Wie soll man die Welt verändern, ohne sich selbst auf einen Wandel einzulassen? Darum geht es im neuen Atelier für innere Transition, das unter der Leitung von Michel Maxime Egger besteht, wie der Soziologe und Ökotheologe im Interview erzählt.

Das Laboratorium ist bei der Entwicklungsorganisation Brot für alle angesiedelt, die sich im Norden wie im Süden für neue landwirtschaftliche und ökonomische Modelle engagiert.

Warum haben Sie ein solches Atelier initiiert?

Die Menschheit steht an einem Scheidepunkt ihrer Geschichte. Das vorherrschende Wirtschaftssystem ist auf Wachstum, Produktion und Konsum ausgerichtet. Es gründet auf einem unbegrenzten materiellen und energetischen Zuwachs. Diese Illusion führt uns jedoch in eine Sackgasse, denn sie stösst an die Grenzen der Erde wie auch der Menschen. Wir stehen vor einer massiven systemischen Umwälzung, die auch die Gefahr des Zusammenbruchs in sich trägt. Es genügt einfach nicht mehr, das System zu reformieren, indem soziale und ökologische Dimensionen besser berücksichtigt werden, wie es das Konzept der nachhaltigen Entwicklung vorsieht. Wir müssen weiterdenken und einen tiefgreifenden Wandel einleiten, also einen wirklichen Paradigmenwechsel anstreben.

Um welche Art Wandel geht es hier?

Die Transition hat eine äussere Dimension, die weltweit in vielen Alternativen zum Ausdruck kommt, wie es der Film «Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen» (2015) sehr schön aufzeigt. Insbesondere in den Bereichen Energie, Bildung, Wohnen, Urbane Landwirtschaft, alternative Währungen, Ökoquartiere oder Städte im Wandel. Die Transition hat aber auch eine innere Dimension. Der Landwirt, Schriftsteller und Philosoph Pierre Rabhi sagt: Alle diese Initiativen sind zwar notwendig, aber wenn der Mensch sich nicht ändert, sind sie zum Scheitern verurteilt.

Wie zeigt sich diese innere Transition?

Sie beginnt mit einer radikalen Infragestellung, die die Probleme an der Wurzel angeht. Wir können weniger konsumieren, biologisch und fair einkaufen, eher mit ÖV fahren und Abfälle kompostieren. Die Erfahrung zeigt aber, dass diese ökologischen Massnahmen erst dann wirklich Sinn machen und nachhaltig werden, wenn sie im Sein verwurzelt sind. Die Konsumgesellschaft stellt die Frage nach der Erfüllung des Menschen. Was machen wir mit der Kraft unseres Begehrens? Streben wir danach, diese Kraft zu befreien, angesichts all der Marktmechanismen, die sie beanspruchen und instrumentalisieren?

Umweltschutz reicht also nicht?

Es geht um viel mehr als um den reinen Umweltschutz. Es muss eine «mutige kulturelle Revolution» geschehen, wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si’ schreibt.

Wie kommt es, dass Brot für alle sich auf diesen Weg begibt?

Brot für alle gehört zu den grossen Entwicklungsorganisationen der Schweiz und entstammt den evangelischen Kirchen. Wir engagieren uns im Norden wie im Süden für einen Wandel hin zu neuen Formen der Wirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion. Nebst Sensibilisierungskampagnen leistet Brot für alle auch politische Lobbyarbeit und hat beispielsweise massgeblich zur Lancierung der Konzernverantwortungsinitiative beigetragen. Zusammen mit Fastenopfer führen wir jedes Jahr in den Wochen vor Ostern eine Sensibilisierungskampagne zu Nord-Süd-Themen und zu verantwortungsbewusstem Lebensstil durch. Und wir sind überzeugt, dass es einen radikalen Systemwechsel braucht. Unser Ziel ist es nicht, den bestehenden Projekten zu alternativer Energie oder Urbaner Landwirtschaft noch weitere hinzuzufügen. Was wir wollen, ist den Fokus auf die innere Dimension des Wandels legen, im Verbindung mit den spirituellen Wurzeln von Brot für alle.

Was ist der Sinn des von ihnen initiierten Atelier?

Das Atelier soll eine Verbindung schaffen zwischen der Veränderung der äusseren und der inneren Welt. Wir fördern eine neue Art des Engagements, einen meditierenden Aktivismus. Das Atelier steht an der Schnittstelle zwischen zwei Welten, zwischen den kirchlichen Kreisen mit der Ökospiritualität als Eintrittstor, und der Zivilgesellschaft mit Schwerpunkt auf Ökopsychologie. Die Ökospiritualität bezieht sich explizit auf Transzendenz, auf ein göttliches Mysterium, während die Ökopsychologie die Zusammenhänge zwischen der menschlichen Psyche und der Natur erkundet, wobei nicht unbedingt das Heilige berührt wird. Unser Atelier ist ein Experiment, das es im Moment in dieser Form erst in der Westschweiz gibt.

Sie fördern also Verbindungen zwischen kirchlichen Kreisen und Zivilgesellschaft?

Spiritualität kann als Antrieb für den Wandel wirken. Umgekehrt kann auch die Transition eine spirituelle Erneuerung in kirchlichen Kreisen fördern. Es ist eine gegenseitige Bewegung.

Wie konnten Sie die Gründung des Atelier zustande bringen?

