Der Natur in der Schweiz geht es schlecht: Mehr als ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet, ihre Lebensräume verschwinden, wertvolle Naturflächen werden der industriellen Landwirtschaft oder dem Tourismus geopfert. Mit zwei Volksinitiativen geben die Umwelt- und Landschaftsschutzverbände jetzt Gegensteuer. Sie sollen schon im Frühjahr 2020 eingereicht werden.
Die weltweite Biodiversitätskrise ist nicht minder schlimm als die Klimakrise und beide gehen Hand in Hand: Das wissen wir spätestens seit den diesjährigen alarmierenden Berichten des Weltbiodiversitätsrats IPBES und des Weltklimarates IPCC. Wertvolle Naturflächen wie etwa Moore oder Wälder sind auch wertvolle CO2-Senken, deren Erhalt kostengünstig zum Klimaschutz beiträgt. Oder mit den Worten der UNO: Die Natur ist unsere wichtigste Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel.
Wirksamer Naturschutz geht nicht ohne klare gesetzliche Grundlagen, den nötigen politischen Willen für deren Umsetzung und das erforderliche Geld für konkrete Massnahmen. In der Schweiz hapert es an allen dreien: So werden etwa im Raumplanungsgesetz die Ausnahmen immer mehr zur Regel – mit dem Resultat, dass bald am meisten neue Gebäude und andere Bauten dort entstehen, wo überhaupt nicht gebaut werden dürfte, nämlich ausserhalb der Bauzonen. Dabei sind es vor allem landwirtschaftliche (Industrie-)Bauten, welche immer mehr Kulturlandfläche in Anspruch nehmen.
Angriffe auf den Natur- und Heimatschutz – zwei Volksinitiativen geben Gegensteuer
Auch das Natur- und Heimatschutzgesetz ist in den vergangenen Jahren immer wieder massiven Angriffen ausgesetzt gewesen. Zum Beispiel, indem kantonale Wirtschaftsinteressen über nationale Schutzinteressen (und internationale Verpflichtungen) gestellt werden sollten. Trotz einer nationalen Biodiversitätsstrategie, die schon 2012 verabschiedet wurde, fehlt bis heute der politische Wille zum konsequenten Handeln, und mancherorts leider auch die Einsicht in die Dringlichkeit von Naturschutzmassnahmen. Entsprechend schwertun sich unsere Politikerinnen und Politiker damit, das nötige Geld bereitzustellen: Der Naturschutz in der Schweiz ist chronisch unterfinanziert.
Vor diesem Hintergrund sind im vergangenen März vier grosse Natur- und Landschaftsschutzorganisationen in die Offensive gegangen und haben eine Doppelinitiative lanciert, um Gegensteuer zu geben: die Volksinitiative «Gegen die Verbauung unserer Landschaft» (Landschaftsinitiative) und die Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft» (Biodiversitätsinitiative).
Landschaftsinitiative: Stopp dem Bauboom ausserhalb der Bauzonen
Die Landschaftsinitiative will die zunehmende Verbetonierung unseres Kulturlandes stoppen und dem Bauen ausserhalb der Bauzonen klare Grenzen setzen. Sie knüpft am Verfassungsartikel zur Raumplanung an (BV Art. 75). Er wird um einen Art. 75c ergänzt, der die Verantwortung von Bund und Kantonen festhält, die Trennung zwischen Baugebiet und Nichtbaugebiet zu gewährleisten. Das Bauen ausserhalb der Bauzonen wird klaren und einfachen Regeln unterstellt: Namentlich darf die Zahl der Gebäude ausserhalb der Bauzonen und die von ihnen beanspruchte Fläche nicht mehr zunehmen; landwirtschaftliche Ökonomiebauten dürfen nicht zu Wohnzwecken umgenutzt werden und Zweckänderungen von Bauten zu landwirtschaftsfremden gewerblichen Nutzungen sind nicht mehr zulässig.
