Das Wort «nachhaltig» ist beliebt. Es taucht in allen möglichen Zusammenhängen auf.
Da grüsst jemand in einem Brief eine bewunderte Person nachhaltig, an anderer Stelle wird nachhaltig festgestellt, dass wir andere Lösungen finden müssten und in einem dritten Zusammenhang wird eine nicht nachhaltige Argumentation kritisiert. Es ist so eine Sache mit der Nachhaltigkeit. Das aus dem Lateinischen stammende Wort «perpetuitas» kann tatsächlich vieles bedeuten; etwa «ununterbrochener Fortgang, grosse Dauer oder Ewigkeit». Im moderneren Deutsch bedeutet «nachhaltig», dass etwas noch lange Zeit andauern kann und vor allem, dass etwas so genutzt werden soll, dass es (über-)dauert; im eidgenössischen Forstgesetz etwa meint nachhaltige Nutzung, dass so viel Wald genutzt wird, wie wieder nachwachsen kann.
Im frühen 18. Jahrhundert wurde der Begriff erstmals verwendet, und zwar von Hans Carl von Carlowitz, einem polnischen und sächsischen Kammer- und Bergrat. Mit seiner «Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht» verfasste Carlowitz ein erstes umfassendes Lehrbuch nachhaltiger Forstwirtschaft. Die Schrift war die Folge einer Notsituation: Die Industrie hatte mit ihrem Energiehunger einen Raubbau betrieben, der – ähnlich wie in Griechenland oder Südspanien – den Fortbestand des Waldes schlicht in Frage stellte. Erst das bestechende Argument: «Nur so viel, wie wieder nachwachsen kann», konnte die Wachstumstrunkenen überzeugen. «Die Grenzen des Wachstums», also der erste Bericht des Club of Rome angesichts der Energiekrise 1973, basieren genauso auf diesem Ansatz wie die spätere Bewegung des sustainable development.
Der umgangssprachliche Gebrauch der «Nachhaltigkeit» hat zurzeit in seiner inflationären Tendenz wenn nicht System so doch eine verharmlosende Wirkung: Denn die Alltagssprache ist nicht nur sehr schöpferisch und freizügig gegenüber sprachgeschichtlichen oder «wissenschaftlichen» Vorgaben. Sie transportiert oft auch «was in der Luft liegt», kollektive Sprechmoden und damit auch ideologischen Mainstream. «Nachhaltig»» tönt gut und wird als interessantes Wort wahrgenommen. Wenn man es nun mit diesem Wort nicht besonders genau nimmt, kann sich jeder seinen persönlichen Reim darauf machen. So entsteht ein chamäleonhaftes Zauberwort und die Sprecher- und Schreibergemeinschaft unterjubelt ihm zumindest zwei assoziative Nebenbedeutungen:
- Wenn erstens eine Person «nachhaltig» gegrüsst wird, muss man darunter wohl verstehen, dass dieser Gruss nachhallt, dass er also besonders ernst gemeint ist und den Begrüssten zwar nicht überdauern aber doch immerhin ganz schön «umschallen» soll.
- Sucht zweitens jemand «nachhaltig» nach anderen Lösungen, will er nicht lockerlassen und wer «nachhaltig» feststellt, dass mit einem Gedankengang etwas nicht stimmt, meint wohl kaum, dass da in alle Ewigkeit etwas nicht aufgeht, sondern eher, dass mit Nachdruck auf ein mieses Argument hingewiesen werden soll.
Deshalb wird nachhaltig in Zukunft wohl anders geschrieben werden: «Nachhalltig» wäre eine Möglichkeit, die der inhaltlichen Entwicklung des Wortes durchaus entspräche. Es käme dann zu Aussagen wie «Ich grüsse Sie nachhalltig!» oder «Diese Gedanken verletzen das Prinzip der Nachhalltigkeit!».
Problematisch wird diese Wortreform allerdings im Zusammenhang mit der Waldnutzung: Wenn nämlich nachhalltig abgeholzt würde, bliebe wenig Forst übrig und an ein Nachwachsen innert nützlicher (nachhalltiger?) Frist wäre kaum mehr zu denken.
Unsere Nachkommen hätten ebenso ein Problem mit der nachhalltigen Entwicklung: Von Enkelgerechtigkeit könnte kaum mehr gesprochen werden und die ökologischen Trendsetter wie der Club of Rome, der WWF oder Greenpeace müssten das neue Wort «nachhalltig» blitzartig ersetzen. Da «enkelhaltig» dafür definitiv nicht taugt, könnte allenfalls an kreisläufig oder nachwachsend gedacht werden. Diese Wörter hätten aber den Makel, dass sie als Grussformeln nicht durchgingen. Denn keiner grüsst jemanden kreisläufig oder verabschiedet sich mit nachwachsenden Grüssen, auch wenn letztere den Vorteil hätten, dass das mit dem Grüssen ein für alle Mal erledigt wäre.
Wenn Konfuzius sagt, wer Worte habe, habe noch nicht notwendig Geist, trifft er den Nagel auf den Kopf: In seinem Sinne wäre mit Nachdruck auf die geistvolle Bedeutung von «nachhaltig» zu verweisen.
Markus Waldvogel ist Autor, Philosoph und Leiter der Beratungsfirma Pantaris. Er war viele Jahre Mitarbeiter des WWF Schweiz und hat die Bieler Philosophietage mitbegründet.
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