Dort, wo heute ein baufälliger Stall steht, sollen zwei Wohnungen und ein Kulturraum entstehen: Ein Schaffhauser Weiler zeigt, wie sich im ländlichen Raum neuer Lebens- und Begegnungsraum schaffen lässt. Das klimaschonende Projekt setzt auf Holz aus der Umgebung und den Einbezug regionaler Handwerksbetriebe.
Der Höhenzug Randen ist definitiv kein Touristenmagnet von nationaler Bedeutung. Dafür ist er zu abgelegen: Wer etwa auf den Siblinger Randen will, fährt zunächst 20 Minuten mit dem Regionalbus von Schaffhausen nach Siblingen. Dort ist Schluss mit dem dünn getakteten öffentlichen Verkehr. Entweder man marschiert jetzt eine gute Stunde, teils steil bergauf bis auf 833 Meter über Meer. Oder man lässt sich abholen, – um dann mit bloss 20 Kilometern pro Stunde hinter einem hoch mit Stroh beladenen Traktortransport herzutuckern.
Die geteerte Strasse endet im Schotter vor einem Stallanbau: eine dunkel patinierte Fassade, ein nur wenig Vertrauen erweckendes Dach und bröckelnder Putz. Der junge Nussbaum nebenan macht mit einem tollkühn konstruierten Baumhaus auf sich aufmerksam. Dass hier Kinder wohnen, zeigt sich auch beim improvisierten Hofladen: «Gebrannte Mandeln, 3 Franken» wirbt die krakelige Schrift auf dem Schild am Körbchen, in dem ein Dutzend handgefertigte Spitztüten liegen. Daneben warten Bratkäse, Rinderwurst und «Randammer», ein Edamerkäse aus Milch vom Randen, auf hungrige Ausflüglerinnen und Ausflügler.
An schönen Tagen wirds eng
Der Trumpf des Siblinger Randens – seine Abgeschiedenheit und Idylle – ist zugleich sein Handicap: Er ist durch den öffentlichen Verkehr miserabel erschlossen. Kommen mehr Erholungssuchende auf den Schaffhauser Hausberg, rollt deshalb auch mehr Blech an. Gelöst ist das Problem noch nicht, und einige Siblinger im Tal reklamieren regelmässig wegen des Durchgangsverkehrs. Schon lange wird darüber verhandelt, zumindest am Wochenende bei schönem Wetter einen Busshuttle einzurichten. Bis es so weit ist, wird wohl noch öfters die örtliche Feuerwehr aufgeboten werden müssen, um die Verkehrslawine in den Griff zu bekommen.
Noch aber ist es ruhig. An schattigen Stellen liegen noch Schneeflecken, richtig wandern kann man erst seit Kurzem wieder. Diesen Winter fiel besonders viel Schnee – die «Langlaufwandergruppe Schaffhausen» informiert auf einer Tafel über ihr Angebot «Randenspur». Auch die Bike-Route 50 «Schaffhauserland» passiert den touristischen Knoten. Und eine Viertelstunde zu Fuss entfernt bietet einer der vier Randentürme einen Rundblick bis zu den Alpen und zur Dampffahne aus dem Kühlturm von Leibstadt.
Raum für Kultur und Begegnung
Ruhig sei es zurzeit auch wegen des Lockdowns, erklärt Claude Tappolet. Der 46-Jährige ist an diesem abgelegenen und zugleich viel besuchten Ort aufgewachsen. Und er ist Initiant einer Genossenschaft, die altes Handwerkwissen mit neuer Technologie verbinden will. Es geht um den baufälligen Stallanbau des alten Bauernhauses, der zusammen mit den drei dazugehörigen Wohnungen, mehreren Personalzimmern und dem Hotel-Restaurant den Weiler Siblinger Randen bildet. Schon heute ist der kombinierte Betrieb nachhaltig ausgerichtet: Der Bauernhof mit Pächter und landwirtschaftlichem Angestellten trägt das Demeterlabel, die Gastronomie setzt auf regionale und wenn möglich biologische Küche; die nötige Wärme wird mit einer Stückholzfeuerung erzeugt. «Für mich war es nur logisch, dass auch der Ersatzneubau gewissen nachhaltigen Anforderungen genügen muss», erklärt Tappolet.
