Zwischen Selbstverwirklichung, Sinnessuche und Sozialen Medien. Irgendwo unter all den Smartphones, Smart-TVs und Smartwatches begraben. Genau da setzt sich Greenpeace-Praktikantin Danielle mit den Hoffnungen, Herausforderungen und Problemen ihrer Generation Y auseinander – und fragt sich in ihren kommenden Kolumnen: Wie zum Teufel soll das grün gehen?
Lieber Santiglaus
Lange ist es her, seit ich dir einen Brief geschrieben habe. Geschweige denn, als ich dich zum letzten Mal sah. Und trotzdem fühlt es sich an, als ob es erst gestern war. Ich erinnere mich gut daran, welch grosse Angst du mir eingeflösst hast. Wie ich dir als kleines Mädchen mit zitteriger Stimme ein «Värsli» vorgetragen habe, während ich dabei versuchte, einen Blick in dein grosses Buch zu erhaschen – in welchem komischerweise ein Zettel mit der Handschrift meiner Mutter lag. Daraus hast du mir mal tadelnd, mal erfreut vorgelesen, mit deiner tiefen, unheimlichen Stimme. So leid es mir heute tut, aber der schönste Moment war für mich immer, wenn wir die Türe hinter dir schliessen konnten – natürlich mit einem tollen Geschenk in der Hand.
In zwei Tagen machst du dich erneut auf den Weg zu all den Kindern der Welt. Um sie zu loben, zu rügen, vor allem aber: um ihnen Freude zu schenken. Das ganze Jahr über hast du Briefe erhalten, in welchen dir die Kinder ihre sehnlichsten Wünsche aufgeschrieben haben. Mit dem Versprechen, im Gegenzug dafür auch ungeheuer brav zu sein. Ich weiss noch, was ich mir früher immer erhofft hatte: Plüschtiere – in allen Formen und Farben. Und Barbies natürlich. Am liebsten mit einem pinken Haus, einem pinken Auto und einem pinken Hund. Ja, ich war ein richtig typisches Mädchen. Doch darf man das heute überhaupt noch so sagen?
Santiglaus, ich hoffe, du hast dich gut auf deinen Rundgang im 2018 vorbereitet. Denn der Begriff der Stunde heisst «Geschlechtsneutrale Erziehung». Man erzieht dabei sein Kind ohne geschlechtliche Attribute, d.h. nicht klar als Mädchen oder Jungen, und möchte sich von den Bezeichnungen «er» und «sie» ebenfalls distanzieren. Auch stereotypische Kleidung ist ein No-Go. Bring also an deinem Besuch im Kindergarten ja keine roten und blauen Schoggiherzen für die Mädchen und Jungen mit – das ist definitiv nicht gender-neutral. Auch in deiner Begrüssungsrede würde ich sparsam mit Geschlechter-Bezeichnungen umgehen, nicht dass dir noch Diskriminierung vorgeworfen wird. Am besten hältst du dich kurz und verteilst ein paar Nüsse – so bleibt dir ein Shitstorm auf Twitter à la #santigate erspart.
Bei deinem Besuch in der Grundschule sollte das eigentlich kein Problem sein – dort hören dir wahrscheinlich sowieso nicht so viele Kinder zu. Denn wie beinahe jedes Kind in Alter von neun Jahren, dass mir draussen begegnet, hängen die meisten vermutlich am Handy. Als ich in dem Alter alt war, haben wir uns während der Stunde heimlich Zettelchen zugeschoben und auf dem Pausenplatz zusammen Halli-Hallo gespielt. Heutzutage schicken die Kinder einander im Unterricht Snaps – mal mit Hundeohren, mal mit riesengrossen Kulleraugen – und filmen sich während der Pause für ihren Instagram-Kanal. Sei also vorsichtig, lieber Glaus, wenn du übermorgen die Klassenzimmer betrittst und schau zu, dass deine Hose richtig sitzt. Nicht, dass dein blankes Hinterteil am darauffolgenden Tag auf Facebook landet.
Abends auf dem Weg zu den Kindern nach Hause solltest du dir dann nochmal die passenden Antworten auf eventuelle Fragen von nachhaltig besorgten Eltern durch den Kopf gehen lassen: Nein, das Fliegen deines Schlittens stösst kein CO2 aus, er wird schliesslich von Rentieren gezogen. Auch, dass die Rentiere beim Luftlassen Methan ausstossen, ist bis anhin noch nicht wissenschaftlich erwiesen. Selbstverständlich erhalten deine Tiere auch genügend Auslauf und die Hörner lässt du ihnen ebenfalls. Und ja, deinen Werbe-Deal mit Coca-Cola gedenkst du zu künden, seit du erfahren hast, dass das Unternehmen einer der grössten Umwelt-Sünder der Erde ist. Falls du aber noch nicht weisst, wo Schmutzli eure Kleidung herstellen lässt, würde ich das sicherheitshalber nochmals überprüfen – damit dir am Freitag nicht die Schlagzeile «Kinderhände schaffen Anzug des Santiglaus» in den Online-Medien der Welt entgegenlacht.
Ja, Niggi-Näggi, auch dein Beruf verändert sich über die Zeit – was ja eigentlich ganz normal ist. Doch mal ganz ehrlich: Macht dir dein Job so überhaupt noch Spass? Wenn nicht, habe ich eine gute Nachricht für dich: vielleicht hast du ihn ja bald sowieso nicht mehr. Nicht, weil du zu unsensibel, zu altbacken oder zu umweltschädigend bist. Nein, ganz einfach: Weil du zu menschlich bist. Denn anstatt Menschen an der Kasse zu begegnen, trifft man in den Einkaufsläden immer häufiger auf den Self-Checkout. Anstatt Busse und Züge von Chauffeuren bedienen zu lassen, wird stetig an selbstfahrenden Verkehrsmitteln getüftelt. Und anstatt uns am Kundendienst vom Personal bedienen zu lassen, beschweren wir uns lieber online bei einem Algorithmus. Wer sagt also, dass nicht auch du bald durch eine Maschine ersetzt wirst?
Mein lieber Santiglaus, auch wenn du mich jedes Jahr das Fürchten gelehrt hast, muss ich zugeben: Das wäre eine Schande. Denn auch wenn du vermutlich nicht immer politisch korrekt sein kannst und deine Schwierigkeiten damit haben dürftest, mit den neusten Trends mitzuhalten, bist du für uns alle doch vor allem eines: ein fester Bestandteil von Weihnachten. Deswegen wollte ich dir nach all den Jahren einfach nur mal wieder einen netten Brief schreiben – und mir eigentlich etwas von dir wünschen. Doch ist es mir aufgrund der Gegebenheiten jetzt ein grösseres Anliegen, mir etwas für dich zu wünschen: dass es dich auch in 100 Jahren noch geben mag. Dass du nicht der immer komplizierteren und onlineorientierteren Gesellschaft zum Opfer fällst. Dass auch ich meine Kinder mit dem Santiglaus einmal im Jahr zum Gehorsam bringen kann. Und dass auch sie hinter dir die Türe zu machen dürfen – erleichtert und zugleich voller Freude über dein Geschenk.
Festliche Grüsse und toi, toi, toi!
Deine Danielle
Danielle Müller studierte Journalismus und Unternehmenskommunikation in Berlin und schnuppert nun bei Greenpeace rein. Die 27-Jährige Baslerin ist stets im Sattel ihres Rennvelos anzutreffen und sagt nie Nein zu einer guten Umwelt-Doku auf Netflix.