Als erstes war meine Aufgabe, mögliche Personen oder Organisationen ausfindig zu machen, mit denen ein Potential zur Ko-Kreation spürbar war. Bis jetzt habe ich über fünfzig Gespräche geführt, die Hälfte davon in kirchlichen Kreisen und die andere Hälfte mit der Zivilgesellschaft. Die Absicht war, Partnerschaften auf den Weg zu bringen. Es entwickelt sich ein filigranes Netzwerk von Kooperationen mit dem Atelier, mit Menschen, die uns im Herzen und im Geist nahestehen.

Wie gestaltet sich diese Transition konkret?

Wenn wir als Organisation in unserem Engagement für die Transition glaubwürdig sein wollen, so müssen wir auch unser internes Funktionieren grundlegend anpassen. Daher ist Brot für alle auf dem Weg zur Holakratie, einer neuen Form von gemeinsamer Führung, die auf kollektiver Intelligenz basiert. Beispielsweise gibt es bei uns keine Pflichtenhefte mehr. Wir arbeiten jetzt nach Rollen. Dadurch hat jede und jeder mehr Verantwortung.

Was sind die wichtigsten Aktivitäten des Ateliers?

Es gibt mehrere Stossrichtungen. Das Atelier macht Sensibilisierungsarbeit, organisiert Podiumsgespräche, Vorträge und Workshops, beteiligt sich an Anlässen wie dem Forum G21, dem Festival de la Terre oder Alternatiba Léman. Es hat auch eine eigene Facebook-Seite. Bildungsarbeit ist ein weiterer wichtiger Teil meiner Arbeit, damit will das Atelier unsere inneren Ressourcen weiterentwickeln und unsere Vorstellungen in Richtung einer anderen, möglichen Welt öffnen (siehe Grafik „Wir bewegen Menschen – im Norden wir im Süden“). Zum Beispiel «kompostieren» wir weitverbreitete Gefühle wie Entmutigung, Angst und Machtlosigkeit, um damit neue mobilisierende Energien zu schaffen. Daraus sollten Multiplikatorinnen und Multiplikatoren entstehen, also Menschen die die innere Transition weitertragen.

Sie erwähnen auch die CO2-Gespräche. Um was geht es dabei?

Die Methode der CO2-Gespräche stammt aus dem angelsächsischen Raum. Durch die Arbeit der «Artisans de la transition» – ein aus der Zeitschrift La Revue durable entstandener Verein – wird dieser Ansatz zunehmend auch in der Schweiz bekannt: An sechs Abendworkshops, die je zwei Stunden dauern, kombinieren jeweils acht Menschen Fakten, Gruppendiskussionen, Übungen und Spiele. Ziel ist, dass der CO2-Fussabdruck konkret reduziert wird. Die Teilnehmenden konfrontieren sich mit ihren Widersprüchen, ihren verschiedenen Wünschen und ihren inneren Widerständen gegen notwendige Veränderungen. Es werden Gruppenleitende ausgebildet, welche die Bewegung fördern. Eine solche Gruppe wurde im Atelier gegründet.

Sie haben auch einen Think tank ins Leben gerufen. Was ist dessen Rolle?

Dieser Think tank besteht aus dreizehn Personen mit verschiedensten Kompetenzen, manche davon mit universitärer Anbindung, wie Dominique Bourg, Christian Arnsperger oder Sophie Swaton. Wir möchten mit sämtlichen Ideen und laufenden Experimenten auf der Welt in Verbindung stehen. Der Think tank hat seine Tätigkeit eben erst aufgenommen. Ziel ist, der inneren Transition Gehalt zu verleihen.

Kann man denn alles in Worte ausdrücken?

Bei unserer Arbeitsmethode geht es nicht darum, uns intellektuell wie eine Zitrone auszupressen. Wir pflegen eine Gruppendynamik, die alle Dimensionen unseres Seins anspricht, die körperliche, emotionale, intuitive, vielleicht auch die spirituelle Seite. So sollen all jene Bestandteile genährt werden, die sich später in eher mentaler Form äussern können. Dafür braucht es den geschützten Rahmen der Gruppe. Jede und jeder baut mit der Zeit die eigenen Schutzmauern ab.

Letztlich weiss also niemand genau, was aus dem Prozess werden wird?

Wir sind wie Alchemisten, die verschiedene Metalle kombinieren und dem Feuer aussetzen. Jetzt schauen wir, was passiert. Im Licht der Erprobung unserer Lebenserfahrungen werden wir beobachten, was in uns und bei den anderen geschieht. Es ist eine Übung der Einigkeit in der Vielfalt.

Die Fragen stellte Philippe Le Bé.

Michel Maxime Egger ist Soziologe, Ökotheologe und Journalist. Er leitet das «Atelier für innere Transition» bei Brot für alle. Beim Verlag Labor & Fides ist er Co-Leiter der Reihe «Fondations écologiques». Er koordiniert das Netzwerk www.trilogies.org, das den Dialog zwischen spirituellen Traditionen und wichtigen Zeitfragen pflegt. Zu Ökospiritualität und Ökopsychologie sind diverse Essays aus seiner Feder erschienen: «La Terre comme soi-même» (Verlag Labor & Fides, 2012), «Soigner l’esprit, guérir la Terre» (Labor & Fides, 2015), «Ecopsychologie. Retrouver notre lien avec la Terre» (Verlag Jouvence, 2017).