sprayer. Weswegen der 81-Jährige in seinem Leben des öfteren hässig war auf diejenigen, die der Umwelt Schaden zufügen und sie gar verdrängen wollten. Konzerne, Systeme, Menschen – und die Stadt Zürich mit ihrer zunehmenden Urbanisierung.
Seinem Ärger machte Harald Naegeli dabei auf ganz eigene Art Luft: Er packte eine Spraydose und zog im Dunkeln durch Züri – von Hauswand zu Hauswand. Seine Figuren, Parolen und Botschaften an den Mauern der Stadt waren ein Protest gegen die graue und zubetonierte Architektur seiner Heimat, die der Natur je länger, je mehr ihren Lebensraum raubte. Seither prägen ebendie unverkennbaren Strichmännli das Zürcher Stadtbild. Und machten Naegeli zu der gefeierten Kunstfigur, die er heute ist.
Doch nicht immer wurden er und seine Werke gehuldigt, im Gegenteil. Als man Naegeli 1979 bei einer seiner nächtlichen Sprayaktionen erwischte, verurteilte ein Zürcher Gericht den damals 40-Jährigen zu einer neunmonatigen Haftstrafe. Der Sprayer versuchte daraufhin, das Gefängnis mit einer Flucht nach Deutschland zu umgehen. Doch das Bundesverfassungsgericht lieferte ihn 1984 zurück an die Schweiz aus.
Als Naegeli nach sechs Monaten aus der Haft entlassen wurde, kehrte er Zürich den Rücken. Und kam erst 35 Jahre später wieder.
Naegeli und die Fische
Auch in seiner neuen Heimat Deutschland war Harald Naegeli als Sprayer aktiv. Als es 1986 in Basel zum Brand der Schweizerhalle kam, bei dem mindestens 20 Tonnen Gift in den Rhein flossen, sprayte er ein paar Hundert Kilometer flussaufwärts in Düsseldorf ein Mahnmal: einen Fisch mit einem Totenkopf im Bauch. Drei Wochen später tauchte ein ähnlicher Fisch an einem Pfeiler der Zoobrücke in Köln auf. Auch dieser unverkennbar ein Naegeli.
In Deutschland aber reagierte man anders auf die Sprayereien Naegelis: Dem Künstler schwappte Anerkennung entgegen – etwas, das ihm in der Schweiz lange verwehrt wurde. So nahm man seine Graffitis im Nachbarland als Geschenk an, würdigte sie als Kunst und den Schöpfer als Meister. Naegeli schaffte es sogar in die Zeitung: «Ich verstehe mich als Anwalt der Fische, weil diese Fische zu Millionen und Milliarden von der chemischen Industrie getötet worden sind. Ich fühle mich berufen, meine Stimme für sie zu erheben», zitierte ihn am 16. Dezember 1986 der Kölner Stadt-Anzeiger. Inklusive Foto, das den Künstler neben seinem Werk zeigte.
Versöhnung mit der Heimat
2020 kehrte Harald Naegeli in die Schweiz zurück. Er sehnte sich auf seinen Lebensabend hin nach einer Versöhnung mit seiner Heimat. Und zu dieser sollte es auch kommen. Zumindest so halb. Während der Pandemie zückte Naegeli erneut seine Spraydose und brachte in Zürich gegen 50 neue Werke an. Der Kanton Zürich und das Kunsthaus zeigten Harald Naegeli an und liessen die Werke entfernen. Die Stadt wiederum überreichte ihm einige Wochen später den Kunstpreis für sein Lebenswerk. Harald Naegeli und sein Züri – das wird wohl immer eine verschwurbelte Beziehung bleiben.
Nicht so aber diejenige mit der Natur. Sie ist nach 81 Jahren so stark wie am ersten Tag. Und auch nach fast einem Jahrhundert ist Harald Naegelis Ärger über den Umgang mit seiner Schöpfungsquelle gross. Die Probleme sind dieselben geblieben. Und Naegeli langsam aber sicher müde ob des beständigen Narzissmus des Menschen: «Ich glaube, dass der Standpunkt der Liebe oder der Zuneigung zur Natur und des Lernen-Wollens, auch wenn man diese Gesetze nicht rational verstehen kann, die einzige wirklich produktive Art des Umgangs mit der Natur ist; alles Übrige beruht letzten Endes auf dem Gedanken der Unterdrückung, der Ausbeutung. Und gerade diese Egozentrik des Menschen oder dieser Wahn, er sei nun die Krone der Schöpfung und hatte dadurch gleich einen Freipass, sich aufzuführen, wie er wolle, führt letztlich zu der schon eingeleiteten Selbstzerstörung.»
Greenpeace und Harald Naegeli verbindet vieles: das mutige Handeln und der Einsatz für eine nachhaltige und gerechte Welt. Die Minderung des Klimawandels hat auch für den Sprayer von Zürich eine solche Wichtigkeit, dass er Greenpeace exklusiv eine Auswahl seiner Werke für eine Jubiläums-Auktion zur Verfügung stellt, die im Kunsthandel sonst nicht erhältlich sind. Einige der Werke aus der Schenkung von insgesamt 50 Bildern stehen noch zum Verkauf. Der Erlös daraus kommt vollumfänglich den Umweltschutz-Kampagnen von Greenpeace zugute.
Titelbild: © Johannes Stahl