Wer Menschen mobilisieren will, spricht in erster Linie die Emotionen, Wut und Angst an. So gehen politische Umweltorganisationen und Aktivisten vor, z.B. in ihren Mobilisierungen gegen AKWs, die Klimaerwärmung oder gegen die Trump-Inverkehrsetzung. Das funktioniert recht gut. Nachhaltig sind Mobilisierungen indes meist nicht; sie können eher schlecht als recht in langfristiges Engagement umgemünzt werden.
Eine Kolumne von Kuno Rotth
Dass sich nur eine kleine Minderheit langfristig gesellschaftlich engagiert, könnte darin begründet sein, dass mit Protestaktivitäten einseitig negative Gefühle angesprochen werden. Das mobilisiert zwar auf der rechten Seite den Wutbürger und auf der linken die Aktivistin, schliesst aber jene potenziell Engagierten aus, bei denen mehr Saiten zum Klingen gebracht werden müssten. Denn die meisten Menschen wollen bei einem langfristigen Engagement vor allem positive Emotionen erleben. Sie setzen sich also dann gerne und verbindlich für eine Sache ein, wenn sich Freude mit Inhalt trifft. Und können sie etwas aktiv mitgestalten, steigt ihre Bereitschaft, viel zu leisten. Der Erfolg, gemeinsam konkrete Schritte zu erreichen, ist der Treibstoff fürs Engagement. Das ist z.B. ansatzweise in den zahlreich aufkommenden Öko-Siedlungen zu erkennen. Hier engagieren sich viele Menschen übers Einfamilienhaus hinaus: Im (nicht zu) Kleinen die Welt gestalten und leben, die man sich im Grossen wünscht, ist eine wichtige Grundlage für weiteres Engagement.
Lernen beim Engagement ist der Schlüssel
Wie also können Organisationen mehr Menschen zum Engagement begleiten bzw. führen? Zur Beantwortung dieser – für alle NGOs zentralen – Frage bietet die Motivforschung* Hilfestellung. Nach ihr gibt es vier Kraftquellen des Handelns, nämlich die Motive «Beziehung», «Freiheit», «Macht» und «Leistung». Sie sind alle in jedem Menschen angelegt, freilich verschieden stark ausgeprägt. Bei Freiwilligen dominiert oft das Motiv «Beziehung», das danach trachtet, Beziehungswärme durch Kooperation zu gewinnen. Das Motiv «Freiheit» sucht nach Gestaltungsmöglichkeiten. Das Machtmotiv zeigt sich im Willen, sich gegen Gesellschaftsmitglieder durchzusetzen, die andere Werte vertreten. Das Motiv «Leistung» schliesslich wird durch die Emotionen Freude und Interesse angefacht. Und sich selber entwickeln zu wollen – der Lerntrieb –, ist Teil dieses Leistungsmotivs. Er ist ein starker Antreiber und der Schlüssel zum Engagement.
Wie könnte oder gar müsste, so stellt sich die Frage, Kampagnenarbeit verändert werden, damit diese Grundmotive vermehrt zur Resonanz kommen? Einige Überlegungen:
Das Beziehungsmotiv ist das grundlegende Motiv für partizipative Kampagnen («open campaigns»). Es bedeutet einerseits, zusammen mit anderen Projekte umsetzen zu wollen. Andererseits aber auch, dass Engagierte als Menschen und nicht als Werkzeuge gesehen werden möchten. Solches (zu) instrumentelles Denken könnte ein Grundübel vieler Campaigning-Organisationen sein: Sie mobilisieren potenziell Engagierte für eine kurzfristige Sache, welche sie zwar schon interessiert, doch meist etwas weniger als die/den Campaigner/in.
Und vor allem berücksichtigen solche Mobilisierungswünsche die Gesamtmotivlage der zu Mobilisierenden zu wenig bzw. sie richten sich an einer kleinen Minderheit aus. Zwar ist es nachvollziehbar, möglichst viele Ressourcen zur Durchsetzung einer Forderung mobilisieren zu wollen – und Freiwillige sind eine (wertvolle) Ressource. Das ist aber zum einen oft nur kurzfristig gedacht. Und zum anderen geht man dabei von der falschen Annahme aus, dass eine Motivation geimpft werden könne – erkennbar etwa an der Floskel «wir müssen sie motivieren». Doch die Motive sind im Menschen bereits angelegt und sind die Motoren seines Handelns. Die Floskel wäre also eher umzudrehen: Wir müssen uns motivieren, Angebote partizipativ zu entwickeln.**
Damit sich neue, auf Partizipation beruhende Engagement-Arten entfalten können, brauchen Organisationen ein solides Grundangebot für Freiwillige. Mit diesem bringen sie Ähnlich-Gesinnte zusammen. Um sie zusammen zu halten, braucht es eine wertschätzende Kommunikation und eine demokratisierte Beziehung. Engagement heisst im Grunde, positive Emotionen zu leben und zu lernen: Freude und Mitmenschlichkeit sind der Boden für neue Fühl-, Denk- und Verhaltensweisen, d.h. die emotionalen Grundlagen des Lebens und damit des Engagements.
Quellen: Julius Kuhl u. Alexandra Strehlau, «Handlungspsychologische Grundlagen des Coaching»; Luc Ciompi, «Die emotionalen Grundlagen des Denkens»; Joachim Bauer, «Prinzip Menschlichkeit – warum wir von Natur aus kooperieren». Empfehlenswert auch: Daniel Kahneman: «Schnelles Denken, langsames Denken» (schnelles Denken entspräche dem Mobilisierungseffekt), langsames Denken dem langfristigen Engagement).
** Vorsicht ist allerdings geboten, denn es gibt Engagierte, die eine Organisation zur Befriedigung ihres Machtmotivs instrumentalisieren wollen. Wer sich institutionell engagiert, tut das ja, weil er oder sie sich mit dem Namen der Organisation einen grösseren Einfluss verschaffen will – damit umzugehen, ist für beide Seiten nicht einfach (siehe Kolumne «Freiwilligenarbeit zwischen Freud und Frust»).
Kuno Roth – Dienstältester Mitarbeiter von Greenpeace in der Schweiz – schreibt in seinen Kolumnen manchmal unverblümt, manchmal humoristisch, manchmal gar satirisch, und immer solidarisch-kritisch über das Umfeld und Randerscheinungen der Ökobewegung aus (noch) unkonventioneller Sicht, die naheliegend und überraschend zugleich ist.