Natalia Greene kämpft seit vielen Jahren für die Umwelt und die indigene Bevölkerung im Amazonasbecken von Ecuador. Aufgrund ihres Engagements wird sie von der Regierung immer wieder schikaniert. Diese treibt den Fortschritt des Landes durch die Ausbeutung des Regenwalds voran, auch wenn Ecuadors Verfassung der Natur eigene Rechte zugesteht.
Natalia Greene, Sie kämpfen seit vielen Jahren für ökologische und soziale Gerechtigkeit in Ecuador und haben sich vor allem als Gegnerin der Erdölförderung im Amazonasbecken einen Namen gemacht. Können Sie uns die aktuelle Lage in Ecuador schildern?
Seit vielen Jahren regiert das Erdöl unser Land, weil wir uns davon abhängig gemacht haben. Über 50 Prozent der Exporte Ecuadors gehen auf Erdöl zurück. Die Kontrolle über die Erdölförderung liegt seit 2007 in den Händen einer sozialistischen Regierung. Erdölunternehmen, darunter die staatlichen Firmen Petroamazonas und Petroecuador, haben in unserem Land mehr Rechte als das Volk. Das ist nur möglich, weil die Gerichte mit der Regierung gleichgeschaltet sind und die Erdölgesellschaften vom Militär geschützt werden. Viele indigene Gruppen im Amazonasbecken, wo die grössten Erdölvorkommen in unserem Land liegen, wehren sich gegen die Förderung und die Umweltzerstörung in ihrem Territorium. Sie werden deshalb von der Regierung kriminalisiert – wie auch Umweltaktivisten, welche die Indigenen in ihrem Kampf unterstützen.
Die Menschen im Amazonasbecken haben schlechte Erfahrungen mit der Erdölindustrie gemacht. In den 70er- und 80er-Jahren verursachte das amerikanische Unternehmen Texaco, heute ein Teil von Chevron, in der Provinz Sucumbíos eine der grössten Umweltkatastrophen Südamerikas (siehe Kasten). Seit die Erdölförderung in der Hand des Staates liegt, heisst es, dass nur neuste Technologien zum Einsatz kommen, die den Regenwald schonen. Was halten Sie davon?
Wir zählen bis heute durchschnittlich ein Erdölleck pro Woche. Und das sind nur die Fälle, die öffentlich gemacht werden. Es gab Verbesserungen, aber eine saubere Erdölförderung bleibt eine Illusion. Zudem kommt die Zerstörung des Regenwalds nicht allein durch die Fördertechnik zustande.Um die Förderplattformen zu erreic hen, werden Strassen durch den Wald gebaut. Sie sind ökologisch oft noch verheerender als die Ölförderung, denn sie schaffen biologische Inseln ohne Verbindungskorridore. Den Erdölarbeitern folgen immer auch illegale Jäger und Siedler, die Wald für die Viehhaltung oder zum Anbau von Palmöl roden. Sie machen den indigenen Gruppen ihr traditionelles Territorium streitig, was zu Konflikten führt.
2008 erhielt die neue sozialistische Regierung von Raphael Correa von Linken und Umweltschützern aus dem Ausland viel Zuspruch, weil sie die Rechte der Natur in der Verfassung Ecuadors verankerte. Insofern erstaunt es, dass diese Regierung die auf Erdöl basierende Wirtschaft über das Wohl der Menschen und der Umwelt stellt.
Ich habe 2008 selbst bei den Konsultationen für die neue Verfassung mitgearbeitet. Als sie verabschiedet wurde, waren wir voller Hoffnung und unterstützten die Regierung Correa. Wir sind eines der artenreichsten Länder der Welt. Das verpflichtet und wir dachten, die Regierung kommt dieser Verantwortung mit der neuen Verfassung nach. Diese ist stark vom Konzept des «buen vivir» beeinflusst, eines Zusammenlebens in Vielfalt und Harmonie mit der Natur, das viele indigene Gruppen prägt. Die Verfassung legt fest, dass die Mutter Erde ein Existenzrecht hat und vor Gericht nicht als Objekt, sondern als eigenes Subjekt gilt. Zum Beispiel müssten Infrastrukturprojekte so umgesetzt werden, dass sie den kleinstmöglichen Einfluss auf die Natur haben und sie sich aus eigener Kraft von den Eingriffen erholen kann.
