Greenpeace-Co-Geschäftsleiterin Jennifer Morgan über Klimapolitik und weltweite Greenpeace-Aktionen zum Ausstieg aus Kohle und Öl sowie der Förderung von Erneuerbaren Energien.
Greenpeace – 3 Millionen Mitglieder und zwei Frauen an der Spitze. Jennifer Morgan und Bunny McDiarmid machen es vor. Job Sharing im 21. Jahrhundert. Seit einem Jahr leitet die 50 jährige Jennifer Morgan gemeinsam mit Bunny McDiarmid Greenpeace International. Bei einem Besuch bei Greenpeace Schweiz erzählt die Amerikanerin der Sonntags Zeitung von ihrer Zeit im Schweizerischen Solothurn und ihrer Liebe zu Berlin.
«Rumsitzen reicht nicht mehr»
Interview SonntagsZeitung
Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan über Trumps Klimapolitik, Gentechnik und ihre frühe Politisierung in einer Solothurner Gemeinde.
Seit einem Jahr leitet die langjährige Umwelt- und Klimaaktivistin Jennifer Morgan – im Jobsharing – die Umweltorganisation Greenpeace. Die 50-Jährige agiert eher unauffällig, von der Chefin des 400-Millionen-Unternehmens findet man im Netz jedenfalls nicht mal einen Wikipedia-Eintrag. «Oh, das habe ich gar nicht gewusst», sagte die Amerikanerin bei unserem Gespräch am Sitz von Greenpeace Schweiz in Zürich.
Sonntagszeitung: Donald Trump hat vergangene Woche per Dekret die Klimapolitik seines Vorgängers Barack Obama zu einem grossen Teil gekippt. Schon vorher bezeichnete er das weltweite Pariser Klimaabkommen als für die USA nicht verbindlich. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Jennifer Morgan: Sie ist schrecklich. Wir bräuchten einen Präsidenten, der den Klimawandel versteht. Einer, der die Erkenntnisse der Wissenschaft akzeptiert. Jetzt haben wir einen, der den vom Menschen verursachten Klimawandel leugnet. Das heisst aber nicht, dass die USA ein Land von Klimawandel-Leugnern sind.
Es ist nicht nur Trump. Scott Pruitt, der Chef der US-Umweltbehörde EPA, ist ein Mann der Öl- und Gasindustrie. Jetzt wollen die USA die Keystone-Pipeline bauen, um Öl quer durchs Land zu pumpen. Das Budget der EPA soll um 30 Prozent reduziert werden. Das muss Sie doch beunruhigen.
Natürlich beunruhigt mich das. Aber die Trump-Regierung kann nicht von einem Tag auf den anderen alles rückgängig machen. Der Klima-Aktionsplan der Obama-Regierung basiert auf dem sogenannten Clean Air Act, einem Gesetz zur Reinhaltung der Luft. Das gilt seit Nixon. Bürger und Umweltorganisationen können ihn verklagen, wenn er sich nicht an dieses Gesetz hält. Und einzelne Bundesländer wie Kalifornien können selbstständig vorangehen und erneuerbare Energien fördern.
Alles nicht so schlimm also?
Ich will das nicht schönreden, denn die Pläne von Trumps Regierung sind nicht schön. Ganz und gar nicht. Aber schauen Sie sich an, wie Trump in der vorletzten Woche bei der Gesundheitsreform gescheitert ist. Was er sagt und was daraus wird, ist oft nicht dasselbe.
Beim Pariser Abkommen haben sich nach einem jahrzehntelangen Prozess weltweit Regierungen geeinigt, CO2-Emissionen zu reduzieren. Jetzt sagt Trump, das interessiere ihn nicht. Einen Sanktionsmechanismus gibt es nicht. Ist das nicht ein Konstruktionsfehler?
Natürlich wäre es besser gewesen, wenn man mit Sanktionen drohen könnte. Nur hätten dann China, Indien oder die USA nicht mitgemacht. Es gibt aber durchaus denkbare Sanktionsmassnahmen, zum Beispiel einen Strafzoll für Staaten, die sich nicht an die Pariser Verträge halten. Wir sollten uns von Trumps Rhetorik nicht einschüchtern lassen. Ob die USA tatsächlich aus dem Pariser Abkommen aussteigen, ist noch offen.
Der Klimawandel scheint ihn nicht zu interessieren.
Vielleicht versteht er jetzt aber, dass es nicht so einfach ist, da auszusteigen. Das Pariser Abkommen ist nicht einfach ein Umweltvertrag. Es ist Teil einer Aussenpolitik, die auf höchster Ebene von den Regierungschefs vorangebracht wurde.
Viele Menschen in der Schweiz machen sich laut einer neuen Studie heute weniger Sorgen um Klimaerwärmung und Umweltschutz als auch schon. Ist das ein Problem für Sie?