Doch die Investitionen, die nötig sind, um den einsturzgefährdeten Stall mit Heuschober zu ersetzen, können er und seine Frau nicht alleine stemmen. Vor allem aber wird nicht einfach wieder ein Stall gebaut. Denn bereits seit 30 Jahren steht nebenan ein Freilaufstall für die 18 Kühe. Statt der Unterkunft für Tiere entsteht im Neubau deshalb Platz für Menschen: im ersten und zweiten Stock je eine Wohnung für Mitarbeitende von Hof oder Gastronomie, im Parterre ein Laden, wo möglichst viel der im Weiler erzeugten Milch- und Fleischproduktion direkt ab Hof verkauft wird. Dazu kommt eine öffentlich zugängliche Toilettenanlage.
Eigentliches Juwel des Bauprojekts ist aber der 60 Quadratmeter grosse «Randenraum». Hier werde man Geburtstage feiern, kulturelle Veranstaltungen oder Kurse durchführen können, sagt Tappolet. Der Siblinger Randen soll so noch stärker als bisher nicht nur Kreuz- und Ausgangspunkt touristischer Pfade sein, sondern ein pulsierendes Herz für das Waldgebiet an der Grenze zu Deutschland.
Holz aus nächster Nähe
Im letzten Frühling suchte Tappolet Rat bei Bekannten, man sondierte bei der Gemeinde. Mitten im ersten Lockdown war es dann soweit: Anfang Mai 2020 wurde die Genossenschaft Siblinger Randen gegründet. Es folgten Pressekonferenz, die Suche nach Darlehen und Genossenschaftsmitgliedern sowie Verhandlungen mit Banken. Heute fehlen noch 200 000 Franken, um die Kosten von 2,1 Millionen Franken zu decken. Dennoch beginnt schon im Mai der Abbruch. «Kommen mehr Zusagen als nötig, brauchen wir weniger Geld von der Bank», sagt Hanspeter Kissling, zuständig für die Finanzen in der Genossenschaft. Mit im Vorstand sind auch der Gemeindepräsident von Siblingen, ein Land- und Energiewirt, der sich für erneuerbare Energien stark macht, eine junge Werberin und ein Fundraiser.
Gebaut wird mit dem, was der fantastische Ausblick von der Restaurantterrasse auf den Mischwald nahelegt: mit Holz. Bloss ein paar hundert Meter vom Weiler entfernt liegt die Parzelle, wo Anfang Jahr 100 Stämme, insgesamt 300 Kubikmeter Holz, geschlagen wurden. Welche Bäume dran glauben mussten, entschied der lokale Förster. «Dass lokales Baumaterial verwendet wird, ist für die Genossenschaft zentral», sagt This Alder, der als Architekt des Zürcher Büros Bölsterli Hitz GmbH für das Projekt zuständig ist. Man hätte zwar standardisierte, vorfabrizierte Elemente kaufen können. Doch solches Holz stamme häufig aus dem Ausland, «teils sogar aus der russischen Taiga, aus zweifelhaften oder gar unbekannten Quellen», erzählt Alder. Die lokale Sägerei hingegen steht im zehn Kilometer Luftlinie entfernten Merishausen. Der Betrieb schreinert die Elemente nach den Anweisungen des Architekten und kann – dank klarer Vorgaben – die Stämme optimal und mit möglichst geringem Schnittverlust verarbeiten. «Rinden und Abschnitte nutzt die Schreinerei energetisch, um das Holz zu trocknen», erklärt Alder.