Wird dieses Recht auch geltend gemacht?
Nein, der Präsident hat sich nie dafür starkgemacht. Die reale Politik der Regierung steht in vielen Punkten im Widerspruch zur Verfassung.
Wie hat sich die Situation für Umweltschutzorganisationen und Aktivisten in Ecuador in den letzten Jahren entwickelt?
Unter Raphael Correa wurde es für ausländische Hilfsorganisationen extrem schwierig in Ecuador. USAID hat das Land verlassen, weil keine neuen Programme bewilligt wurden. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit wurde fast aus dem Land geworfen, ihre Mitarbeiter dürfen sich nicht mehr mit Vertretern der Zivilgesellschaft treffen. Kleine, lokale NGOs und zivilgesellschaftliche Gruppen verloren ihre Unterstützung und hatten kein Geld für Aktionen mehr. Manche lokale Gruppen, darunter die Fundación Pachamama, für die ich jahrelang aktiv war, wurden von der Regierung verfolgt und schliesslich geschlossen. Auch die landesweit bekannte und wichtige Acción Ecológica geriet letztes Jahr stark unter Druck von der Regierung.
Wurden Sie wegen ihrer Arbeit als Aktivistin auch persönlich bedroht?
Ich bin seit 2013 Mitglied von Yasunidos. Die Gruppe engagierte sich für die ITT-Yasuni-Initiative zum Schutz des Yasuni-Nationalparks; das ist ein Unesco-Biosphärenreservat und einer der artenreichsten Orte der Welt. Die Regierung will dort gemeinsam mit chinesischen Investoren Erdöl fördern.
Unter Correa wurden wir zu Staatsfeinden. Er warf uns vor, wir wollten den Fortschritt Ecuadors aufhalten. In seiner wöchentlichen Fernsehansprache diffamierte der Präsident öffentlich AktivistInnen, darunter auch mich. Einige wurden gezielt verfolgt und mit bürokratischen Schikanen zermürbt. So musste ich zum Beispiel eine Steuerprüfung der vergangenen drei Jahre über mich ergehen lassen. Das ist sehr ungewöhnlich für natürliche Personen und ich bin überzeugt, dass es mit meinen politischen Aktivitäten zu tun hat.
Sie haben Yasunidos erwähnt, eines der grössten zivilgesellschaftlichen Netzwerke von Ecuador, das sich vor allem aus jungen Menschen zusammensetzt, die für den Erhalt des Regenwalds kämpfen. Welche Erfolge konnten die Yasunidos bisher verbuchen?
Wir konnten 2014 in ehrenamtlicher Arbeit über 800 000 Stimmen sammeln für ein Referendum gegen die Erdölförderung im Yasuni-Nationalpark. Befragungen hatten ergeben, dass über 80 Prozent der Bevölkerung sie ablehnten. Doch die Regierung hat nach Gründen gesucht, um das Referendum zu verhindern. Auf einmal war das Papier zu dünn, das wir für die Unterschriftensammlung nutzten, oder die Farbe der verwendeten Stifte war nicht zulässig. Doch auch wenn die Abstimmung nie stattfand, war die Kampagne dennoch ein Erfolg.
Weshalb?
Wir haben es mit der ITT-Yasuni-Initiative geschafft, das Thema Umwelt auf die politische Tagesordnung zu bringen. Plötzlich haben Familien beim Nachtessen über die ökologischen Konsequenzen der Erdölförderung diskutiert. Das gab es zuvor nicht. Und Politiker mussten nun öffentlich zum Thema Umwelt Stellung beziehen.
Gibt es Ihrer Meinung nach ein Erfolgsrezept, um junge Menschen für Umweltthemen zu mobilisieren?
Ich glaube, viele junge Menschen interessieren sich für Umweltthemen und machen sich Sorgen um unseren Planeten. Sie fragen sich, was sie selbst tun können, um die Situation zu verbessern. Wenn wir ihnen Möglichkeiten bieten, sich konkret dafür zu engagieren, ist das ein Rezept von vielen.
Sehen Sie heute Alternativen zu Ecuadors Abhängigkeit vom Erdöl? Irgendwo müssen die Leute ja arbeiten und der Staat braucht Geld für Bildung, Sozialprogramme und Infrastruktur.
