Wir haben mit Menschen gesprochen, die sich für die Umwelt engagieren, gerade weil sie sich der enormen Herausforderungen bewusst sind, vor denen unsere Gesellschaften stehen. Ihre Motive und Methoden unterscheiden sich. Aber allen sind zwei Dinge gemein: Sie leben den Wandel, den sie in der Welt sehen wollen. Und sie inspirieren dadurch andere, es ihnen gleichzutun. Heidi Portmann ist eine von ihnen.
Heidi Portmann, Anti-AKW Aktivistin: «Goppeloni, das darf doch nicht wahr sein!»
Heidi Portmanns Reich ist ein verwunschenes Einfamilienhaus in Arlesheim, eine Viertelstunde mit dem Tram von Basel entfernt. Das Haus ist dicht mit alten Reben bewachsen und von einem wilden Garten mit Kaninchengehege umgeben. Im Wohnzimmer des Kleinods gibt die 77-jährige Aktivistin seit über 30 Jahren ihre Anti-AKW-Zeitung «EnergieExpress» heraus. Für ihren unermüdlichen Einsatz wurde sie im September 2017 zusammen mit 26 weiteren Schweizer Anti-AKW-Aktivistinnen und -Aktivisten mit dem internationalen Nuclear-Free Future Award ausgezeichnet.
Portmanns Wohnzimmer ist auch das Büro ihres Verlags: Auf einem hölzernen Esstisch liegen zwei Laptops, daneben stapeln sich Zeitungsausschnitte und Magazine. Am Boden neben dem Cheminee sind Ordner aufgereiht und in einer Ecke steht ein Drucker. Abgesehen von den Bildern ihrer Enkelkinder und der Pflegetochter aus Jamaika, die bis vor kurzem hier gelebt hat, könnte man sich ebenso gut im WG-Büro eines Start-ups befinden. Die Umgebung reflektiert Portmanns jungen Geist. Ihre strahlenden Augen leuchten aus einem freundlichen Gesicht mit sanften Zügen. Ihr blond-weisses Haar ist bubenhaft geschnitten und sie trägt Blue Jeans. «Atom-Heidi» wurde sie von Kollegen im Landrat oft genannt – vor allem von denjenigen, denen sie mit ihren Vorstössen für Umweltanliegen und nachhaltige Energie regelmässig Sand ins Getriebe schüttete.
Kaiseraugst als Initialzündung
Als Portmann nach Stationen in Kalifornien und Bern Ende der 70er-Jahre nach Arlesheim zog, hatte sich dort bereits eine Gruppe aktiver AKW-Gegnerinnen geformt. Portmann liess sich von ihrem Mann, einem Chemiker, erklären, was es mit der Spaltung von Uranium und Plutonium, dem dabei freigesetzten Prozess und den dabei anfallenden Abfällen auf sich hat. Sie war empört. Noch immer kämpften Aktivisten und Aktivistinnen gegen das geplante Kernkraftwerk Kaiseraugst. Dies nachdem 15`000 Demonstrierende das Baugelände im April 1975 während elf Wochen besetzt hatten. Portmann schloss sich der bis heute existierenden Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst (GAK) an. «Nach den Demonstrationen fragten wir uns: Was können wir nun gegen Kaiseraugst und all die weiter geplanten AKWs tun?» Eine gut informierte Bevölkerung sei die Basis für den Widerstand, kam man überein. Also gründete die GAK eine Zeitung. Über sieben Ecken gelangte Portmann an eine Druckerei, die sich kurzerhand bereit erklärte, unentgeltlich ein Informationsblatt an sämtliche Haushalte des Kantons zu verschicken, um künftige Abonnenten anzuwerben. Es sollte die einzige Werbeaktion des «EnergieExpress» bleiben. Das Informationsblatt wurde Mitte Mai 1986 verschickt – nur wenige Tage nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Auf einen Schlag stieg das Interesse an den Risiken der Nuklearenergie exponentiell. Der Versand wurde auf weitere Kantone ausgedehnt und innert weniger Monate hatte der neu gegründete «EnergieExpress» 18 000 Abonnenten und Abonnentinnen in der ganzen Schweiz.