Es gibt auch andere Umfragen – zum Beispiel diejenige der Yale University, nach der sich eine grosse Mehrheit der Amerikaner für den Klimaschutz einsetzt. Ich denke, die Menschen spüren nicht immer, wie dringlich das Problem ist. In den USA hat sich einiges verändert, weil die Menschen die Auswirkungen gespürt haben: die Überschwemmungen in Florida, die Dürre in Kalifornien, die für die Landwirtschaft verheerend war.
Spüren Sie in den USA, dass die Leute sich mehr engagieren?
Ja, die Mitgliederzahlen von Greenpeace und anderen Umweltorganisationen sind gestiegen. Das Thema Klimawandel hat in der öffentlichen Diskussion an Bedeutung gewonnen.
Werden die Leute politischer?
Ja, ganz klar. Früher sassen die Menschen auf dem Sofa und sagten sich: «Es kommt schon gut.» Jetzt hatten wir den Brexit und die Wahl von Trump. Es ist klar, dass Aufdem-Sofa-Rumsitzen nicht mehr ausreicht. Das sehen wir zum Beispiel bei den Anwälten, die nach dem Einreisestopp zu den Flughäfen gingen und die Menschen beraten haben.
Mehr Mitglieder, eine engagierte Bevölkerung: So gesehen, ist die Trump-Regierung ein Geschenk für Greenpeace.
Nein. Es ist nicht lustig, wenn die Erdölindustrie eine Regierung teilweise übernimmt und sich der Wissenschaft verweigert. Auf dieses Geschenk kann ich verzichten.
«Es braucht auch eine gesellschaftliche Debatte: Was macht glücklich?»
Dass Sie die fossile Energie bekämpfen, ist klar. Wie haben Sie es mit der Atomenergie? Neue AKW-Generationen, die deutlich sicherer sein sollen, sind in Entwicklung. Das könnte doch eine sinnvolle Alternative zu Öl und Kohle sein.
Auch eine neue Generation von Atomkraftwerken kann die Probleme der Technologie nicht lösen. Das Restrisiko in den AKW wird bleiben. Ebenso das Problem des Atommülls.
Sie sind für den Ausstieg aus der Atomkraft. Kohlekraftwerke lehnen Sie auch ab. Gleichzeitig fahren die Menschen mit E-Bikes und benutzen Handys, die immer mehr Energie schlucken. Wie geht das auf?
Langfristig durch erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Das bringt auch Chancen für Innovation und neue Jobs. In den USA gibt es 260’000 Jobs in der Solar-Branche. Die werden nicht verschwinden.
Ob die erneuerbaren Energien den Durchbruch schaffen werden, hängt auch von der Entwicklung bei den Speichertechnologien ab. Sehen Sie da Fortschritte?
Die gibt es. Ich denke an Unternehmen wie Tesla mit Elon Musk, die riesige Batteriefabriken in der Wüste bauen. Die Frage ist, wie schnell das passiert. Wenn ich Regierungschef wäre, würde ich meine Gelder da reinstecken, um weiterzuforschen.
Müssen die Menschen künftig sparsamer leben, und können sie etwa nicht mehr warm duschen?
Das kommt darauf an, was wir heute machen. Wir müssen jetzt daran arbeiten, erneuerbare Energien rentabel zu machen, und wir müssen die Energieeffizienz erhöhen, indem wir zum Beispiel effizientere Gebäude und Autos bauen. Es braucht auch eine gesellschaftliche Debatte: Was macht glücklich? Immer mehr zu kaufen oder auch Zeit mit Familien und Freunden zu verbringen?
Aber die Leute wollen neue Fernseher, neue Handys.
Im Moment ist es hip, sich immer neue Dinge zu kaufen. Aber es ist möglich, dass es bald hip sein wird, Kleider zu tauschen. Schauen Sie sich an, wie sich die Sharing-Economy in den letzten fünf Jahren entwickelt hat. Vor fünf Jahren hätte man unmöglich jemanden anmailen können, um ein Zimmer in seinem Haus zu mieten, wenn der in den Ferien ist.
Aber schlussendlich greifen Sie in die Marktwirtschaft ein. Sie wollen den Menschen vorschreiben, welche Handys sie kaufen sollen.
Es geht nicht darum, Dinge zu verbieten. Aber man kann umweltschädliche Materialien, zum Beispiel die seltenen Erden in den Handys, verteuern. So werden Anreize geschaffen, damit die Menschen ihren Konsum überdenken.