Die Erdölindustrie schafft vor allem qualifizierte Jobs für Auswärtige und einige wenige unqualifizierte für die Menschen vor Ort. Ich sehe Alternativen in der Agrarökologie, in erneuerbaren Energien und im Ökotourismus. Eine kürzlich publizierte Studie hat gezeigt, dass der Tourismus, wenn er an die Umwelt und die Kultur angepasst ist, zu einer wichtigen Einkommensquelle im Amazonasgebiet werden könnte. Der Tourismus könnte neue und vielfältigere Arbeitsmöglichkeiten schaffen und zugleich Konservierungsprojekte für den Regenwald finanzieren. Aber solche Alternativen haben keine Chance, solange der gesamte Staatsapparat darauf aus ist, fossile Ressourcen zu fördern. Niemand will Urlaub in einem Erdölfördergebiet oder in der Nähe einer Kupfermine machen.
Sie haben bei den vergangenen Wahlen im April erstmals nicht für die Linke, sondern für die Opposition und den neoliberalen Ex-Banker Guillermo Lasso gestimmt. Eine Verzweiflungstat?
Zumindest versprach Lasso eine Alternative zur Politik der vergangenen zehn Jahre. Correa wurde schon kurz nach seiner Wahl 2007 zunehmend autokratisch und seine Regierung trug am Ende sogar Züge der Rechten. Ich war es leid, dass unsere Bürgerrechte missachtet und die Zivilgesellschaft sowie die Indigenen vom politischen Prozess ausgeschlossen werden.
Schliesslich gewann Lenin Moreno, der Nachfolger von Raphael Correa. Wie hat sich die Situation für AktivistInnen in Ecuador seither verändert?
Es gibt etwas Hoffnung: Der neue Präsident hat einige Aktivisten begnadigt, die kriminalisiert worden waren. Und bei Yasunidos erreichte uns kürzlich eine offizielle Einladung vom Umweltministerium zum Dialog. Das war das erste Mal seit zehn Jahren, dass wir mit unserem natürlichen Partner in der Regierung zusammensassen und diskutierten. Früher waren wir offiziell verbannt. Leider gilt das für befreundete Organisationen noch immer.
Sehen Sie auch Anzeichen für eine neue Politik zugunsten des Amazonasbeckens und der dort lebenden Menschen?
Nein. Das Umweltministerium hat betont, dass mit der neuen Regierung ein Wechsel der Administration, aber nicht der Politik zu erwarten ist. Der heutige Weg, die Entwicklung Ecuadors durch Ausbeutung und Ressourcenförderung im Amazonasgebiet, geht weiter. Die Spannungen zwischen der Zivilgesellschaft und der Regierung bestehen weiter. Aber zumindest gibt es etwas Raum für einen Dialog.
Natalia Greene ist Aktivistin und Politologin mit dem Schwerpunkt Klimawandel an der Universidad Andina Simón Bolívar. Sie war Beraterin für die Global Alliance for the Rights of Nature und Mitglied der mittlerweile verbotenen Fundación Pachamama. Heute ist sie Präsidentin der Coordinadora Ecuatoriana de Organizaciones para la Defensa de la Naturaleza y el Medio Ambiente (CEDENMA) und Teil der Jugendbewegung Yasunidos.
Chevrons hässliches Erbe in Ecuador
Laut einem Urteil des ecuadorianischen Obergerichts hat Texaco (heute Chevron) 68 Milliarden Liter Förderabfälle, darunter Rohöl und verschmutztes Wasser, in den Regenwald und die Flüsse um den Lago Agrio im Amazonasbecken Ecuadors gekippt. Mehrere medizinische Studien belegen eine Zunahme von Krebs und Geburtsfehlern in den Gemeinden nahe der Förderstellen. Viele Flüsse und Grundwasserbecken sind bis heute mit Chemikalien belastet und die Böden bleiben unfruchtbar. Chevron wurde 2011 von einem ecuadorianischen Gericht zu 9,5 Milliarden US-Dollar Schadenersatz verklagt, wehrt sich jedoch bis heute mit einem Heer von Anwälten und PR-Beratern gegen sämtliche Anschuldigungen. Im Juli 2016 gelang es Chevron sogar, den Spiess umzudrehen: Der ecuadorianische Staat bezahlte dem Unternehmen 112 Millionen US-Dollar für entgangene Geschäfte. Diese Massnahme sollte das Vertrauen von ausländischen Investoren zurückgewinnen, erklärten Experten.