«Wir wollten zuerst einen professionellen Journalisten mit der Zeitung beauftragen», erinnert sich Portmann. «Doch wir merkten bald, dass wir uns das gar nicht leisten konnten.» Sie sprang in die Bresche und wurde zur Do-it-yourself-Verlegerin. Dafür holte sie sich Rat in ihrem Umfeld, begann zu recherchieren, schrieb Artikel und fand schliesslich doch noch Unterstützung von einem interessierten Journalisten. Zweimal reiste sie nach Tschernobyl, um sich vor Ort ein Bild von der Zerstörung zu machen und darüber zu schreiben. Sie besuchte die Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague und Sellafield sowie die Uranmine Key Lake in Kanada – alles auf eigene Kosten. «Goppeloni, dachte ich jedes Mal, das darf doch nicht wahr sein!» Jeder Besuch steigerte ihre Empörung über die Gefahren der Kernenergie und die Unbekümmertheit der Betreiber und der Politik. Neben der Zeitung politisierte sie im Landrat für die SP und versuchte dort ihre Kollegen und Kolleginnen für die Gefahren der Kernenergie und für mehr Umweltschutz zu sensibilisieren.
Nachtschichten für Adressaufkleber
116 Ausgaben des «EnergieExpress» sind bis heute erschienen. In ihrem fortgeschrittenen Alter sieht Portmann nach wie vor keinen Grund, damit aufzuhören. Sie publiziert immer noch vier Ausgaben pro Jahr, für welche die Mitglieder zehn Franken bezahlen. Das reicht für den Druck, den Versand und etwas Lobbyarbeit der GAK. Auf der Suche nach neuen Geschichten liest Portmann täglich eine Stunde lang den «Tages-Anzeiger», sie schaut sich regelmässig auf 15 AKW-kritischen Webseiten um, liest Studien der Schweizerischen Energie-Stiftung und Magazine von Energieunternehmen. Sie koordiniert ehrenamtliche Journalisten, organisiert das Lektorat und setzt die Texte auf ihrem weissen MacBook ins Layout.
Zu Beginn arbeitete sie zwei Wochen pro Monat ausschliesslich für die Zeitung, erzählt sie. Damals druckte sie die 16 000 Adressaufkleber für die Couverts noch im Keller – Papierstaus mitten in der Nacht inklusive. Heute ist der Zeitaufwand etwas geringer, der Technik sei Dank. Zudem ist das Team eingespielt und die Anzahl Seiten wurde kürzlich von acht auf vier reduziert. «Die meisten Leserinnen haben das nicht einmal gemerkt», erzählt Portmann ohne Groll. Beschleichen sie nicht manchmal Zweifel, ob ihre Artikel überhaupt gelesen werden und ihre Arbeit von der Leserschaft geschätzt wird? Portmann winkt ab. «Ich komme ja auch nicht dazu, alles zu lesen. Und auch wenn die Empfänger unsere Zeitung nur aus Überzeugung finanziell unterstützen, stimmt das für mich.» Auch dass die Leserschaft mittlerweile auf 8000 geschrumpft ist, weil ältere Abonnenten sterben und keine neuen dazukommen, trübt Portmanns Motivation nicht. «Wissen Sie, die Zeitung ist wichtig. Aber das Schönste ist, Menschen um sich herum zu haben, die einen unterstützen, weil sie dasselbe wollen und weil sie einen Sinn in dem sehen, was ich tue.» Auch wenn die Bevölkerung heute besser informiert sei, Aufklärungsarbeit tue weiterhin Not: «Beznau muss sofort vom Netz. Weltweit kommt es nach wie vor regelmässig zu AKW-Störfällen. Und die Energiewende muss nun konsequent vorangetrieben werden.» Dafür wird die 77-jährige Aktivistin in ihrem Verleger-Wohnzimmer in Arlesheim auch weiterhin in die Tasten greifen.
In der nächsten Folge der Walk the Talk! Serie erwartet Sie ein Porträt von Martinez Xiuhtezcatl, einem 17-jährigen Azteken, der gegen die US-Regierung klagt.