Sie betonen, wie wichtig für Greenpeace die Wissenschaft sei. Dass es um Fakten und nicht um Glauben gehe. Bei der Gentechnologie sind Sie aber gar nicht auf der Linie der Wissenschaft. Auch hier gibt es nämlich, wie beim Klimawandel, einen Konsens unter den Wissenschaftlern, der besagt, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel gleich sicher sind wie konventionell gezüchtete.
Ich glaube, der Konsens ist nicht so gross wie im Klimabereich.
Das sehen Wissenschaftler anders. Greenpeace ist doch prinzipiell gegen die Gentechnologie in der Landwirtschaft.
Ich würde behaupten, dass Greenpeace eine wissenschaftsbasierte Organisation ist. Wir würden aber lieber Modelle haben, die eine ökologische Landwirtschaft unterstützen statt Gentechnik. Diese fördert eine industrielle Landwirtschaft, die mehr Pestizide verbraucht. Das geht nicht in Richtung einer ökologischen Landwirtschaft.
«Wenn man auf 20 Jahre Gentechnik zurückblickt, sieht es nicht nach einem grossen Durchbruch aus.»
Wenn man das Ziel hat, eine nachhaltigere Landwirtschaft zu erreichen: Müsste man dann nicht offen sein für alle Methoden, die helfen können, dieses Ziel zu erreichen?
Man hat bis jetzt noch nicht gesehen, dass die Gentechnologie da einen Beitrag leisten könnte.
Doch, solche Beispiele gibt es. Auf Hawaii zerstörte ein Virus die Papaya-Plantagen. Dank einer gentechnisch veränderten Sorte, die resistent ist gegen das Virus, haben die Papaya-Bauern nun wieder ein Auskommen.
Ich glaube, es ist ein Problem des Systems. Wer behauptet, dass durch die Gentechnik die Armutsprobleme bekämpft werden können? Wenn ich mit Unternehmen aus diesem Feld diskutiere und sie frage, warum sie nicht auf das Verursacherprinzip setzen, dann komme ich nicht weiter, das wollen sie nicht. Deshalb habe ich wenig Vertrauen. Sie haben andere Ziele, es geht ihnen um die industrielle Landwirtschaft.
Können wir 9 bis 10 Milliarden Menschen ohne industrielle Landwirtschaft ernähren?
Ich glaube schon. Heute schaffen wir das jedenfalls nicht so gut, wenn man die Armut anschaut. Wenn man nun auf 20 Jahre Gentechnik zurückblickt, sieht es nicht nach einem grossen Durchbruch aus.
Greenpeace ist bekannt für spektakuläre Aktionen, die das Medieninteresse wecken. Haben Sie selber auch bei solchen Aktionen mitgemacht?
Ja, bei einer Arktis-Expedition, wo wir Müll gesammelt haben. Auch wenn das nicht spektakulär tönt, war es schon schockierend. Es war unglaublich, wie viel Netze, Bojen und Plastikmüll von den Schleppnetzfischern wir eingesammelt haben. Aber ich will nicht angeben. Heute klettert meine Co-Chefin Bunny McDiarmid 90 Meter hoch auf einem Ölbohrturm von Total bei Brüssel.
Sie geht selber da hoch?
Ja ja, sie hat mehr Training als ich.
Sie leiten Greenpeace International zusammen mit der Neuseeländerin Bunny McDiarmid im Jobsharing. Kann das überhaupt funktionieren?
Es funktioniert toll. Wir machen das in einer sehr integrierten Art und Weise. Jede von uns ist zuständig für verschiedene Teile, Bunny für die Finanzen, ich für Personal und so weiter.
Arbeiten Sie zum ersten Mal in einem solchen Modell?
Ja, zum ersten Mal. Und wir haben uns vorher nicht gekannt.
Mussten Sie schon mal etwas machen, wofür Sie sich überwinden mussten?
Ich habe bei Demos mitgemacht, wo ich wusste, dass die Polizei eingreifen wird. Seitdem ich Greenpeace-Chefin bin, habe ich mit einem Training für solche Aktionen angefangen.
Was ist das für ein Training?
In den USA gibt es ein Aktivistentraining, wo man lernt, zu klettern oder Banner zu befestigen.
Gab es einen Moment in Ihrem Leben, wo Sie politisiert oder zur Umweltschützerin wurden?
Da gibt es ein paar. Angefangen hat alles in Niedererlinsbach.
Niedererlinsbach, die kleine Gemeinde im Kanton Solothurn?Was hat Sie genau dorthin verschlagen?
Gute Frage (lacht). Ich hatte an der Schule Fremdsprachen gelernt, seit ich elf Jahre alt war. Danach habe ich mich für ein zweimonatiges Austauschprogramm beworben. Ich habe die Schweiz gewählt und zuerst gedacht, ich würde in einer französisch sprechenden Familie landen. Dann kam es aber anders. Ich lebte zwei Monate lang im Sommer bei einer Familie in Niedererlinsbach und ging zum Beispiel mit ins Pfadilager.
