In Peru versuchen indigene Organisationen eine flächendeckende Überwachung der Amazonaswälder sicherzustellen, um weitere Umweltverschmutzungen durch marode Ölpipelines zu verhindern. Damit wollen sie der Natur zu ihrem Recht verhelfen.
Die 854 Kilometer lange Oleoducto Norperuano zieht sich wie eine Narbe durch den peruanischen Regenwald bis zur Raffinerie an der pazifischen Küste. Gebaut in den 1970er Jahren, ist die von der Staatsfirma Petroperu betriebene Pipeline heute ein Wrack. Wegen zahlreichen Lecks wurde die Leitung anfangs Jahr ausser Betrieb genommen. In vielen betroffenen Gemeinden protestiert die indigene Bevölkerung derzeit für die Beseitigung Ölverschmutzung, nicht nur entlang der Pipeline, sondern auch in den Fördergebieten im Nordosten Perus.
Wir haben eine der Bruchstellen in der Nähe von Mayuriaga besucht. Das Dorf mit rund 400 Einwohnern liegt abseits des Flusses Morona und ist von dichtem Regenwald umgeben. Die Röhre dient als Fussweg in die nächstgrös-sere Ortschaft. «Eine Gruppe war unterwegs, um Medikamente zu besorgen, als sie eine acht bis zehn Meter hohe Fontäne sahen», erzählt der Präsident der lokalen Indigenenorganisation Segundo Sumpa. «Sie sind sofort ins Dorf zurückgekommen und ich habe das Leck Petroperu gemeldet.»
Das war am 2. Februar. Wie lange schon Öl ausgelaufen war, ist nicht bekannt – gemäss der Firma sollen es 1000 Barrel gewesen sein. Die Reinigungsarbeiten sind im Gang und dürften sich noch über Monate hinziehen. In müh-seliger Kleinarbeit wird das verschmutzte Erdreich abgetragen und in Säcken gelagert. «Wir arbeiten jetzt seriös, nicht mehr schnellschnell wie am Anfang», sagt der Ingenieur eines Subunternehmens, der nicht genannt werden will. Der relativ hohe Standard der Dekontaminierung kommt nicht von ungefähr: Die Unfallstelle liegt auf dem Territorium der Wampis, die die Staatsfirma mit direkten Aktionen und rechtlichen Mitteln unter Druck gesetzt hatten. Die Wampis stellen die Grosszahl der Arbeiter und können die Reinigung jederzeit blockieren, wenn sie mit ihrer Qualität nicht einverstanden sind.
In einem «Brief an die Welt» beschreibt Andres Noningo die Beziehung der Wampis zur Natur: «Unsere Ahnen haben die Welt um uns erforscht und festgestellt, dass die Tiere sprechen können und die Erde sich bewegt. Sie lernten, dass uns die Pflanzen, die wir anbauen, von Nunkui – Mutter Erde – gebracht werden und dass wir die Fische von den Tsunkui – den Wassermenschen – erhalten. Unsere Ahnen lehrten uns, dass jedes Tier und jeder Baum eine Person ist, gleich wie wir, und dass sie ihre Wächter haben, die sie beschützen.» Dieses Wissen, schreibt der 62-Jährige weiter, habe es ihnen ermöglicht, respektvoll zu jagen und Pflanzungen anzulegen – mit Hilfe von heiligen Gesängen, die «dafür sorgen, dass wir alle Lebewesen mit Würde behandeln».
Wenn eine Wampis-Frau also in den Garten geht, um Yuccawurzeln zu ernten, fragt sie zuvor Nunkui um Erlaubnis. Wenn der Fluss wild und voller Treibholz ist, bittet der Mann die Tsunkui um sicheres Geleit. Seit Urzeiten sind Nunkui und die Tsunkui «Besitzer» des Untergrunds und der Wasserläufe. Der Mensch dagegen ist nur ein vorübergehender Gast, der sein Besuchsrecht aufs Spiel setzt, wenn sie oder er den nötigen Respekt vermissen lässt – dann verschwinden auch die Fische, und die Ernten werden kümmerlich.
Die Erde soll Rechte bekommen
Wie können die Rechte der Natur ins west-liche Rechtssystem einfliessen, das jene begünstigt, die die Ressourcen besitzen? Die neuen Verfassungen von Ecuador und Bolivien anerkennen erstmals gewisse Naturrechte (beziehungsweise eine «Mutter Erde», Pachamama) gemäss der Kosmovision der andinen Gesellschaften. Im konkreten Fall behandeln die beiden Regierungen die Ausbeutung von Rohstoffen allerdings weiterhin prioritär.