Am Bau selbst wird praktisch nichts geleimt: Zwölf Zentimeter starke Kanthölzer bilden das Rückgrat, darauf genagelte Bretter halten sie zusammen. Wenn immer möglich kommt Massivholz statt geleimte Dreischichtplatten zum Zug. «Einzig der Treppenkern ist aus Beton, sonst setzen wir nahezu komplett auf Holz», sagt Alder. Als Isolation werden Kammern ausgespart, in die am Schluss Isofloc, also Zeitungsfasern, eingeblasen wird.
Klimaschutz bis ins Detail
100 bis 150 Kubikmeter Holz wird die Genossenschaft bis zum Bezug im Sommer 2022 neu verbaut haben. Das Holz bindet Kohlendioxid und entzieht es für Jahrzehnte der Atmosphäre, was das Klima schützt. Einen positiven Einfluss auf die CO2-Bilanz haben auch die lokale und damit transportarme Beschaffung und Verarbeitung sowie der Umstand, dass kaum Beton, Stahl und Glas verwendet werden – allesamt Baustoffe mit einem grossen Klimarucksack. «Dazu kommt, dass das Gebäude reversibel sein soll», erklärt Alder: Wände ohne tragende Funktion können quasi mit einem Schraubenzieher gelöst und neu platziert werden. Das ist auch ein Grund, warum die Planer auf eine Bodenheizung verzichten und stattdessen auf klassische Radiatoren setzen. «Mit Heizkörpern kann die Raumaufteilung bei Bedarf nach zehn Jahren geändert und so die Nutzungsdauer des Gebäudes verlängert werden.»
Altes Wissen und Innovation kommen genauso bei der Konstruktion der Zwischenböden zum Tragen. Auch hier setzt man als Rohstoff lokale Fichte ein. Um genügend Masse für Wärmespeicherung und Trittschallschutz zu erhalten, werden zwei Kammern mit ungebrannten Lehmsteinen respektive Kalksplitt gefüllt, der womöglich sogar aus dem gemahlenen Abbruch der alten Liegenschaft gewonnen werden kann. Nichts ist verklebt, nichts gegossen – «so bleiben die meisten Bauteile des Hauses demontierbar, lassen sich bei einem Umbau wiederverwenden und verkleinern so den Abfallberg», erklärt Alder.
Das Dach wiederum wird im alten Stil beibehalten, noch intakte Biberschwanzziegel werden erneut eingesetzt. Fotovoltaik wird man hier aber vergeblich suchen: Der Heimatschutz würde wohl opponieren. Auch die Genossenschaft selbst will das traditionell-moderne Ensemble nicht mit glitzrigen Panels verunstalten. Auf dem Dach der Ställe hingegen plant eine eigenständige Genossenschaft mit dem vielsagenden Namen «Randensaft» eine 100-Kilowatt-Anlage, die 80 Prozent des Eigenbedarfs decken soll. Zusätzlichen Strom und das Warmwasser wird mittelfristig die Pilotanlage eines Blockheizkraftwerks liefern – dafür kommen Holzschnitzel aus dem lokalen Wald zum Einsatz. Hauptlieferant für die Raumwärme des ganzen Weilers ist aber eine Holzschnitzelanlage, die unterflur neben dem Neubau erstellt wird und die in die Jahre gekommene und wenig komfortable Stückholzheizung ablöst.
Unabhängigkeit ist zentral für die Genossenschaft. So will man etwa bei der Beschaffung des Genossenschaftskapitals möglichst breit abgestützt sein. Auch das Holz für Bau und Energie werden wie die Lebensmittel für Gastronomie und Hofladen lokal gewonnen. Beim Wasser ist diese Autonomie schon erreicht. Der Randen als kalkreicher Juraausläufer ist arm an Oberflächenwasser. Doch der Weiler Siblinger Randen hat das Glück, über eine Quelle zu verfügen – und reinigt das verschmutzte Wasser gleich selbst in seiner eigenen Kleinkläranlage.
Mehr Infos zur Genossenschaft Siblinger Randen und dem Umbauprojekt gibt es hier.
Pieter Poldervaart ist freier Journalist im Pressebüro Kohlenberg in Basel. Er ist spezialisiert auf Umwelt- und Konsumthemen. kohlenberg.ch