Mit dem Klimawandel verändern sich Temperatur und Niederschläge Trockenheit, Hochwasser und Hangrutsche nehmen zu, Pflanzen entwickeln sich anders. Um die Veränderungen zu verstehen und sich den neuen Bedingungen anpassen zu können, braucht es Menschen und ihre Beobachtungen. Drei Beispiele, wie die zivilgesellschaftliche Beteiligung in der Wissenschaft und bei der Anpassung an den Klimawandel funktionieren kann.
Von den Hunderten Bäumen und Sträuchern, an denen Brigitte Heiz auf ihrem Weg zur Arbeit mit dem Velo vorbeiflitzt, hat sie in den letzten Monaten vier ausgewählt: einen Hasel, eine Rosskastanie und zwei Birken. Der hochgewachsene Hasel steht auf privatem Grund, seine Äste beugen sich zum Trottoir hin. Die Rosskastanie bildet direkt an der Strasse mit anderen ihrer Art eine schattenspendende Allee und die beiden Birken befinden sich auf dem Weg zum Basler Zoo in einem Wohngebiet.
Dreimal die Woche fährt Brigitte Heiz zur Arbeit an die Universität Basel, wo sie im archäologischen Institut arbeitet. Neuerdings hält sie dabei mehrmals inne und schaut nach oben. Ja, auch im Winter, sagt sie: «Dann ruhen zwar die meisten Bäume und Sträucher. Beim Hasel kann es aber sein, dass er bereits mitten in der kalten Jahreszeit zu blühen beginnt, wenn die Temperaturen mild sind. Diesen Winter schaute ich schon im Dezember, ob es ‹Kätzchen› hat, wie die männlichen Blüten des Hasels heissen.»
Die 51-jährige Baselbieterin füttert mit ihren Beobachtungen den Datenschatz von Phaeno-Net. Das Citizen-Science-Projekt, das von Globe Schweiz, Meteo Schweiz, dem Bundesamt für Umwelt, der ETH und anderen mitgetragen wird, erfasst bei ausgewählten einheimischen Pflanzenarten Wachstum und Entwicklung übers Jahr. Ziel ist es etwa, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Pflanzen hat. Spezielles Vorwissen brauchen die Teilnehmenden nicht – auf der Web- App von PhaenoNet ist alles Notwendige beschrieben und in der Eingabemaske sind Fehler vermeidende Barrieren eingebaut: «Ich kann zum Beispiel beim Hasel nicht im Mai schon ‹Beginn der Blattverfärbung› eingeben, da kommt sofort die Fehlermeldung, dass das ausserhalb des langjährigen Mittels liegt.»
Fehlermeldung: Klimawandel?
Von der Fehlermeldung in der Theorie bis zu jener in der Praxis vergehen keine 20 Minuten. Wir stehen vor Birkir 2, wie Brigitte Heiz eine ihrer Beobachtungsbirken nennt. Sie zeigt mit dem Finger in die Höhe auf länglich-schmale Früchte und sagt: «Bei genauer Betrachtung sieht man, dass die Früchte schon recht dick sind und einige sogar anfangen, braun zu werden.» Sie will in der App «Beginn der Fruchtreife» eingeben, was der nächsten anstehenden Phase entsprechen würde, aber da kommt die Fehlermeldung, das jetzige Datum liege ausserhalb des langjährigen Mittels für diese Phase, die vom 19. 7. bis zum 27. 9. dauere. Es ist genau ein Monat früher, der 20. Juni. Die Biologin steht vor einem Rätsel. Sie meldet ihre ungewöhnliche Beobachtung und hofft auf baldige Rückmeldung.
Der Klimawandel beschäftigt Brigitte Heiz. Er ist mit ein Grund für ihre freiwilligen Beobachtungen: «Ich leiste einen Beitrag an die Forschung. Es kostet mich ja nichts. Ich nehme die Jahreszeiten bewusster wahr und lerne die Pflanzen in all ihren Stadien besser kennen.» Freiwillige und Forschung profitieren gleichermassen, ist die Baselbieterin, die selber Kurse in Feldbiologie anbietet, überzeugt: «Regelmässiges Beobachten schult das Auge des Betrachters. Und das mehrjährige Dranbleiben vieler Menschen ist eine grosse Chance.» Ein Blick in ihre Augen lässt vermuten: Sie und «ihre» Beobachtungsbäume sind eine wachsende Familie.
Esther Banz ist freischaffende Journalistin und Redaktorin in Zürich. Sie vagabundiert für ihre Geschichten gerne bodennah durchs Land.
Isabel Truniger arbeitet als selbstständige Fotografin für diverse Magazine und Auftraggeber. Nebenbei beschäftigt sie sich mit ihrer zweiten Leidenschaft – der Pflanzenwelt – und arbeitet als Gärtnerin.
Setze auch du dich für den Klimaschutz ein unter www.greenpeace.ch/act/gletscher/