Die Initiative gibt damit die Richtung vor, in welche die zweite Revisionsetappe des Raumplanungsgesetzes gehen soll. Diese ist seit Jahren in Diskussion und aufgrund der divergierenden Interessen ein zähes Seilziehen. Die Anfang Dezember geführte Eintretensdebatte zur aktuellen Vorlage des Bundesrates endete damit, dass das Geschäft vorerst mal an den Ständerat weitergereicht wird. Die Landschaftsinitiative wurde dabei in den Diskussionen bereits erwähnt, ihre Forderungen dürften in den weiteren Diskussionen eine Rolle spielen. Umso wichtiger, dass nun die Unterschriften rasch fertig gesammelt werden!
Biodiversitätsinitiative: Mehr Flächen und mehr Geld für die Natur
Die Biodiversitätsinitiative knüpft am Natur- und Heimatschutzartikel in der Verfassung an und ergänzt ihn um einen Artikel 78a. Sie will den Schutz von Natur, Landschaft und baukulturellem Erbe auf Verfassungsebene konkretisieren und sicherstellen, dass für den Schutz der Biodiversität die nötigen Flächen und das erforderliche Geld zur Verfügung stehen. Denn die aktuelle Fläche und die Qualität vieler Lebensräume reichen bei weitem nicht mehr aus, um die Artenvielfalt und Ökosystemleistungen langfristig zu erhalten. Es braucht deshalb dringend mehr Flächen von guter Qualität für die Biodiversität.
Dazu hat sich die Schweiz auch international verpflichtet: Die Biodiversitätskonvention fordert von den Mitgliedsländern, dass sie 17 Prozent der Landesfläche unter Schutz stellen. Unser Land ist aber erst bei knapp über sechs Prozent geschützter Fläche angelangt und damit das Schlusslicht in Europa. Auch ausserhalb der Schutzgebiete muss die Landesfläche biodiversitätsfreundlich bewirtschaftet werden und die letzten frei zusammenhängenden Landschaften und wertvollen Lebensräumen müssen bewahrt und miteinander vernetzt werden, wenn wir der Biodiversitätskrise entgegenwirken wollen.
Bund und Kantone werden mit der Initiative beauftragt, schutzwürdige Objekte zu bezeichnen und zu bewahren und die für die Biodiversität nötigen Flächen zu sichern. Damit kämen wir der Realisierung der ökologischen Infrastruktur, wie sie der Bundesrat bereits 2012 beschlossen hat, einen grossen Schritt näher. Mit der Initiative sollen auch endlich die zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität nötigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden. Die zusätzlichen Gelder sollen für die Aufwertung bestehender Schutzgebiete, für die Finanzierung neuer Flächen sowie für Artenförderungsmassnahmen eingesetzt werden.
Die Biodiversität ist von elementarer Bedeutung für den Menschen. Unser Wohlergehen und unsere Lebensqualität hängen unmittelbar von ihrem Zustand ab. Neben Nahrung, sauberer Luft und saubererem Trinkwasser liefern uns intakte Ökosysteme auch fruchtbare Böden, Schutz vor Naturgefahren und nicht zuletzt Erholung; und sie sind auch die Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung. Wir sind also gut beraten, die natürliche Vielfalt in der Schweiz zu erhalten.
Seit die beiden Volksinitiativen vor neun Monaten lanciert wurden, ist ihre Dringlichkeit noch weit deutlicher geworden. Gleichzeitig besteht nach den nationalen Wahlen mehr Hoffnung denn je, in der nächsten Legislatur im Bereich von Natur- und Landschaftsschutz Nägel mit Köpfen machen zu können. Umso mehr möchte die Trägerschaft nun rasch zum Ziel kommen. Rund 18 000 Unterschriften fehlen noch bis zum 31. Januar 2020, bis die bei beiden Initiativen eingereicht werden können.