«Ich fliege ungefähr zweimal pro Jahr nach Amerika und einmal nach China, das ist mein Schwachpunkt.»
Und wie wurden Sie dort politisiert?
Damals unterstützte die US-Regierung den Guerillakrieg gegen die linke Regierung in Nicaragua. Ich hatte keine Ahnung von Politik. Meine Freunde und meine Gastfamilie fragten mich da, was meine Regierung in Nicaragua mache. Das beschäftigte mich. Ich begann, mit mehr Menschen über die Rolle der USA in anderen Ländern zu sprechen. So wurde ich für Politik sensibilisiert, vor allem für Aussenpolitik.
Was schärfte dann Ihr Umweltbewusstsein?
Ich las das Buch von Petra Kelly…
… der Gründerin der Grünen Partei in Deutschland?
Ja. Das Buch heisst «Für den Frieden kämpfen.» Ich erinnere mich ganz genau, wo ich war, als ich das las: in der Lounge meiner Uni, wo ich den Master gemacht hatte. Ich war 21-jährig. Petra Kelly war die Erste, die das Persönliche mit dem Politischen zusammenbracht: mit der Frauenbewegung, der Umweltbewegung, der Atombewegung und einem Systemwandel. Das war der Moment, als mein aussen- und mein umweltpolitisches Interesse zusammenkamen.
In Ihrer Biografie pendelten Sie immer wieder zwischen Europa und den USA. Wo fühlen Sie sich eher zu Hause?
Im Moment fühle ich mich wohl in Europa mehr zu Hause, weil das, was ich derzeit in meinem Heimatland sehe, für mich fremd ist. Internationale Zusammenarbeit gehört zu mir, und da ist mir Europa aktuell näher. Ein Teil von mir wird immer Amerikanerin sein. Aber eben: Momentan fühle ich mich eher als Berlinerin.
Sie leben in Berlin und arbeiten in Amsterdam.
Ja genau.
Jetten Sie jeweils hin und her?
Oh nein, ich fahre jede Woche mit dem Zug hin und zurück, sechs Stunden ein Weg. Die Züge fahren vollständig mit erneuerbarer Energie.
Wie sieht Ihre persönliche CO2-Bilanz aus?
Die ist gut. Ich fliege ungefähr zweimal pro Jahr nach Amerika und einmal nach China, das ist mein Schwachpunkt. Ansonsten lebe ich vegetarisch, wohne in einem energieeffizienten Haus, habe kein Auto.
Sind Sie aus ökologischen Gründen Vegetarierin?
Ja. Ich lebe seit 1989 vegetarisch, dazwischen lebte ich auch mal vegan. Als Doktorandin habe ich gesehen, wie viel Energie es braucht, um Fleisch zu produzieren. Da war mir klar, dass ich Vegetarierin sein möchte.
Sie leben mit einer Frau zusammen. Wurden Sie je diskriminiert deswegen?
Nein.
Auch nicht im ländlichen Amerika, wo Sie aufgewachsen sind?
Ich hatte wohl Glück. Unterdessen hat sich die Situation in den USA stark verbessert. Leider gibt es immer noch Länder, wo wir beispielsweise nicht Hand in Hand durch die Strassen gehen könnten. Aber schauen Sie, ich wohne mit einer wunderbaren Frau in Berlin zusammen. Wenn sich da jemand daran stört, ist es sein oder ihr Problem und nicht meines.
Ihre Partnerin auch ein Grund, warum Sie sagen, Berlin sei Ihre Heimat?
Ja klar. Ich studierte schon in Berlin, 1989, kurz vor der Wende. Den Mauerfall habe ich um einen Monat verpasst, um in den USA mit meiner Doktorarbeit über europäische Politik zu beginnen. Das war kein gutes Timing (lacht). Berlin hat mich immer angezogen. Die Stadt hat eine tiefe Seele, weil sie so viel erlebt hat. Ich bin unabhängig von meiner Frau dahin gegangen, aber heute ist es mehr und mehr Heimat, weil wir da zusammen leben.
Jennifer Morgan, 50, arbeitet seit fast 30 Jahren als Aktivistin im Klima- und Umweltbereich. Die studierte Politikwissenschaftlerin leitete unter anderem das Global Climate Change Program beim WWF, wo sie aktiv auch die Zusammenarbeit mit der Industrie suchte. Vor ihrer Berufung als Co-Geschäftsleiterin von Greenpeace war sie Direktorin des Klimaprogramms des World Resource Institute (WRI). Die gebürtige Amerikanerin lebt mit ihrer Partnerin in Berlin und spricht (fast) perfekt Deutsch.