Einen anderen Zugang eröffnet der Inter-amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte. An einer Fachtagung in Lima debattierten Ende September ExpertInnen über die Fortschritte in der Rechtsprechung. «Die indigenen Rechte sind ein Portal für Naturrechte: Die Erde kann nicht mehr einfach als Ding behandelt werden, weil sie für die indigenen Völker einen spirituellen Wert hat», erklärt die Professorin Raquel Yirigoyen Fajardo: «Niemand verkauft seinen Gott.»
Die emblematischen Urteile des Menschenrechtshofs tragen Namen wie «Saramaka versus Surinam» oder «Sarayaku versus Ecuador». Sie verpflichten die Regierungen zu Entschädigungsleistungen für unterlassene Konsultationen, Umweltschäden und verletzte Rechte im Zusammenhang mit der Rohstoffausbeutung. Die Entscheide des Gerichts sind in 17 lateinamerikanischen Ländern – darunter Peru – rechtlich bindend. Sie werden allerdings oft missachtet.
Trotzdem kann so zumindest moralischer Druck erzeugt werden. Im Fall von Mayuriaga und weiteren Gemeinden entlang der lecken Ölpipeline von Petroperu wurde am 9. Juni eine Petition bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eingereicht, worauf die Regierung sich für die Schäden entschuldigte und die Kommission einlud, die Lage vor Ort zu inspizieren. Die betroffenen Wampis fordern nun finanzielle Entschädigung.
Indigene sammeln Beweismittel
Rechte nützen nichts, wenn niemand sie überwacht und einklagt. Die Schäden der Ölförderung im Amazonas treten meist tief in unzugänglichen Waldgebieten auf. Für die Öffentlichkeit waren sie lange unsichtbar – nicht aber für die Indigenen. Diese haben unterdessen gelernt, die Folgen unserer Energiesucht zu dokumentieren und uns per Smartphone und Internet vor Augen zu halten – mit Unterstützung von NGOs wie dem Genfer Mouvement pour la Coopération Internationale.
Die indigenen Organisationen in Peru fordern nun, dass ihre «Umweltwächter» direkt mit den staatlichen Umweltämtern kooperieren, um eine flächendeckende Überwachung des Amazonaswaldes sicherzustellen. Das Datenmaterial, das die indigenen WächterInnen sammeln, hätte so auch mehr Gewicht als Beweismittel vor Gericht. Mutter Erde und die Wassermenschen schleichen sich in die Gerichtssäle – und sei es durch die Hintertür. Der Fall «Nunkui und Tsunkui versus Petroperu» ist noch Zukunftsmusik, aber nicht mehr undenkbar.
Jacob Balzani Lööv (* 1977) ist ein freischaffender italienischer Fotograf und Schriftsteller. Er interessiert sich für soziale und ökologische Themen und sieht eine Notwendigkeit darin, diese Geschichten öffentlich zu machen. Er betrachtet seine journalistische Arbeit als eine Form von Aktivismus.
Thomas Niederberger (36) ist Sozialanthropologe an der Uni Bern und forscht zurzeit über indigene Selbstverwaltung im peruanischen Amazonas am Beispiel der 2015 gegründeten «Autonomen Regierung der Nation Wampis».
Die Menschen der Region haben nicht nur mit Umweltzerstörung durch marode Ölpipelines zu kämpfen; in La Poza, einer Siedlung der Mestizen, ist illegaler Handel an der Tagesordnung und das Dorf ist Umschlagplatz für Drogen sowie ein Millieu für Prostitution.
Im Vergleich zur südperuanischen Region Madre de Dios, wo der illegale Abbau Tausende beschäftigt und ganze Landstriche zerstört, ist das Problem zwar noch überschaubar, aber die Spannungen sind beträchtlich. Im Hintergrund schwelt ein ethnischer Konflikt, denn die Goldgräber operieren auf dem Gemeindegebiet von Awajún-Indigenen – gegen Jobs und Gewinnbeteiligung, versteht sich. Die neue Wampis-Regierung, und damit ihr Verbot des Goldabbaus, wird von diesen nicht anerkannt.